Primrue Mellark | Kapitel 6

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Das durfte doch nicht wahr sein!
So viel zum Thema "Und möge das Glück stets mit euch sein!"
Wenn ich daran dachte, musste ich fast lachen.
Glück? Das hatten wir nun wirklich nicht.
Ich bekam nur noch halb mit, wie die anderen Mentoren verteilt wurden.
Finn bekam Distrikt Zwei.
War ja klar.
Steckt die Soldaten mit dem beliebtesten Mentor zusammen.
Nur so wie alles lief, würde ich mir darum keine Sorgen mehr machen müssen. Ich würde es nicht mal bis in die Arena schaffen!
Caesar machte noch ein paar Witze, um die Leute anzuheizen, bevor er den Mentoren, dass Zeichen gab, zu ihren Distrikten zu gehen.
Cato wollte ohne große Umschweife zu uns kommen, wurde aber noch kurz von einem anderen Mentor aufgehalten.
Finn nutzte dies aus und kam schnell zu uns rüber, auch wenn er sich dafür einen verwirrten Blick seines weiblichen Tributes einfing.
Ich versuchte nicht zu ängstlich zu klingen, als er bei uns ankam, und doch kam nur eine Art piepsen heraus: "Er wird uns töten, noch ehe wir in der Arena sind."
"Nein nicht verzweifeln Primrue", sprach Finn mir gut zu und drückte kurz die Schulter von Haymitch, bevor er an mich gewandt weitersprach, "Cato ist vielleicht der schlimmste Mentor den ihr kriegen konntet, aber nur wenn ihr ihn nicht kennt. Er will gewinnen, dass weiß ich, also muss er einen von euch beiden unterstützen!"
Sein Blick bohrte sich in meinen und ich verstand was er mir sagen wollte.
Bring Cato gegen dich auf. Beweis ihm, dass du dafür sorgst, dass Haymitch überlebt. Dann wird er ihn in Ruhe lassen und sich auf dich fixieren.
Warum schienen alle meinen Plan, nicht überleben zu wollen, durchschaut zu haben?
Ich konnte ihm nur noch kurz zunicken, bevor Cato hinter ihm auftauchte.
"Willst du was bestimmtes von meinen Tributen?"
"Man muss doch die Konkurrenz kennen", konterte Finn, mit einen Lächeln, auf das unser Mentor nicht einging.
"Ach ja? Dann schau mal lieber, dass deine beiden Tribute selber fit werden. Sie sind sich zu selbstsicher, besonders das Mädchen. Wahrscheinlich überlebt sie nicht mal den ersten Tag."
Damit schien das Gespräch für Cato beendet und er ging Richtung unseres Pferdes, wo nun ein zweites, ebenfalls Schwarzes, stand.
Als wir nicht gleich reagierten, drehte er sich noch einmal um und zog seine rechte Augenbraue hoch.
"Bewegt ihr euch heute noch, oder soll ich euch tragen?"
Sein Blick sagte mir, dass wir darauf lieber nicht antworten sollten. Jedoch war Haymitch sogar schneller als ich.
Er schaute Cato fast mit dem gleichen Abscheu an, als er an ihm vorbei ging.
Na ja.
Wenigstens hatte er nicht sarkastisch darauf reagiert.
Wenn Blicke jedoch töten könnten, wüsste ich nicht wer eher von den beiden Tot umfallen würde.
Ich schaute noch einmal zu Finn und in seinem Gesicht schien das gleiche geschrieben zu stehen, was ich dachte. Das ging ja gut los, mit den beiden.
Ich beeilte mich, ihnen zu folgen. Beide waren sie schon auf ihren Pferden, als auch ich mich hinter Haymitch hin aufschwang.
Wir warteten bis alle anderen vor uns los geritten waren, bis wir uns neben unseren Mentor einreihten. Zumindest optisch passten wir gerade gut zusammen.
Jeder von uns dreien versuchte grimmiger, als der andere zu schauen. Während alle anderen freundlich winkten und mit einander redeten, fielen wir so natürlich wieder auf.
Ob positiv, war eine andere Frage.
Das Trainingscenter, in dem schon meine Eltern trainiert hatten, war wieder aufgebaut und renoviert wurden. Effie und unsere Stylisten erwarteten uns schon.
Auch wenn das Gesicht unsere Betreuerin kurz entgleiste, als sie Cato sah, hatte sie sich doch schnell genug wieder unter Kontrolle um ihn ein freundliches Lächeln zu schenken.
"Es ist schön sie in unseren Team zu haben Herr Teenan. Wir werden bestimmt das Beste aus unseren Tributen raus holen und..."
Wahrscheinlich hätte Effie noch ewig weiter reden können, hätte Cato in dem Moment sie nicht einfach links liegen gelassen und laut in die Runde gefragt: "Wie stellt man das aus? Die Stimme ist ja kaum zu ertragen!" 
Haymitch und ich verkniffen uns beide tapfer ein Lachen, aber als wir dann Effies empörtes Gesicht sahen, muss uns wohl doch ein Laut entwischt sein, da sie uns böse ansah.
"Runter vom Pferd", schimpfte sie. "Ihr brecht euch noch das Genick bevor die Spiele losgehen. Wie stehe ich denn dann da! Beeilt euch und dann hoch mit euch, in Etage 12!" Damit stolzierte sie davon.
Alle warteten bis sie wirklich außer Hörweite war, bevor auch unsere Stylisten anfingen zu lachen.
Es tat gut, so etwas wieder zu tun und es fühlte sie merkwürdig an, dass gerade Cato, wenn auch eindeutig unbeabsichtigt, dies geschafft hatte.
Quintus half uns, immer noch kichernd, vom Pferd und wir gingen zusammen zum Aufzug. Cato und Effie schienen jeweils allein hochgefahren zu sein und auch alle anderen Distrikte waren schon auf ihren Etagen verschwunden.
So mussten wir nicht langer warten und als wir oben ankamen, blieb Haymitch abrupt stehen.
"Wow", hauchte er nur und lief, wie ein kleines Kind in den Raum, um sich umzusehen.
Ja, wow.
Schon wieder so viel sinnloses Zeug, was man nicht braucht! schoss es mir durch den Kopf.
Immerhin konnte sich mein kleiner Bruder darüber freuen. So ließen wir ihn ein bisschen herum laufen und aus dem Fenster schauen. Irgendwann zog es ihn wie von selbst zum Tisch.
Das Essen roch gut und Cato hatte auch schon zugeschlagen. Effie rümpfte nur die Nase und wartete, bis wir uns alle gesetzt hatten.
Das Essen verlief in einer Art unangenehmen Schweigens, welches Caleo oder Quintus ein paar Mal versuchten zu unterbrechen, es aber nicht wirklich schafften. Ich nutzte einen ihrer Momente um ein Messer unter meinen Sachen verschwinden zu lassen. Man wusste nie was unser Mentor vorhatte und Vorsicht war besser als Nachsicht.
Als das Essen vorbei war, verabschiedeten sich unsere Stylisten schnell und auch Effie gähnte theatralisch.
"Hach, was für ein anstrengender Tag und morgen wird es noch schlimmer!", gab sie uns zu verstehen und verschwand in Richtung ihres Zimmers.
Als wenn sie heute viel getan hätte.
Ich gab Haymitch ein Zeichen mit dem Kopf und wir standen beide auf. Als wir in Richtung der Schlafzimmer verschwinden wollten hielt uns jedoch Catos Stimme auf.
"Wo wollt ihr hin?"
"Ins Bett", erklärte ich, ohne mich umzudrehen. "Du hast Effie doch gehört. Morgen wird es noch anstrengender."
"Was, wenn ich sage, dass ihr nicht ins Bett geht?"
Ich mochte nicht, wie seine Stimme dabei klang.
Gefährlich, provozierend.
Geh nicht darauf ein, dachte ich mir.
Musste ich auch nicht.
Haymitch tat es für mich.
Er drehte sich nur halb um und fragte sarkastisch: "Willst du uns durch Schlafentzug schon vorher umbringen, oder uns nur solange wach halten, das wir uns in der Minute auf dem Podest in der Arena nicht still halten können?"
"Vielleicht", gab Cato ruhig zurück, "Vielleicht will ich aber auch nur das ihr besser vorbereitet seid, als jetzt."
Danach ging alles ganz schnell.
Ich war noch halb in der Drehung, als ich sah wie etwas rasend schnell auf Haymitch zuflog.
War das ein Messer?
Verdammt!
Mein Bruder hatte es Gott sei Dank eher gesehen, als ich und konnte sich gerade noch wegdrehen, bevor es ihn getroffen hätte.
Aber das war zu knapp gewesen.
Ich sah rot und das meine ich wörtlich. Es war, als wenn sich meine Sicht veränderte.
Das Messer in der Wand hinter meinen Bruder, sein geschockter Blick; all das rückte in die Ferne, wurde verschwommen.
Nur Cato sah ich kristallklar. Das Leuchten in seinen Augen, das leichte Lächeln.
Ohne es zu merken brüllte ich auf und rannte auf ihn zu.
In meiner Hand war auf einmal das Messer, welches ich vorhin eingesteckt hatte.
Cato hatte damit eindeutig nicht gerechnet, das sah ich seinen überraschten Blick an, aber er fing sich schnell wieder.
Bei ihm angekommen, sprang er auf und wollte mich packen, doch ich war schneller. Geschickt wich ich aus, indem ich mich von der Tischkante abstieß und mit einen Rückwartssalto über ihn sprang.
Ich war noch nicht mal richtig gelandet, als ich auch schon mein Bein ausstreckte um ihn die Beine wegzuziehen.
Darauf nicht vorbereitet, verlor Cato das Gleichgewicht und fiel nach hinten um.
In diesem Moment, war mir das jedoch noch nicht genug. Irgendetwas tief in mir drin wollte Blut sehen.
Ich sprang auf und hielt ihm am Boden fest, indem ich mich auf ihn setzte, seine Schultern mit meinen Knien fixierend, das Messer hoch über meinen Kopf erhoben um zuzustechen.
Was tat ich da? Schoss es mir durch den Kopf und ich schaute geschockt auf meinen Mentor.
Dieser nutzte meine Verwirrtheit und seine überlegende Stärke, um mich von sich zu werfen.
Nun war ich diejenige, die schmerzhaft auf dem harten Boden aufkam.
Es drückte mir regelrecht die Luft aus den Lungen und ich konnte das Messer nicht festhalten, welches dadurch schlitternd über den Boden rutschte. Bevor ich jedoch überhaupt ans Luft holen denken konnte, saß auch schon Cato auf mir, wie ich vorher auf ihm.
Gott, er wog mindestens eine Tonne!
"Nicht schlecht, Kleine! Nicht schlecht!", erklärte Cato kaum außer Atem, "Haben euch eure Eltern doch nicht so verwöhnt, wie ich gedacht hatte?"
Ich konnte nicht antworten, da ich immer noch nicht wirklich atmen konnte.
Um so froher war ich, als er endlich von mir hinunterstieg. Es tat weh einzuatmen, aber es tat gleichzeitig auch so gut. Ich versuchte nicht glücklich aufzuseufzen, als wieder Sauerstoff in meine Lungen strömte.
"Beim nächsten Mal musst du sofort zustechen. In der Arena kann dich dein Zögern das Leben kosten."
Er wusste auch immer wieder, wie man er mich dazu bringen konnte, ihn nicht zu mögen.
Langsam stand ich auf und schaute Richtung Haymitch.
Mein kleiner Bruder schaute geschockt zwischen mir und Cato hin und her.
Oh Mist.
Das sollte er eigentlich nicht vor der Arena sehen.
"Und du, Kleiner", riss mein Mentor mich aus meinen Gedanken, "hast wirklich gute Reflexe, nicht schlecht. Aber ihr müsst immer auf einen Angriff vorbereitet sein. Sonst seit ihr schneller tot als ihr 'Hungerspiele' sagen könnt."
Mit diesen Worten ging er nun selbst in Richtung Schlafzimmer.
Pfiff er?
Er pfiff tatsächlich glücklich vor sich hin! Was für ein...
"Alles okay mit dir?", fragte mein Bruder, auf einmal neben mir stehend.
So viel zum Thema Aufmerksamkeit.
"Mir geht es gut. Bin schon öfter durch die Gegend geworfen worden."
Ich schaute ihn von oben bis unten an.
"Und du? Hat er dich auch wirklich nicht getroffen?"
Mein Bruder überging die Frage einfach und stellte seinerseits eine: "Wer hat dir das beigebracht?"
Ich zog nur eine Augenbraue hoch und er beantwortete seine eigene Frage.
"Haymitch"
Grinsend ging ich auf die Suche nach meinem Messer, welches irgendwo unter dem Sofa zum liegen gekommen war. Als ich gerade meine Hand danach ausstreckte, hörte ich leise die Stimme meines Bruders: "Ich dachte, du hättest das unter Kontrolle. Ich meine, mit der Wut"
Stille.
Wollte ich darauf antworten?
Dachte ich nicht selber noch bis vor kurzen, dass ich es unter Kontrolle hatte?
Seufzend kam ich wieder unter dem Sofa hervor. Irgendwann würden wir dieses Gespräch führen.
"Haymitch hat täglich mit mir trainiert, wenn ich bei ihm war. Das hat mir geholfen, weißt du? Ob ich es jemals unter Kontrolle hatte? Keine Ahnung? Werd ich es in der Arena haben? Ich hoffe es, aber immer, wenn jemand dich oder unsere Eltern angreift, schaltet sich irgendwas in meinem Kopf um. Keine Ahnung. Ich will das nicht aber ich komm nicht dagegen an. Wahrscheinlich wird es besser, wenn ich morgen trainiert habe."
"Okay", gab mein Bruder nur von sich.
Er schaute mich nicht an.
"Haymitch. Du weißt doch, dass ich dir nie etwas tun würde, oder?"
Nun hob er den Kopf und unsere Blicke trafen sich.
Seiner tat weh.
Er wusste es nicht. Wusste nicht, ob er mir noch trauen konnte, wenn ich in dem Zustand war.
Meine Familie liebte mich, aber sie dachten die ganze Zeit ich hätte diese Aggressionen unter Kontrolle gebracht.
Dachten meine Eltern auch, ich könnte sie verletzten und auf sie losgehen, wenn ich so war?
Plötzlich war ich unglaublich müde und ich spürte auch wieder die Nachwirkung von dieser verdammten Spritze.
"Geh ins Bett, Krümel.", versuchte ich liebevoll zu sagen.
Haymitch nickte nur kurz und lief dann in Richtung seines Zimmers. Ich wartete, bis ich hörte, dass seine Tür auf und wieder zuging. Erst dann stand ich auf und machte mich selber auf den Weg.
In meinen eigenen Gedanken versunken, hätte ich kaum bemerkt, dass die erste Schlafzimmertür offen stand.
Doch das war sie und Cato lehnte am Türpfosten.
Sein Blick verstörte mich.
Verstehend. Er schaute als würde er mich verstehen. Als würde er in mich hineinsehen.
"Schon mal davon gehört, dass es unhöflich ist zu lauschen?", fuhr ich ihn an. Cato ließ sich nicht provozieren. Er lachte nur kurz auf, trat wieder in sein Zimmer zurück und sagte, bevor er die Tür schloss: "Geh schlafen!"
Ja, schlafen.
Gute Idee.
Und so schleppte ich mich in mein Zimmer. Zu müde, um noch unter die Dusche zu gehen, tauschte ich mein Paradeoutfit nur gegen ein langes T-Shirt und legte mich ins Bett.
Als ich die Augen schloss, verfolgte mich Catos Blick in meine Träume.

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt