Primrue Mellark | Kapitel 1

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Es war noch dunkel als ich die Augen öffnete.
Die Dämmerung setzte gerade erst ein, doch ich war schon wach, wie immer.
Ich strich mein langes schwarzes Haar aus meinen Gesicht und stand mit einen Seufzer auf.
Ein weiterer Tag in meinem Leben.
Ein weiterer Tag der nichts neues bringen würde.
So war es immer.
Es war Frieden.
Als Tochter von Katniss und Peeta Mellark, beides Gewinner der Hungerspiele und Überlebende der Rebellion, hatte ich nie ein schweres Leben. Meine Eltern liebten mich auch wenn nur mein kleiner Bruder Haymitch dieses bestimmte Leuchten in die Augen meiner Mutter bringt, genau wie mein Vater.
Früher verstand ich nie die Angst und Zurückhaltung meiner Mutter mir gegenüber. Ich wusste, dass sie mich liebte aber trotz allem immer die Angst, mich zu verlieren, dies überwiegt. Ich hatte mich eigentlich schon damit abgefunden als mein Vater mir vor einigen Monaten, an meinen 16 Geburtstag, den Grund dafür nannte.
Natürlich wusste ich von den Hungerspielen, von der Rebellion und von der Rolle die meine Eltern darin gespielt haben, aber ich wusste keine Details. Ich wusste nicht welche Qualen sie beide erlitten hatte, dass mein Vater gefoltert worden war und selbst heute noch manchmal nicht genau wusste was wirklich wahr war und was nicht.
Nie wusste ich, das die Bombe, die meine Tante getötet hatte, wahrscheinlich von dem einst besten Freund meiner Mutter, Gale Hawthorne, erfunden wurden war. Das er sich nie wieder danach bei ihr gemeldet hat oder das mein Vater sich heute noch Vorwürfe machte, dass er seine Familie nicht retten konnte.
Erst nach seiner Erzählung verstand ich warum "Tante" Annie immer so traurig war und ihr lächeln nie ihre Augen erreichte. Ich wusste, dass Finn nach seinen Vater Finnick benannt wurden war, der während der Rebellion gestorben war und nicht einmal wusste, dass er einen Sohn bekam.  Das er sich geopfert hatte, um meine Eltern zu retten. Wäre er und viele andere nicht gewesen, würde es mich wahrscheinlich nicht geben.
Wir sprachen lange an diesen Abend und ich dachte lange darüber nach. Vieles machte danach mehr Sinn, vieles war einfach nur verstörend und ich fragte mich ob ich jemals die Kraft gehabt hätte in so einer Welt zu überleben.
Um niemanden zu wecken schlich ich durch das Haus. Alle schienen zu schlafen und die offene Tür, von dem Zimmer meines Bruder und die angelehnte Tür meiner Eltern, zeigte mir, dass mein Bruder wieder einmal zu ihnen ins Bett geklettert war.
Ich lächelte darüber.
Alle im Distrikt liebten ihn.
Er war die perfekte Mischung aus meinen Eltern, mit dem Charme meines Vaters und dem Temperament meiner Mutter.  Jeden konnte er auf seine Seite ziehen und während er es liebte mit Dad Brot zu backen, schoss er genau so gern mit Pfeil und Bogen. Nur niemals auf etwas lebendes.
Wir brauchten nicht mehr jagen, wir hatten genug.
Haymitch war einfach zu gut für diese Welt.
Manchmal sagte meine Mutter, dass er niemals in der alten Welt überlebt hätte. Dabei lächelte sie jedoch jedes mal so liebevoll, dass ich wusste, dass sie froh darüber war.
Als ich aus der Haustür trat, spürte ich die Kälte des morgens, doch ich hieß sie willkommen. Ich war immer schon wilder gewesen als mein Bruder. Auch wenn ich das dunkle Haar meiner Mutter und die blauen Augen meines Vaters geerbt hatte, war ich weder wie der eine, noch wie der andere. Ich war keine große Hilfe in der Bäckerei, geschweige denn, dass ich jemals etwas mit einen Bogen treffen würde.
Ich war nicht wie mein kleiner Bruder, nicht beliebt.
Ich hatte eine Wut in mir, die ich nie verstanden hatte. Als ich kleiner war, konnte ich diese Wut nicht kontrollieren. Dies änderte sich, als ich einen Jungen, der schlecht über meine Eltern sprach, angriff.
Ich hörte was er sagte und irgend ein Schalter setzte in meinen Kopf um. Ohne Rücksicht auf Verluste griff ich ihn an, wie ein verwundetes Tier, was versuchte sich zu verteidigen. Ich weiß nicht mehr wie lange ich auf den Jungen einschlug bevor mein Vater mich gepackt hatte und mich mit kräftigen Armen festhielt, bis ich mich wieder beruhigte. Ich dachte, meine Mutter würde wütend auf mich sein, doch das war sie nicht.
Sie schaute mich nur mit einen Blick an, der mir heute noch einen Stich ins Herz versetzt, wenn ich daran denke. Es dauerte eine weile, bis ich die geflüsterten Worte um mich hörte.
"Wie diese Karrieros ist sie." ,
"Kein Wunder, wenn die Eltern beide in der Arena waren." und vieles anderes war zu hören. Ich lass das gleiche in den Augen meiner Mutter.
Sie hatte Angst um mich.
Ich wollte ihr nicht wehtun, also unterdrückte ich meine Wut. Doch auch dies war keine Lösung. Ich fühlte mich schlecht, wusste nicht wie mit meinen Gefühlen umzugehen und was ich gegen die Explosion, die irgendwann kommen musste, ankämpfen sollte.
"Opa" Haymitch, dachte ich lächelnd als ich sein Haus betrat, war meine Rettung gewesen. Er merkte, dass ich mich verstellte und das ich ein Ventil für diese unkontrollierte Wut brauchte. Ohne das meine Eltern es wussten, trainierte er mich im Nahkampf, unbewaffnet und später mit Messern. Er fand immer wieder neue Herausforderungen für mich und wenn ich abends nach hause ging war ich geschafft und vollkommen ruhig.
Haymitch war immer so etwas wie mein Großvater gewesen, nachdem ich meine echten Großeltern nie getroffen hatte. Selbst meine noch lebende Großmutter habe ich nie getroffen. Als ich kleiner war hatte sie ein paar mal angerufen aber sie war nie gekommen um uns zu treffen.
Noch etwas, was ich nach meinen 16. Geburtstag, vor ein paar Monaten besser verstand.
Das Haus von Haymitch war still als ich rein kam.
Seit Greasy Sae vor einigen Jahren gestorben war und sich so niemand mehr um den Haushalt von Haymitch kümmerte, hatte ich es übernommen.
Es war eine gute Ausrede warum ich immer hier war , ohne meinen Eltern von meinen Training zu erzählen.
Ich suchte Haymitch als erstes in der Küche, doch als er da nicht wahr, durchsuchte ich das Haus, bis ich ihn schlafend und schnarchend, umringt von leeren Flaschen, in seinen Wohnzimmer, auf den Boden liegend, fand. Wo bekam er nur immer wieder den Alkohol her?
Jeden Tag kam ich so früh wie möglich rüber um all seine Vorräte zu vernichten. Eigentlich dachte ich, dass ich mittlerweile all seine Verstecke kannte, doch dem war anscheinend nicht so. Doch aufgeben würde ich nicht. Wenn ich was von meiner Mutter geerbt hatte, war es meine Dickköpfigkeit. Also machte ich mich auf wieder all seine Verstecke zu leeren und nach neuen zu suchen.
Es dauerte ein paar Stunden, doch als ich mit einer stolzen Ausbeute in die Küche kam, um alles weg zuschütten, saß Haymitch schon wieder Aufrecht am Tisch. Ich nahm ihn die Flasche in seiner Hand ab und schüttete sie mit den anderen weg.
"Wird dir das nicht langsam zu dumm?", grummelte er vor sich hin. Ich schenkte ihn nur kurz ein schiefes Lächeln bevor ich weitermachte. "Du bist schlimmer als dein Vater, weißt du das?"
Wieder antwortete ich nicht auf sein Gemeckere und machte weiter. Er hielt mich nicht auf, was schon mal ein gutes Zeichen war.
Als ich mit diesen morgendlichen Ritual begonnen hatte, endete es immer in einen Kampf, wodurch er meine innerliche Wut überhaupt erst mitbekommen hatte. Er nannte es immer Kampflust aber mich verängstigte es immer noch oft wie schnell ich umschalten konnte auf Angriff.
Als ich fertig war, stellte ich ihn ein Glas Wasser vor die Nase, welches er nur mit einer hochgezogenen Augenbraue bedachte, und fing an sein Haus auf Hochglanz zu polieren. Es dauerte eine Weile, den Alkoholgeruch heraus zu bekommen, doch als ich fertig war, glänze alles wie neu.
"Fleißig wie immer", hörte ich auf einmal hinter mir und erschrak. Haymitch lachte auf. "und auch leicht zu erschrecken wie immer. Sei froh, dass es die Hungerspiele nicht mehr gibt. Wärst du ausgesucht wurden, hättest du wahrscheinlich nicht lange überlebt, einfach weil du vor Schreck gestorben wärst."
Haymitch war der einzige der offen mit mir über die Spiele redete. Alle anderen vermieden das Thema, als wenn es ein schlechtes Omen wäre, darüber zu sprechen.
"Willst du trainieren Primrue?"
Meinen Namen aus Haymitch Mund zu hören war komisch. Meistens nannte er mich nur Kleine und meinen Bruder Krümel. Er behauptete immer, dass es ihm peinlich war, dass meine Eltern ihren Sohn nach ihm benannt hatten aber ich wusste, dass es ihn rührte. So wie er für mich ein Großvaterersatz war, waren meine Eltern für ihn wie Kinder, die er niemals haben würde. Haymitch war glücklich, dass Katniss und Peeta am Ende doch wieder zu einander gefunden hatten aber ich spürte seine Einsamkeit. Etwas was ich auch oft verspürte wenn ich sah, wie die Leute meinen gerade mal 14-jährigen Bruder anlächelten, mir aber eher aus dem Weg gingen, als wenn sie merken würden, dass ich ein wildes Tier in mir versteckte.
Ich wusste, dass ich nach meiner Tante und nach einen Mädchen benannt war, aus Distrikt 11. Erst Haymitch hatte mir erzählt, dass dieses Mädchen Rue ein Tribut in den ersten Spielen meiner Eltern war und eine Allianz mit meiner Mutter hatte. Sie starb, doch sie schien tapfer zu sein. Ich war stolz diesen Namen zu tragen.
"Ja, gern.", antwortete ich wahrheitsgemäß, da ich schon eine ganze Weile ein Kribbeln in den Fingern spürte.
Ein Kribbeln, was meistens nur wegging, wenn ich meine Messer in der Hand hielt. So traten wir heraus in die mittlerweile aufgegangen Sonne. Ich lies sie auf mein Gesicht scheinen und genoss ihre Wärme.
Das ungute Gefühl, welches mich schon so früh aus den Schlaf gerissen hatte, wollte jedoch nicht weggehen. Irgendwas war passiert, doch ich wusste nicht was.
Ich versuchte, den Gedanken abzuschütteln und mich auf das Training zu konzentrieren. Ich warf erst ein paar Messer mit denen ich, anders als mit einen Bogen, fast alles traf und versuchte dann gegen Haymitch anzukommen. Am Anfang war ich immer diejenige, die im Dreck gelegen war, doch mit der Zeit war ich immer besser geworden. Ich war klein aber sehr wendig und schnell. Haymitch hatte mir gezeigt wie ich dies ausnutzen konnte und auch stärkere Gegner mit ihren eignen Schwung besiegen konnte.
Zum Schluss kletterte ich noch durch die Bäume und sprang umher bis ich nach Luft suchend auf den Rücken lag. Ich fühlte mich leer und ohne Kraft.
Herrlich.
Dieser Moment war das schönste am Training. Nicht die Unruhe fühlen, die unbändige Wut auf etwas nicht greifbares, die sich einfach nur auf das nächst beste Ziel werfen wollte. Keine Ahnung wie lange ich so da lag und was Haymitch in der Zeit getan hatte, doch auf einmal erschien sein Kopf über mir.
"Du musst heimgehen.", sagte er nur mit ruhiger Stimme, doch etwas an seinen Gesichtsausdruck gefiel mir nicht und das schlechte Gefühl kam wieder. Ich setzte mich ruckartig auf und fragte:
"Alles okay? Ist etwas passiert?"
"Geh einfach heim, okay?"
Er versuchte mich anzulächeln, doch es gelang ihn nicht wirklich. Da er jedoch einfach zurück in sein Haus ging und die Tür hinter sich schloss, blieb mir nichts anderes übrig als nach Hause zu gehen.
"Ich bin wieder da!", rief ich, als ich durch die Eingangstür kam, doch niemand begrüßte mich wie sonst.
Sei es mein Vater, der mich in die Arme nahm, meine Mutter, die kurz schaute ob es mir auch wirklich gut ging, bevor sie wieder mit einen Lächeln irgendwo verschwand oder mein kleiner Bruder, der mittlerweile so groß war wie ich und mich mit seinen stürmischen Begrüßungen umrannte.
Verwirrt horchte ich wo die anderen waren. Ich hörte nur entfernt Stimmen. Der Fernseher? Es war noch nicht einmal Mittag und der Fernseher lief nur selten in diesen Haushalt.
Meine Eltern waren es einfach noch zu sehr gewöhnt, dass fernsehen nicht immer möglich war und so hatten auch wir es gelernt. Ich ging leise, um niemanden zu stören, in das Wohnzimmer, wo ich meine ganze Familie, auf das Gerät starrend, vorfand. Mein Vater hielt meine Mutter im Arm. Sie war kreidebleich und drückte Haymitch an sich. Ich hatte eindeutig was verpasst.
"Dad?", fragte ich vorsichtig in Richtung meines Vaters und erschrak als ich auch in seinen Augen Angst las, Hilflosigkeit.
Ich kannte dies nicht von meinen Vater.
Er war stark, hatte immer ein Lächeln oder eine Umarmung für mich, egal was ich getan hatte. Mit jeder seiner Atemzüge zeigte er uns allen dreien das er uns liebte, wir alles für ihn waren und er uns immer beschützen würde. Er war die Stärke in dieser Familie, doch diese schien wie verschwunden. Was war passiert?
Auf den Fernseher schauend,  versuchte ich zu verstehen was da vor sich ging, als eine Reporterin sprach: "Die Tragödie hat sich heute Nachts um Rund zwei Uhr zu getragen. Ein Attentäter hat Präsidenten Paylor ermordet. Das Kapitol ist in Aufruhr. Gleich spricht ihr Sohn, der den Posten seiner Mutter, in wenigen Wochen sowieso übernehmen wollte, zu uns."
Die Kamera schwenkte zu einen jungen Mann Ende 20. Ich kannte Trius, jeder kannte den Sohn des Präsidenten, der die Hoffnung war, das System seiner Mutter fortzuführen.
Doch nun sah er nicht wie der stolze Mann aus, den ich immer gesehen hatte. Er wirkte müde und aus seinen Augen war der Glanz verschwunden. Er wirkte fast versteinert, als hätte er alle Emotionen verloren.
"Dieser Mord", fing er an, "war heimtückisch und brutal. Wir können so was nicht zulassen. Wenn der Mörder nicht gestellt wird oder sich nicht freiwillig meldet" , er holte kurz Luft um dann mit fester Stimme zu antworten, "haben meine Berater und ich beschlossen, dass alle bestraft werden müssen. Wenn der Mörder, nicht innerhalb einer Woche geschnappt ist, werden dieses Jahr die Hungerspiele wieder stattfinden."
Ich hatte seine Worte noch nicht einmal richtig verarbeitet, als ich nur sah wie meine Mutter schluchzend die Luft einzog und zu Boden glitt.
Mein Vater nahm sie in den Arm und mein Bruder schaute verängstigt zu mir. Er wusste nicht was ich wusste, was unsere Eltern durchgemacht hatte aber in der Schule hatte er von der Brutalität und den Regel der Spiele gehört.
Es sollte als Warnung sein, das so etwas nie wieder passiert. Haymitch Stimme kam in meinen Kopf wieder zum Vorschein.
"Sei froh, dass es die Hungerspiele nicht mehr gibt. Wärst du ausgesucht wurden, hättest du wahrscheinlich nicht lange überlebt, einfach weil du vor Schreck gestorben wärst."  
Der Mörder konnte überall sein, niemand konnte ihn in einer Woche finden wenn ihn nicht jemand verraten würde. Und mit einer Gewissheit, die auch meine Eltern und mein Bruder zu spüren schienen wusste ich: Sie waren wieder da.
Die Hungerspiele waren wieder da.

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt