Primrue Mellark | Kapitel 24

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Nach den ohrenbetäubenden Schüssen war die Stille fast unerträglich. Immer noch zwischen Crash und Lupo sitzend, traute ich mich nicht aufzuschauen. Ich starrte auf die ineinander verschränkten Hände der beiden und wusste, dass es nun bald vorbei sein würde.
Für mich. Da war ich mir sicher. Ich würde Dillian nicht sterben lassen.
"Lass uns etwas weggehen.", riss Dillian Stimme mich aus meinen Gedanken und ich schaute auf. Er zeigte mit den Kopf in die Richtung in die er wollte und ging los. Mit einen Seufzen griff ich nach einem meiner Dolche, ohne hinzusehen.
Er war nicht mehr da. Daneben gegriffen hatte ich auch nicht, wie ich feststelle, als ich hinsah. Der andere war auch verschwunden.
Dillian.
Als ich mit dem dummen umher starren beschäftigt war, hatte er sie genommen. Na gut. Ich hatte noch meine Wurfmesser, die würden für mich reichen.
Langsam stand ich auf und folgte ihm. Er stand etwas abseits, aber immer noch auf der Anhöhe des Füllhorns.
Als Dillian mich kommen hörte, drehte er sich um und streckte mir eine Hand entgegen.
Ich nahm sie und ließ mich von ihm in seine Arme ziehe.
Fast schmerzhaft presste er mich an sich, doch ich sagte nichts. Umarmte ihn mit der gleichen Intensität.
"Wir haben es geschafft.", flüsterte er.
Ich konnte nicht antworten. Tränen traten mir in die Augen.
Ja, wir hatten es geschafft. Aber das einzige was es bedeutete war, dass wir uns nun trennen müssten.
Für immer.
Langsam versuchte er, mich loszulassen. Ich wollte erst nicht nachgeben, tat es dann aber doch und schaute zu ihm auf.
Dann fasste er an seinen Kragen und zauberte eine Kette hervor, an der ein schlichter, aber wunderschöner Ring hing.
Ohne den Blick von dem Ring zu lösen erklärte er: "Ich kann mich nicht an viel von meiner Mutter erinnern. Ich war klein, als sie starb. Aber ich erinnere mich immer an den Tag, an dem ich sie zum letzten Mal gesehen habe. Sie lag in diesem riesen Bett, wirkte winzig und zerbrechlich darin. Mein Vater stand am Fenster, schaute hinaus. Damals war ich wütend auf ihn, dass er keine Emotionen zeigte. Nicht weinte, wie ich. Aber er war die ganze Zeit bei ihr. Hatte nicht einmal ihr Zimmer verlassen. Meine Mutter rief mich zu sich. Ich kletterte auf das Bett und kuschelte mich in ihre Arme. Sie beruhigte mich und zeigte mir dann den Ring. Leise erklärte mir sie damals, dass dies das Zeichen war, welches sie in ihrem Leben am glücklichsten gemacht hatte. Die Frau meines Vaters zu werden und mich zu bekommen, dafür stand er. Ich sollte diesen Ring gut aufbewahren, immer bei mir tragen und eines Tages, wenn ich sicher wäre, ihn dem Mädchen geben, von dem ich hoffte, dass es das gleiche fühlte, wenn sie diesen Ring tragen würde."
Sein Blick wanderte von dem Ring zu mir.
"Ich hab ihn seit jenem Tag getragen, aber ich habe nie daran gedacht ihn jemals wegzugeben. Was war schon so toll daran gewesen? Meine Mutter war gestorben und ihr Mann zeigte ihr nie seine Gefühle. Jetzt verstehe ich sie. Zu dumm, dass ich dafür erst in diese Spiele musste."
Bevor ich etwas sagen konnte, hatte er die Kette über meinen Kopf gleiten lassen und ich spürte das leichte Gewicht um meinen Hals.
"Wir hatten nicht viel Zeit, Primrue aber ich will, dass du weißt, dass ich sie gegen nichts in der Welt jemals eintauschen würde."
Dann beugte er sich zu mir hinunter und wir küssten uns. Sanft, langsam. So anders als die Küsse zuvor.
Ein Abschiedskuss.
Ich konnte nicht verhindern, dass ich weinte.
Tränen liefen über meine Wangen, während ich immer noch eng an ihn geschmiegt war.
Der Regen ließ nach, hörte aber nicht ganz auf.
Es war still um uns herum, als wenn die Spielmacher dafür sorgten, dass niemand auch nur ein einzelnes Wort von uns beiden verpassen würde.
Diese kranken Bastarde.
Als wir uns von einander lösten, blieben wir beieinander stehen und schauten uns gegenseitig an.
Dillian strich mir eine Strähne aus dem Gesicht, ich berührte vorsichtig seine Lippen mit den Fingern. Es war, als würden wir versuchen uns jeden Millimeter des anderen einzuprägen.
"Wein nicht", flüsterte Dillian, als meine Tränen nicht versiegen wollten.
"Tut mir Leid", gab ich als Antwort und er lächelte.
Allein dieses Lächeln ließ mich meinen Beschluss zu sterben bestätigen.
Er war besser als ich. Irgendwie würde er unsere Familien zusammenbringen können, ihnen allen helfen, während ich nur noch ein Schatten meiner selbst war.
Ich war nur noch eine Hülle, nicht mehr.
Er war stärker, er würde es überstehen. Die Verluste, die vielen Toten.
Bei mir stellte sich selbst schon Panik ein, wenn ich nur daran dachte, die Augen zu schließen. Alle anderen Tribute waren dann da, manchmal sogar wenn ich meine Augen offen hatte. Das würde ich nicht überstehen. Ich würde nur wahnsinnig werden, wie so viele andere Gewinner vor mir.
Wie Annie.
Nur das ich keinen Sohn haben würde, der dafür sorgt, dass ich nicht komplett zerbreche.
Ja, meine Entscheidung war die Richtige und auch Dillian würde mich nicht davon abhalten können.
Entschlossen trat ich einen Schritt zurück und zog eines meiner Messer. Erst schaute Dillian verwirrt, dann lächelte er. "Willst du mich umbringen?", fragte er. Immer noch dieses Lächeln, welches mich von Anfang an schwach werden ließ. Aber jetzt, dieses Mal, würde ich die stärkere von uns beiden sein. Nicht nachgeben. 
Ich schüttelte nur den Kopf, worauf sein Lächeln verschwand. Langsam dämmerte ihm mein Plan.
"Ich kann nicht, Dillian", erklärte ich ihm leise und ich hasste mich dafür, dass meine Stimme so zerbrechlich klang. "All das hier. Alles was passiert ist. Ich kann es nicht vergessen. Ich bin nicht stark genug. Lupo hatte Recht. Ich verstehe. Wir wollten beide sterben, aber eben nicht umsonst. Wenn wir schon sterben, dann wollten wir sicher sein, dass wir hier jemanden raus bringen. Und das bist du Dillian. Nicht ich. Du bist stark genug, um das alles aufzuhalten. Um es zu beenden. Unsere Familien wieder zusammen zu bringen. Du hattest Recht. Das sehe ich jetzt. Auch wenn es die Geschichte unserer Eltern war, ist es auch unsere. So sehr wir uns wünschen, dass es nicht so ist, wir werden immer daran erinnert. Daran gemessen, wer wir sind. Und ich kann das nicht mehr."
Ich schaute ihn an und bevor ich es mir richtig überlegte, sprudelte es mir heraus.
"Ich bin froh, dass ich dich kennen lernen durfte Dillian. Du bist das Beste was mir je passieren konnte. Ich wünschte wir hätten uns anders kennengelernt."
Dann hob ich das Messer, um zuzustechen, doch Dillian schrie auf, so dass ich wieder zu ihm sah.
Sein Gesicht wirkte entsetzt. Es tat mir Leid aber er würde mich nicht aufhalten.
Dann griff er in seine Hosentasche.
Verwirrt schaute ich zu.
Verstand nicht was für eine kleine Kapsel er da raus holte.
Dann traf es mich wie ein Blitz.
Nachtriegel.
"NEIN", schrie ich auf und rannte zu ihm.
Zu langsam kam ich bei ihm an, die Pille schon in seinen Mund verschwunden.
Ich griff nach seinen Gesicht und forderte: "Spuck sie aus. Verdammt noch mal spuck sie aus."
Er lächelte traurig und schüttelte den Kopf.
Tränen brachen aus mir heraus und ich flehte: "Bitte Dillian, bitte."
Ich sah den Moment in dem er sie zerbrach. Das Gift langsam in seinen Körper eindrang. "Warum tust du mir das an? Ich kann nicht ohne dich leben, ohne Haymitch.", schrie ich ihn mit purer Verzweiflung an.
Leise flüsterte er: "Entschuldige."
Langsam ging er in die Knie, zog mich mit sich, da ich sein Gewicht nicht halten konnte.
Ich weinte. Konnte nicht stark sein, wie bei Haymitch.
Dillians Kopf lehnte an meiner Schulter. Ich hörte seinen schweren Atem und flehte ihn an, nicht zu sterben.
Doch er tat es.
Nach nur wenigen Sekunden wurde seine Atmung langsamer, sein Griff an meinen Armen schwächer, bis seine Hände einfach nach unten sackten und der Kanonenknall ertönte.
Ich konnte es nicht glauben, flehte immer noch, weinte.
Bettelte, dass die Spielmacher ihn retten sollten, verfluchte sie.
Als keine Reaktion kam, hielt ich ihn einfach fest und weinte.
Ich wollte nicht gewinnen. Wollte einfach nur aus diesem Alptraum erwachen, der mein Leben war.
Doch es geschah nichts.
Als das Hovercraft über mir auftauchte, und die Leiter herunterkam, beschloss ich zu sterben.
Es tat mir Leid für meine Eltern aber ich konnte nicht. War nicht stark genug.
Schnellstmöglich griff ich nach meinen Messer, ohne Dillian ganz loszulassen.
Doch ich war nicht schnell genug.
Gerade als ich die Klinge an meinen Hals ansetzte und durchziehen wollte, ergriff eine viel größere Hand, die meine und hielt mich auf.
Ich kannte diese Hand. Sie hatte mich schon einmal gewürgt.
Cato war hier. Mein Mentor.
Also hätte er gewusst, wie es ausgehen würde und auch wie ich reagieren würde. Und dann kam mir auch kurzzeitig die Frage woher Dillian überhaupt die Pille haben konnte.
Nicht aus der Arena.
Jemand musste sie ihm geschickt haben und ich erinnerte mich an das Päckchen von Finn an ihn.
Das, welchem ich keine Beachtung geschenkt hatte.
Die drei hatten es gewusst.
Als Cato das Messer aus meiner Hand entfernte schrie ich.
Der Schrei klang mehr wie der eines verletzten Tieres, als der eines Menschen aber das war mir egal. Ich fühlte mich nicht mehr menschlich.
Ich fühlte Verrat und Schmerz und Wut, aber an meisten Verzweiflung. Mehrere Hände griffen nach mir und versuchten mich von Dillian wegzuziehen.
Ich sah nichts mehr. Alles war schwarz. Ob das an meiner Kopfverletzung lag oder nicht, war mir egal.
Vielleicht hätte ich ja noch das Glück daran zu sterben.
Ich wehrte mich so gut ich konnte. Trat um mich, traf und hörte nicht auf zu schreien, bis eine Hand meinen Arm zu fassen bekam.
Ich spürte einen Stich und merkte es schwerer wurde sich zu bewegen.
Sie hatten mich betäubt.
Meine Gedanken, bevor ich weg dämmerte, galten Dillians letzten Worten, die er, kurz bevor er starb, mir ins Ohr geflüstert hatte: "Ich liebe dich."

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt