Morgenluft

102 10 0
                                    

Eines der Privilegien des Kapitäns auf einem Piratenschiff war ja nun ein eigenes Bett. Das war bei vernünftigem Seegang nur bedingt ein echter Vorteil und Francis hatte wie jedes andere Crewmitglied für alle Fälle eine Hängematte, die sich wunderbar quer durchs Zimmer spannen ließ. In einigen Fällen jedoch, wenn sie vor Anker lagen und das Wasser sanft gegen den Bug schlug und die aufgehende Sonne gerade schräg durch das Fenster auf die zerwühlten Laken schien, da konnte man dieses Privileg wirklich genießen.

Francis war früh aufgestanden. Er hatte eine kleine Runde über das Schiff gedreht, ein paar leise Worte mit der Nachtwache gewechselt und fröhlich pfeifend ins Meer gepinkelt. Als er jetzt zurückkehrte, lag Jesse immer noch so da wie er ihn verlassen hatte. Auf der Seite liegend, halb zugedeckt, die schwarzen Haare wie ein dunkler Wasserfallauf dem sonnenbeschienen Kissen. Er hatte sich umgedreht, weg von der Sonne, sein Gesicht lag im Schatten und halb im Kissen vergraben.

Mein kleiner Kobold. Wie lange war das jetzt her, ein paar Wochen? Und genaugenommen war Jesse weder klein, noch hatte er Ähnlichkeit mit den neckischen Schiffsgeistern, die man für allen Unfug auf dem Schiff verantwortlich machte. Nun gut, vielleicht hatte der Spitzname doch seine Berechtigung. Unfug hatten sie nun in den letzten Wochen genug getrieben.

Die Spannung, die Francis so lange gequält hatte, diese Unsicherheit, die immer wieder in Jähzorn umschlug hatte sich von einem Moment auf den anderen gelegt. Diese Erleichterung wirkte sich auch auf den Schiffsfrieden aus und die Mannschaft schien insgeheim beschlossen zu haben, ihrem Käpt'n und ersten Maat soviel Zeit wie möglich zusammen zu lassen, um diesen Frieden nur ja nicht zu gefährden.

Jesse besaß zwar immer noch seine eigene Hängematte unter Deck, aber im Moment schlief er mehr in der Kajüte als dort und genoss diese Annehmlichkeit sichtlich. Jetzt regte er sich ein bisschen, räkelte sich unter der stärker werdenden Sonne und tappte mit einer Hand auf der Matratze herum. Als er nicht fand, was er suchte schlug er träge die Augen auf. Francis stand ganz still und wartete, bis Jesse ihn entdeckt hatte. Der lächelte, rollte sich auf den Rücken und streckte sich. Das Laken begann ihm vom Körper zu rutschen und Francis konnte nicht anders, er musste einfach hinsehen. Jesses Haut war von Natur aus dunkler als seine eigene, die Haar schwarz und struppig auf dem Kopf und leicht gelockt an anderen Körperstellen. Besonders hatte es Francis die Stelle unter seinem Bauchnabel angetan, wo sich zarter dunkler Flaum südwärts wandte. Jesse wackelte ein bisschen mit den Hüften und jetzt rutschte das Laken endgültig weg. Francis blinzelte und wurde von leisem Lachen aus seinen Gedanken gerissen.

„Du weißt schon, dass dein Blick manchmal schon reicht, Käpt'n?"

Er hatte sich ein Kissen in den Rücken gestopft und breitete jetzt die Arme aus.

„Komm her, dir muss kalt sein. Du zitterst ja."

Vielleicht war ihm kalt, vielleicht war Jesse auch einfach nur wunderbar warm in seinen Armen. Zu warm, um das Bett wieder zu verlassen. Für eine lange Zeit.

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt