Esmeralda allein zu Haus

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Der Abschied war ihnen beiden dann doch leichter gefallen als er gedacht hatte. Er musste es sich eingestehen, dieses Kind war wahrhaftig kein Kind mehr und sie konnte sehr gut selbst auf sich aufpassen. Karvanté verkniff sich die guten Ratschläge und Ermahnungen und sie vermied es, ihm allzu aufdringliche Fragen über die Einzelheiten seiner Mission zu stellen. Einen Piraten fangen, das hörte sich für ihre jugendlichen Ohren doch ziemlich langweilig an.

"Was wirst du tun, solange ich weg bin, meine Liebe?"

"Trainieren. Und wenn ihr wiederkommt, werde ich euch zeigen, wie schnell die Krähe zuhacken kann und dann..."

"Keine Aufträge in meiner Abwesenheit, ja?"

"Jajaja..."

Weg war er! Endlich! Esmeralda hatte das Gefühl, von einem ewig um sie herumschwirrenden Schatten befreit worden zu sein. Er sorgte sich um sie, ja, das mochte ja nur Recht sein, aber was ihr Pflegevater nicht wusste, war, dass sie schon wesentlich mehr konnte und tat, als sie ihm verraten wollte. Keine Aufträge... Pah.

Auf dem Weg zurück zu seinem Anwesen (und damit auch ihrem Zuhause) hatte sie schon tausend Pläne im Kopf und tausend Einfälle, was sie in den nächsten Woche erreichen konnte. Sie war auf ein paar Partys eingeladen und das war immer eine perfekte Gelegenheit, um an Aufträge zu kommen. Langsam aber sicher rankten sich die ersten Legenden um die kleine Frau im schwarzen Kleid, die immer dann zum Einsatz kam, wenn betrogene Ehefrauen, geschlagene Töchter oder rachsüchtige Witwen jemanden verschwinden lassen wollten. Sie hatte sogar eine Karte und ein geheimes Postfach für Nachrichten, die die Morrigan erreichen sollten. Das war der Name, den sie sich schon lange selbst gegeben hatte und den sie jetzt auch in Zusammenhang mit ihrem aufstrebenden Gewerbe benutzen wollte. Die keltische Todensgöttin, die Schlachtenkrähe, das Grauen, das in der Nacht kam. Ja, das passte zu ihr. Sie war zwar immer noch keine zwanzig, aber es sah auch kaum jemand ihr Gesicht oder hörte ihre Stimme, sie verstand es, über viele Menschen und Mittler mit ihrer Kundschaft in Kontakt zu treten. Genau das war es auch, was diese schätzte. Es musste keine direkte Kommunikation geben, das hätte nur zuviele Möglichkeiten auf Entdeckung geboten, zu viele Verbindungen, die im Nachhinein gefährlich werden konnten. Stattdessen gaben edle Dame eine Karte bei einem Hutmacher ab oder einer Marktfrau oder steckten eine Botschaft in ein Astloch auf dem Friedhof. (Das war zugegeben eine eher unpraktische Idee, die aus ihrem Hang für Romantik und Schauergeschichten entsprungen war. Die Kunden, die diese Möglichkeit nutzten, waren aber genau die Zielgruppe für Nacht- und Nebelpost. Junge reiche Mädchen, verliebte Närrinnen oder alte Frauen, die in jedem Schatten eine Bedrohung sahen.

Und es waren ja nicht nur Mord und Totschlag, die sie anbot. Manchmal war eine sehr deutliche Warnung schon genug, um bestimmte Personen dazu zu bringen, ihr Verhalten zu überdenken. Und wenn sie gerade gar nichts zu tun hatte oder die Herausforderung interessant fand, spielte sie auch Mittlerin zwischen Liebenden oder arrangierte geheime Treffen. Es war schon unglaublich, mit was sich alles Geld verdienen ließ.

Gleichzeitig spann sie ihr Netz über Paris immer weiter. Fand neue Kontaktpersonen und Informanten, versuchte zu verstehen, was in dieser Stadt so vor sich ging und wie sie daraus einen Vorteil ziehen konnte.

Das alles ohne das Wissen oder gar die Erlaubnis ihres Ziehvaters. Zumindest hoffte sie das. Er bildete sie aus, unterwies sie im Gebrauch von Waffen und Gift und jagte sie Gebäude nach oben und dunkle Kellerlöcher hinunter. Ein paar Mal hatte sie in seinem Auftrag jemanden beiseite geschafft, aber das wahre Ausmaß ihrer Aktivitäten schien er nicht zu ahnen.

Was gut war. Sie wollte nicht mit ihm in Verbindung gebracht werden, sie wollte sich selbst einen Namen machen und diese Stadt zu ihrer machen.

Und heute würde sie auf eine Party gehen.

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Karvanté hasste Schiffe. Sie waren laut, unübersichtlich und schmutzig und er fühlte sich immer ein klein wenig hilflos, von so viel Wasser umgeben. Er hatte nie so richtig schwimmen gelernt und wenn er an der Reling stand und in die Ferne blickte, dann wurde ihm klar, wie winzig und unbedeutend er nicht war im Vergleich zu diesem gigantischen Ozeanen, der da zwischen ihm und seinem Schicksal lag. Nicht mehr lange. Bald würde er jemand sein, jemand, den Isabella lieben konnte...

Er hatte nicht viel, um seinen Auftrag zu erfüllen. Keine Flotte, keine großen Befugnisse, all das hatte sie ihm nicht mitgeben können. Nur ein königliches Siegel, das ihm zumindest ein wenig Unterstützung versprach und die Aussicht auf ein kleines Schiff mit einer hoffentich fähigen Crew. Er sollte auskundschaften, ein bisschen spionieren, aber wenn er ehrlich zu sich war, das würde ihm nicht reichen. Er wollte das Problem beseitigen, die Flotte wieder sicher machen und dann so schnell wie möglich wieder in den Schoß seiner Königin sinken.

Bald wurden sie da sein und dann konnte er endlich aktiv werden. Dieses Warten gefiel ihm gar nicht, schon gar nicht auf so einem unzuverlässigen Gefährt.

Karvanté hasste Schiffe immer noch. Jetzt waren sie schon endlich in der Karibik angekommen und hatte nichts besseres zu tun, als irgendwelche Postsäcke auszuladen und durch die Häfen zu tingeln. Wer sollte hier denn schon auf Post warten?

Als er sich endlich durch die Behören gekämpft hatte (was auch mit einem königlichen Siegel sehr langwierig und nervenaufreibend war) und schließlich sein eigenes Schiff, seine Mannschaft, Waffen und Mittel hatte und zumindest einen groben Plan, wer für die Überfälle verantwortlich, beglückwünschte er sich selbst zu seinen Fortschritten.

Nun würde er auf die Jagd gehen.

Seine Erkundigungen hatte ergeben, dass so gut wie alle Überfälle auf französische Schiffe auf das Konto eines englischen Freibeuters gingen, der offensichtlich bestens über die geplanten Routen der Händler Bescheid wusste. Es war ein wenig so, als könnte er vorhersehen, wann wo welches Schiff lossegeln würde und welches dieser Schiffe am wenigsten bewacht sein würde. Im Gegenzug war es völlig unmöglich, herauszufinden wo dieser Mann herkam oder wohin er danach wieder verschwand. Die Basis der meisten Piratenaktivitäten war eine kleine Insel vor Jamaika, die Tortuga genannt wurde. Aber dorthin zu gelangen, oder gar nur Spione auszusenden, war völlig unmöglich und grenzte an Selbstmord. Hier und da konnte er von Reisenden, Händlern und allerlei zielichtigem Volk zusammentragen, was für eine Sorte Pirat das war. Keiner von den bekannten Gesellen, nicht Blackbeard, nicht Henry Morgan, diese beiden trieben ihr Unwesen weiterhin mit den Spaniern. Francis Drake war ein noch recht unbekannter junger Mann, das Schiff schien er mit seinem eigenen Geld gekauft zu haben, seine Herkunft wies zu einem kleinen Gut in Südengland, alter wenn auch nicht besonders einflussreicher Landadel. Karvanté nahm sich vor, nach seiner Rückkehr etwas mehr über diese Familie herauszufinden, sofern er hier keine schnellen Erfolge verbuchen konnte.

Sein Schiff hatte er, ganz im Sinne eines größenwahnsinnigen Kriminellen, nach sich selbst benannt. Der Rest der Mannschaft schien aus einer wilden Mischung aus Engländern, Iren, Eingeborenen, ehemaligen Sklaven und ein paar Ex-Soldaten zu bestehen. Das Gerücht besagte, dass er sogar eine Frau an Bord hatte.

So sehr er sich auch bemühte, mehr war nicht aus den Menschen herauszubringen. Sie schienen ihm einen gewissen Respekt, manchmal auch unverhohlene Bewunderung entgegenzubringen. Seine Fähigkeiten, sowohl in der Führung seiner Crew und seines Geschicks im Kampf, und ein gewisser Gerechtigkeitssinn seinen Männern gegenüber hoben ihnen ein bisschen von den anderen, eher derben alten Seebären ab, die derzeit diese Meere bevölkerten. Vielleicht lag es auch einfach an seinem Alter, dass die einen ihn bewunderten und die anderen ihm nacheifern wollten.

Karvanté wollte ihn einfach nur zur Strecke bringen.

Woher wir kamen (Piratenblut 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt