Es könnt ein Anfang sein

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Das Pochen an der Tür war kräftig, riss Francis aus seinen trübsinnigen Gedanken. Hatte er nicht laut und deutlich gesagt, dass er nicht gestört werden wollte? Sicher würde dieser Störenfried sich schnell an die deutlichen Worte erinnern, die sein Käpt'n geäußert hatte, bevor diese Tür lautstark ins Schloß gefallen war. Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Diese Klinge war schon lange nicht mehr ordentlich gesäubert worden. Es klopfte wieder und diesmal ging doch tatsächlich die Tür auf. Jetzt wurde er aber wirklich ungehalten.

"Was fällt dir ein, einfach so in die Kajüte des Kapitäns zu -"

Herein trat Jesse, der erste Maat dieses Schiffes, seine offizielle rechte Hand und im Moment der letzte Mann, den er sehen wollte. Aber das war wohl in erster Linie sein Problem.
Er hatte die Arme entschuldigend erhoben, einen bittenden Ausdruck auf dem Gesicht.

"Spar dir die Worte. Es tut mir leid, aber ich komme im Auftrag der Mannschaft."

Francis brummelte, unterdrückte den Fluch, der ihm auf den Lippen lag.

"Dann komm rein und mach die Tür zu."

Jesse schloß die Tür und lehnte sich dagegen. Er musterte seinen Kapitän, der ihn fragend und gereizt ansah. Schon wieder. Das war in letzter Zeit Francis Grundstimmung, immer am Rande des Ausbruchs. Er reagierte sofort emotional, schlug verbal und körperlich um sich, bestrafte kleine Vergehen seiner Männer mit nicht zu rechtfertigender Härte. Sie begannen ihn wirklich zu fürchten und das war seiner Erfahrung nach der Anfang vom Ende einer erfolgreichen Piratenkarriere und eine Einladung zur Meuterei. Sicher, das Kaperglück war ihnen im Moment nicht hold, sie segelten etwas ziellos durch die Karibik, auf der Suche nach der knapp verpassten spanischen Handelsflotte. Das war nicht das erste Mal, das ein Plan schief ging und es war eigentlich nicht weiter schlimm. Sie würden diese Durststrecke schon überstehen, Fehler passierten auf den besten Schiffen und den besten Kapitänen. Aber die Atmosphäre auf diesem bestimmten Schiff glich immer mehr einem Pulverfass, dass kurz vor der endgültigen Explosion stand. Heute Morgen war es zu einer weiteren Eskalation gekommen, nach der sich der Käpt'n Drake wutschnaubend und unter lautstarkem Gefluche in seine Kajüte zurückgezogen hatte, nicht ohne vorher jeden mit dem Tode zu bedrohen, der es wagte, ihn zu stören. Diesmal war das Maß voll, die Geduld der Mannschaft erschöpft und sie hatten ihn als ihren ersten Maat gebeten zu vermitteln. Nun, "gebeten" war vielleicht etwas vornehm ausgedrückt.

Tu was! Jetzt oder ich schwöre dir, ich werfe diesen... diesen jähzornigen, halbstarken... Engländer von diesem Schiff und wenn ich dafür hängen werde!

So in etwa. Und im Falle des französischen Schiffskochs war "Engländer" durchaus eine Beleidigung. Und ja, Jesse hatte durchaus eine Idee, was hier los sein könnte. Er war an dieser ganzen Situation vermutlich nicht ganz unschuldig.

Francis Drake war eigentlich ein guter Anführer. Er war ja jung, ja, aber er war klug, traf vernünftigen Entscheidungen und verstand es, das Beste aus seiner Mannschaft herauszuholen. Er war ein leidenschaftlicher Kämpfer und brauchte sie alle dazu, ihm zu folgen, wohin auch immer er sie führte. Aber genau diese Leidenschaft war aktuelle das Problem. Ein Problem, da eigentlich gar keines war, wenn dieser Sturkopf es nur endlich einsehen würde.

"So und was willst du jetzt?!" fauchte eben dieser Sturkopf ihn gerade mit zusammengekniffenen Augen an. Jesse seufzte. Das würde kein leichtes Gespräch werden.

"Hör mal, heute morgen... War das wirklich nötig? Es war doch wirklich nur ein Fass, das hätte jedem passieren können."

"Stellst du etwa meine Entscheidungen in Frage? Möchtest du der Nächste sein?"

Francis durchquerte mit ein paar schnellen Schritten den Raum und baute sich vor Jesse auf. Er war unbewaffnet, aber sein Blick zuckte zurück zum Tisch, auf dem sein Entermesser lag. Und die Peitsche. Verdammtes Ding.

Jesse biss die Zähne zusammen und atmete tief durch. Dieser Idiot schien zu glauben, er könne alle vor Angst im Staub kriechen lassen, nur weil er seinen Gefühlsleben nicht unter Kontrolle hatte. Aber auch ihm war es irgendwann genug.

"Mein lieber Kapitän..."

"Was?" schnappte Francis. "Was willst du von mir? Ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein..."

Jesse holte aus und schlug ihm ins Gesicht. Viel zu verblüfft um zu reagieren wich Francis ein paar Schritte zurück. Er hatte ja viel erwartet, aber keine körperliche Auseinandersetzung. Und Jesse kam jetzt richtig in Fahrt.

"Du verdammter Idiot! Wach endlich auf! Du verlierst den Respekt deiner Mannschaft, verstehst du das nicht? Auch einem bewunderten Anführer wird gerade ein verhasster Tyrann und du weißt, wohin das führt. Deine schlechte Laune gefährdet den Frieden auf diesem Schiff, also reiss dich zusammen! Und erzähl mir nicht, ich würde nur irgendwas von DIR wollen. So betrunken warst du nun wieder nicht. DU warst ja wohl derjenige..."

Diesmal schlug Francis zurück. Was als klärendes Gespräch gedacht war, endete in einer wilden Prügelei.

Und Jesse hatte wirklich genug. Von Francis und dieser ganzen verfluchten Situation. Keiner wollte den anderen wirklich verletzen, aber die angestauten Emotionen der letzten Wochen hatten endlich ein Ventil gefunden und machten aus einer kleinen Meinungsverschiedenheit eine erbitterte Auseinandersetzung. Jesse war schnell und getrieben von seiner eigenen Frustration landete er ein paar heftige Treffer, die Francis gegen den Schreibtisch stolpern ließen. Er hielt sich an der Kante fest, um nicht zu fallen, und hielt sich keuchend den Bauch. Sein Blick war mörderisch.

"Was glaubst du, tust du da..."

Es war kaum mehr als ein Knurren, aber er reichte, um Jesse den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ja, was tat er eigentlich? Hatte er sich von Francis innerem Durcheinander anstecken lassen? Wenn er es recht bedachte, war doch das letzte, was er wollte, diesen Mann zu schlagen.

"Francis, ich..."

Aber der stürzte sich bereits wieder auf ihn und machte weitere Worte unmöglich. Jesses Zorn war so schnell verraucht wie er gekommen war, er wehrte sich nur noch halbherzig und ließ sich schließlich von Francis an die Wand drängen.

"Mein lieber erster Maat, du hast gerade deinen Job verloren."

Er presste ihnen gegen das Holz der Kajüte, die rechte Faust geballt, zum Schlag ausholend. Er war ihm so nahe wie lange nicht mehr, nur durch eine dünne Schicht Stoff getrennt. Jesse konnte die Hitze dieses bebenden Körpers vor ihm spüren, fühlte ein leichtes Zittern, als auch Francis diese Nähe klar wurde. In diesem Moment war es ihm egal. Was auch immer passieren würde und wenn es sein Schicksal auf diesem Schiff besiegeln würde, er konnte nicht anders. Er umfasste Francis Taille, zog ihn noch dichter heran und tat das Einzige, was ihm jetzt noch einfiel. Jesse schloß die Augen und küsste seinen Kapitän.

Francis zuckte wie vom Blitz getroffen zurück. Ihre Blick trafen sich, Schock und Sehnsucht, ein Feuer, das diesen Raum, dieses Schiff verzehren konnte.

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt