Primrue Mellark | Kapitel 20

1.8K 150 11
                                    

Der Regen schlug vor der Höhle unaufhörlich ein.

Wind zog über mein Gesicht, durch den von Bäumen und Büschen versteckten Eingang. Ich begrüßte den Schmerz, der dadurch auf meinen geschundenen Gesicht entstand, auch wenn er bei weitem nicht ausreichte um die Qual in meinen Inneren auszumerzen.

Keine Ahnung, wie lang ich hier schon so lag. Ob es Minuten, Stunden oder gar Tage waren, konnte ich nicht sagen.

Nichts existierte.

Nur die Leere in meinen Inneren und der Schmerz. Irgendwie war ich fest gehangen in dem Moment, in dem die Kanone erklungen war.

Alles bewegte sich weiter nur ich nicht.

Nur schemenhaft erinnerte mich an die Zeit danach. Ich schrie lange und weinte. Weinte, so wie ich es schon lange nicht mehr getan hatte. Ich klammerte mich an den nun leblosen Körper meines kleinen Bruders.

Irgendwann versuchten Hände mich von ihm wegzuziehen.

Ich verkrampfte mich.

"Wir müssen weg, Primrue", hörte ich Dillian sanft hinter mir sprechen. "Nicht nur, dass die Regeln es so wollten, auch die anderen werden bald hier sein."

Wieder packte er mich bei den Schultern. Fester.

Panik stieg in mir auf.

"NEIN", schrie ich ihn an und klammerte mich regelrecht wieder an Haymitch.

Ich merkte, wie Dillian hinter mir zusammenzuckte, als hätte ich ihn geschlagen. Seine Hände ließen mich wieder los aber er blieb hinter mir stehen. Wartete.

Als der Schock langsam etwas nachließ, spürte ich wieder die Schmerzen in meinem Gesicht.

Haymitchs Blut vermischte sich mit meinem.

Ich fühlte mich schwach und schwindelig.

Bevor ich mich dagegen wehren konnte, merkte ich, wie mein Bruder mir langsam aus den Armen glitt und ich zur Seite wegkippte. Ich wartete darauf, wieder auf den Boden aufzuschlagen aber es passierte nicht. Eine große, warme Hand fing mich vorher auf.

"Ich hab dich.",erklärte Dillian leise.

Vorsichtig schob er seine zweite Hand unter meine Kniekehlen und hob mich langsam hoch.

Trotz seiner Vorsicht, schoss ein heißer Schmerz durch meinen Kopf und ich biss schmerzhaft die Zähne aufeinander.

"Tut mir Leid.", entschuldigte er sich und lehnte mich leicht gegen seine Brust, sodass mein Kopf an seiner Schulter ruhen konnte.

Ich war zu schwach um mich zu wehren und irgendwo in meinen Inneren wusste ich, dass er Recht hatte. Wir würden hier nicht lange allein sein. Dillian hatte sich alle Taschen umgeworfen und auch die Pfeile eingesammelt.

Daran war nichts falsches, aber ich war trotzdem wütend auf ihn.

Haymitch war gerade erst gestorben und er dachte nur daran, alle Toten zu plündern. Seine Lehrer wären bestimmt sehr stolz auf ihn. Was für ein guter Soldat.

Ich versuchte an der Wut festzuhalten. Alles war gut, solange es höchstens ein wenig von den eben passierten ablenkte. Als Dillian jedoch langsam losging, merkte ich, wie ich mit jeden Schritt panischer wurde.

Ich konnte ihn doch nicht so dort liegen lassen!

Allein, zwischen den anderen.

Einer von vielen!

Als sich meine Atmung beschleunigte, fing Dillian an beruhigend auf mich einzureden. Ich könnte jetzt nicht einmal mehr sagen, was es war, aber allein der Klang seiner Stimme beruhigte mich.

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt