Primrue Mellark | Kapitel 18

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Ich konnte ihn nur geschockt anstarren. Er sah aus wie er. So wie er damals war, als er selbst in die Spiele musste. Als er meiner Mutter seine Liebe gestand. Als die Rebellion ihren Anfang nahm und die Welt erschuf, in der ich nun lebte.
Ich versuchte in ihm nicht meinen Vater zu sehen, aber es ging nicht.
Das war auch Kellys Todesurteil gewesen. Jeder im Distrikt Vier kannte Finnick. Sie verehrten ihn. Liebten Annie und Finn. Niemals hätte sie diese Kreatur angreifen können.
Er machte einen langsamen Schritt auf mich zu und sein höhnisches Grinsen wurde noch breiter.
Schau auf seine Augen, redete ich auf mich ein. Das ist nicht dein Vater, das ist ein Monster. Und diese Kreatur wird dich töten wenn du dich nicht wehrst.
"Hallo Kleines.", sagte er auf einmal mit der Stimme meines Vaters und ich zuckte zusammen. "Willst du deinen Daddy nicht umarmen?"
"Du bist nicht mein Vater!", widersprach ich und er lachte auf.
Bei dem Geräusch lief es mir kalt den Rücken hinunter.
"Sicher?", fragte er mich. "Ich meine, unsere DNS ist die selbe. Rein theoretisch bin ich also sehr wohl dein Vater."
Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, aber ich versuchte standhaft zu bleiben.
"Du bist kein bisschen wie er."
"Wirklich? Oh na ja. Ich habe noch beide Beine, das stimmt. Und ich laufe nicht einer Frau hinterher, wie ein kleiner Schoßhund, aber sonst..."
Ich wurde wütend, wie immer wenn jemand schlecht über meine Familie redete. Meinen Dolch griffbereit, stürmte ich auf ihn zu und rammte mein Messer nach vorn. Nur das dort niemand mehr stand. Er war zur Seite ausgewichen und stand nun genau neben mir.
Wie zum Henker -
Ich konnte mein Gleichgewicht gerade so wiederfinden, stolperte aber noch ein paar Schritte von ihm weg, bevor ich ihn böse an funkelte.
"Das ist mein Mädchen!", erklärte er stolz.
Er begann auf und ab zu gehen. Es machte mich nervös, aber ich versuchte das Kribbeln in meinen Armen zu unterdrücken.
"Weißt du", begann er dann zu sprechen, "wie ich den alten Peeta kenne, hat er dir so etwas nie gesagt. Zumindest nicht wenn es um deine Kampftechniken geht. War er geschockt, als er die das erste mal hat ausrasten sehen? Und Katniss? War sie traurig als sie sah, das du vielleicht die zwei wichtigsten Namen in ihren Leben trugst, aber ihnen nicht gerecht wurdest? Nicht sanft und liebevoll warst, wie sie? Das du lieber verletzten wolltest, anstatt zu heilen?"
Seine Worte trafen mich tiefer als ich dachte.
War es nicht genau das gewesen, was ich mich die ganzen Jahre gefragt hatte, als ich damals ihre entsetzten Gesichter gesehen hatte? Woher wusste er das alles? Ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, aber er schien es trotzdem zu sehen, denn sein Lächeln wurde wieder etwas breiter, bevor es verschwand.
"Weißt du, ich hätte dich immer gelobt. Dich trainiert. Da draußen gibt es viel Böses. Das Kapitol war nicht der einzige Feind deiner Eltern. Viele haben auch unter der Rebellion gelitten. Nicht jedem geht es so gut wie euch. Die Helden der Rebellion! Siegreich kehrten sie zurück. Das einst sich so sehr liebende Paar fand wieder zu einander. Nicht einmal Folter und Verrat brachten sie auseinander. Sie bekamen sogar Kinder, die glücklich auf den Feldern des Distrikt 12 spielten." Er wischte sich theatralisch eine imaginäre Träne weg. "Schön, oder? Hat dir jemand gesagt, dass das Feld auf dem ihr als Kinder immer gespielt habt eigentlich ein riesiges Massengrab ist? Dass dort die durch den Bombenhagel getöteten lagen? Die Toten, die nur wegen der Rebellion gestorben waren? Deine Großeltern, deine beiden Onkel, MEINE FAMILIE, auf denen ihr herum getrampelt seid!?"
Seine Stimme wurde immer lauter und überschlug sich am Ende halb. Er war wieder zwei Schritte auf mich zugekommen und ich wich zurück.
Was immer er war, er war fest davon überzeugt. Regelrecht geimpft mit den Hass auf uns und die Rebellion.
Und ich wusste auch, welcher Spielmacher dahinter steckte.
Nur der höchste konnte solche Dinge anordnen und nun wusste ich auch, was ich in den Augen von diesem Geiergesicht, dem Hauptspielmacher, gesehen hatte.
Hass.
Blanker Hass.
Die gleiche Art Hass, die mir nun von diesen Peeta-Ding entgegenschlug. Das war krank und ich wusste, dass Paylor dies niemals zugelassen hätte, wenn er etwas davon gewusst hätte. Oder zumindest hoffte ich es.
"Sie waren nie deine Familie!", warf ich ihn entgegen, "Du bist nur eine kranke Kreation eines Wahnsinnigen. Ein Monster!"
Er blieb starr stehen und schaute mich hasserfüllt an. Ich war mir sicher, dass er nun gleich angreifen würde, aber er beruhigte sich wieder. Lächelte sogar leicht.
"Es ist schon interessant.", fing die Kreatur wieder an zu reden, "Dein Blick, so voller Abscheu und Wut, gemischt mit Angst. Ist das nicht genau der Blick, der dich schon dein ganzes Leben verfolgt? Wie die Leute dich immer angesehen haben seit dem Tag? Egal wie sehr du versuchtest nett und unschuldig auszusehen, niemand kaufte es dir ab. Alle wussten, was du bist. Du nennst mich eine kranke Kreation? Aber bist du nicht selber eine? Auch wenn du versuchst, diese innere Stimme zu ignorieren, die Wut zu unterdrücken, du kannst es nicht. Das zeigst du immer wieder. Eine kranke Kreation von Mutter Natur. Also frage ich dich: Wer ist das wirkliche Monster von uns beiden?"
"Hör auf!", knurrte ich ihn an. Tränen traten in meine Augen.
Er traf mich wieder. Hart im Inneren.
War es nicht das, was ich die ganze Zeit dachte. Es laut ausgesprochen, von einen anderen zu hören, machte es nur noch schlimmer.
"Warum?", fragte er ruhig. "Weil du die Wahrheit nicht hören willst? Weil es zu sehr wehtut? Weil du weißt, dass alle nur Angst vor dir haben? Niemand liebt dich, Primrue. Sie haben nur Angst davor, was passiert, wenn du es erfährst" Geschockt hielt er sich die Hand vor den Mund. "Ups. Jetzt hab ich es dir ja gesagt. Na ja", er grinste wieder breit, "dann werde ich anscheinend zum Wohl aller jetzt leider dafür Sorgen müssen, dass du nicht lebend aus dieser Arena heraus kommst."
Ohne ein weiteres Wort griff er blitzschnell an, ein gefährlich aussehendes Messer auf einmal in seiner Hand. Es war mehr Glück und Reflex als Können, dass ich den ersten Hieb auswich und auch der zweite nicht traf.
Ich versuchte, ein wenig Abstand zwischen uns zu bringen und gleichzeitig meinen zweiten Dolch zu ziehen. Er blieb immer dicht an meinen Fersen, aber ich schaffte zumindest, in jeder Hand eine Waffe zu halten. Es wurde zu einem tödlichen Tanz. Das Ding war schnell, aber ich war auch nicht langsam. Immer wieder wichen wir einander aus, schlugen nach einander. Ich musste all mein Können aus dem Training mit Haymitch aufbringen, um nicht getroffen zu werden. Aber früher oder später würde einer den anderen treffen. Die Frage war nur wer den Schlag ausführen würde.
Es war das Peeta-Geschöpf.
Ich setzte meinen Fuß nur ein wenig falsch auf und stand nicht im richtigen Winkel, als seine Waffe auch schon auf mich zu raste. Mit Glück konnte ich mich etwas nach hinten werfen, wodurch er nicht meinen Hals traf, sondern das Messer einmal quer, von der linken Seite der Nase, zwischen meinen Augen und Nasenrücken, nach oben zog, bis zur rechten Seite meiner Stirn.
Ein unerträglicher Schmerz explodierte in meinem Gesicht und ich verlor das Gleichgewicht.
Ich schlug hart auf dem Boden auf.
Blut lief mir über das ganze Gesicht und in meine Augen. Einen meiner beiden Dolche konnte ich, trotz des Aufschlages, festhalten und ich umklammerte ihn nun um so fester.
Fast tat es weh, aber das kühle Leder zu spüren, war mein einziger Ankerpunkt, der einzige Grund, dass ich nicht ohnmächtig wurde.
Und wieder retteten mir meine Reflexe das Leben. Die Kreatur wollte auf mich einstechen, doch ich konnte gerade noch nach links weg rollen.
Mein zweiter Dolch war etwas weit fortgeflogen und ich versuchte, ihn kriechend zu erreichen.
Nur wenige Millimeter, bevor ich ihn hätte ergreifen können, wurde mein rechter Knöchel festgehalten. Als er an den immer noch schmerzenden Gelenk anzog, schrie ich auf vor Schmerzen. Übelkeit überkam mich, als ich zurück gezogen wurde und gleichzeitig wieder auf den Rücken landete.
Etwas kaltes und hartes traf mich am Kopf und meine Sicht verschwamm. Ich schmeckte Blut und merkte, dass nun noch mehr von der roten, klebrigen Flüssigkeit aus einer zweiten Wunde am Kopf floss. Von welcher Wunde das Blut in meinem Mund war, konnte ich nicht zuordnen. Ich versuchte, wieder klarer zu sehen aber das einzige was ich sah, waren schattenhafte Umrisse.
Mein Blick trübte sich immer mehr und ich merkte, wie mein Körper der Bewusstlosigkeit nachgeben wollte.
Einen kurzen Moment wollte ich es auch.
Der Schmerz von meinen Kopf, meinen Gesicht und meinem Bein war einfach zu viel. Es wäre so schön gewesen, einfach die Augen zu schließen. Dann wäre es vorbei.
Aber das konnte ich nicht zulassen! Ich hatte versprochen, Haymitch zu beschützen.
Der Name meines Bruder weckte die letzten Reserven in mir. Ich riss meine Augen auf und rammte meine Waffe halb blind nach vorne.
Ich traf ihn.
Das Geräusch von reißendem Fleisch und ein schmerzhafter Schrei bestätigten es.
Er taumelte von mir zurück und ich nutzte die Zeit zum aufstehen.
Mehr als eine hockende Position schaffte ich jedoch nicht. Immer noch sah ich verschwommen, nur ab und zu lichteten sich die Schleier. Alles drehte sich und die Welt schwankte.
Ohne wirklich zu wissen, wo oben und unten war, lies ich mich auf Knie und Hände fallen.
Ich sah zu Peeta, der sich seine verwundete Schulter hielt.
Kurz erschütterte mich der Anblick, bis ich mich wieder daran erinnerte, dass es nicht der Echte war.
Der Echte sitzt zuhause, 30 jahre älter und hofft, dass du diesen hier endgültig besiegst, beruhigte ich mich.
Aber ich kam nicht nach oben. Ich konnte nur kniend zu ihm aufschauen. Mein Blick verschleierte sich immer mehr und ich wusste, dass ich nicht mehr viel Zeit hatte.
Auch meinem Gegner fiel es auf. Sein hässliches Grinsen kam wieder, welches das Gesicht meines Vaters so entstellte.
Mir blieb nur ein Schlag. Ein Schlag, der entscheiden würde, ob ich sterbe oder noch etwas leben durfte.
Ich erinnerte mich an eine Trainingsstunde mit Cato.
"Wenn du einmal unterlegen bist und weißt, dass du nicht mehr kannst, zeig es deinem Gegner" Damals hatte ich ihn verwirrt angeschaut, nicht sicher ob er nicht vielleicht auch etwas durchgedreht war, oder er wieder zu viel getrunken hatte. Er verdrehte jedoch nur die Augen und erklärte weiter: "Dein Gegner unterschätzt dich dann. Er denkt er hat gewonnen, wird leichtsinnig. Sammle deine letzte Kraft, lass ihn auf die zukommen und dann Schlag zu, genau hier." Er zeigte auf meinen Hals, genau zwischen Halsschlagader und Kehle. "Ohne Reue musst du das Messer in seinen Hals treiben. Es muss schnell gehen, aber wenn du es schaffst, gewinnst du. Er kann nicht mehr schreien da du seine Kehle, wie seine Hauptschlagader triffst. Es dauert nur wenige Sekunden und er ist an seinem eigenen Blut erstickt."
Ich dachte an seine Worte zurück, während ich Peeta beobachtete. Er unterschätzte mich wirklich. Grinsend kam er langsam auf mich zu.
Noch nicht, ermahnte ich mich. Lass ihn näher kommen.
Ich wartete, schaute nicht zu ihm auf. Er kniete sich vor mich, nahm mein Gesicht in seine Hand.
"Eigentlich schade um dich. Du warst ein so hübsches Ding und voller Potential.", erklärte er mir.
Jetzt.
Ich zog meinen mit Widerhaken besetzten Dolch nach oben und rammte ihn in seinen Hals, genau an die richtige Stelle. Hoffentlich war Cato stolz auf mich.
Das Entsetzten trat in die Augen von Peeta, als er realisierte was gerade passiert war. Er kippte nach hinten. Bevor er das Gras berührte war er tot.
"Nenn mich nicht Ding.", konterte ich der Leiche entgegen. Schwer atmend, krabbelte ich nur noch zu meinen Messer und versuchte es aus dem Hals zu ziehen. Es steckte fest und es kostete mich jede verbliebende Energie, es herauszuziehen.
Mir wurde wieder schwarz vor Augen. Nur mit purer Sturheit blieb ich bei Bewusstsein, auch wenn mein ganzer Körper gegen mich rebellierte.
Haymitch. Ich musste Haymitch finden. Keine Ahnung, wie viele von den Dingern noch hier herumliefen.
Ich kämpfte mich auf die Beine, ignorierte die bebende Erde.
Stolz machte ich einen Schritt nach vorne. Gerade als ein kleines Hoffnungsgefühl in mir aufstieg, knickten mir meine Beine weg und ich schlug hart der Länge nach auf den Boden auf. Übelkeit überkam mich und eine weitere Welle der Dunkelheit schlug über mir zusammen.
Dieses mal konnte ich sie nicht bekämpfen und alles wurde schwarz.

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt