Abendmahl

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Es sah so viel kleiner aus, als Francis das in Erinnerung hatte. Eine Ansammlung von Häusern mit einer niedrigen Mauer darum. Sicher, das Haupthaus war groß und eine kleine Treppe führte zu einer imposant aussehenden doppelflügeligen Tür und allein die weitläufigen Koppeln und angrenzenden Ställe vermittelten den Eindruck eines gewissen Reichtums. Aber aus der Entfernung sah sein Zuhause fast winzig aus.

Mein Zuhause. Meine Verwandten. Mein Blut.

Francis stieg ab und führte sein Pferd den letzten Rest des Weges. Die alten Mary schnaubte, vermutlich roch sie die anderen Pferde, die entweder im Stall oder auf der Weide hinter dem Zaun standen. Fürs erste wurde sie am Gatter neben dem Haus festgebunden, die Zügel durch einen eisernen Ring geschlungen, der Francis so vertraut war. Wenn dieser auch damals wesentlich höher gehangen haben musste.

Die Tür zum Haus öffnete sich und ein junges Mädchen in Dienstbotenuniform erschien. Sie kam schnellen Schrittes die Treppe hinunter, um die unbekannten Gäste zu begrüßen.

"Guten Abend, die Herrschaften. Wir hatten gar keinen Besuch erwartet. Sind sie Reisende, die ein Quartier für die Nacht suchen?"

Francis schluckte gegen den Knoten in seinem Hals, der ihm das Sprechen schwer machte.

"Nein. Ja. Wir sind vor ein paar Tagen mit dem Schiff angekommen. Ich... sind die Drakes zu Hause?"

"Die Lady ist zu Hause, Mylord ist noch unterwegs, wird aber zum Essen erwartet. Sie kennen sich?"

"Ja. Aber... wir haben uns lange nicht mehr gesehen... Dürfte ich die Pferde in den Stall bringen und... wäre es möglich, danach mit der Dame des Hauses zu sprechen?"

"Mylady würde sich sicher darüber freuen. Sie sehen wie ordentliche Männer aus, nicht wie dieses Gesindel, das sich neuerdings hier herumtreibt. Wen darf ich denn melden?"

Francis sagte nichts. Ja, wen?

"Mein Name ist Jesse Dawson," rettete ihn da sein ersten Maat. "Ich bin Teil der Crew der Dragon und das hier ist ihr Kapitän. Wir möchten der Dame des Hauses nicht zu viel Aufregung auf einmal zumuten. Aber..."

"Warte, Jesse." Francis hatte kurz die Augen geschlossen. Es half ja doch nichts und den Moment hinauszuzögern würde doch nichts bringen.

"Ich bin Francis. Francis Drake. Ich bin ihr Sohn."

Das Dienstmädchen riss die Augen auf und wirkte wie vom Blitz getroffen.

"Francis? DER Francis?"

"Solange sie nicht noch einen zweiten Sohn gezeugt haben und den einfach nach mir benannt haben, dann ja, der Francis."

Das Mädchen rückte sich fahrig die Haube zurecht, wischte sich die Hände an der Schürze ab und wusste gar nicht mehr wo hin mit den Händen.

"Sir... ähm, Mylord. Ich werde sogleich den Stallburschen holen, der soll sich um eure Pferde kümmern und die... die Betten müssen gemacht werden... Aber wir haben doch gar kein Gästezimmer... und die Köchin muss..."

Francis legte der Magd beruhigend die Hand auf den Arm.

"Ganz langsam. Wie heißt du denn, mein Kind?"

"Agnes. Ich bin Agnes und entschuldigung das ich euch vorhin falsch angesprochen habe, aber ich wusste ja nicht..."

"Meine liebe Agnes. Du machst dir jetzt bitte keine Sorgen mehr. Wir kümmern uns selbst um die Tiere, ich kenne mich hier aus, ich bin schließlich hier aufgewachsen. Du gehst zurück ins Haus und gibst Bescheid, dass sich zwei hungrige Reisende über ein kleines Nachtmahl freuen würden. Ein kleines! Und dann, wenn deine Herrin neugierig fragt, dann... sagt ihr, ich bin da. Sie wird danach vermutlich ein bisschen Beistand brauchen, also bleib bitte bei ihr. Kannst du das für mich tun?"

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt