Primrue Mellark | Kapitel 25

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Erst träumte ich.
Von Haymitch, Dillian. Alpträume.
Wir waren glücklich und dann starben sie, einfach so. Verrotteten vor meinen Augen, ohne das ich etwas tun konnte.
Dann kam Schmerz.
Psychischer und physischer wechselten sich ab, waren aber immer da. Nur manchmal ließen sie nach. Dann wurde es warm um mich herum. Hell. Ich wurde sanft aus der Dunkelheit gezogen. Die Schmerzen wurden weniger und jedes mal, wenn ich gerade friedlich aufseufzen wollte, wurde ich von einer eiskalten Hand grausam wieder in die Dunkelheit gezogen. Zurück zu den Schmerzen.
Zurück zu den Träumen.
Es fühlte sich an, als wären Jahrhunderte vergangen. Ein ständiger Wechsel dieser drei Dinge. Irgendwann gab das Licht auf und ich wollte schreien, konnte aber nicht.
Nach einer Weile wurde ich mir wieder meines Körpers bewusst. Ich spürte ihn, konnte ihn aber nicht bewegen.
Ich hörte Stimmen.
Zu weit weg um sie zu verstehen, aber nah genug um Besorgnis raus zu hören.
Dann wieder nichts.
Ich wurde wieder tiefer in die Dunkelheit gezogen, tauchte wieder auf, wieder runter. So ging es eine ganze Weile.
Bis ich irgendwann und ziemlich plötzlich noch etwas weiter nach oben kam, meinen Körper wieder unter Kontrolle hatte und meine Augen öffnen konnte. Im ersten Moment hatte ich Angst, dass ich immer noch nichts sehen könnte, dass blind sein würde.
Am Anfang war zwar alles verschwommen und die Farben schmerzten in den Augen, aber ich konnte sehen. Mein Körper gehörte wieder mir. Niemanden anders. Ich gab mir etwas Zeit um heraus zu finden wo ich war.
Ohne mich zu bewegen starrte ich an die Decke.
Alles wirkte steril, kalt, unmenschlich.
Ein Krankenzimmer im Kapitol.
Es war also wirklich nicht einfach alles nur ein Alptraum. Mein Herz schmerzte, als diese letzte, kleine Hoffnung verschwand.
Wie gern wäre ich jetzt aufgewacht, hätte das Gesicht meines Vaters gesehen, der mir erklärte, dass ich nur schlecht geträumt hätte. Dass mein Bruder ins Zimmer gerannt kommen würde und mich auslachte, weil ich so geschrien hätte. Aber es war nicht so. Er war nicht mehr da. 
Genau wie Dillian.
Ich wollte nicht darüber nachdenken und befasste mich lieber damit, mich langsam aufzusetzen. Es war anstrengend, aber es ging. Endlich aufrecht sitzend, bemerkte ich, dass ich nicht allein war.
Finn saß auf einem Stuhl an der Wand, rechts von mir.
Vor meinen inneren Auge sah ich, wie ich aufsprang, zu ihm lief und auf ihn einschlug. Ihn anschrie, warum er das gemacht hatte. Wie er mir die Wahl nehmen konnte. Warum er mich so hasste. Das hätte die alte Primrue gemacht. Sie hätte Feuer in ihrem Inneren gehabt.
Aber diese Primrue war tot.
Ein Teil von ihr ist mit Haymitch gestorben, der andere mit Dillian.
Ich hatte keine Kraft mehr, keine Emotionen. Nichts war mir geblieben, nur Leere.
Eine Weile schauten wir uns nur gegenseitig an.
"Warum?", flüsterte ich.
Zu mehr war ich nicht im Stande. Aber es war genug. Finn verstand.
Ich sah Schuldgefühle in seinen Augen, aber die brachten mir auch nichts. Sie würden mir Dillian nicht zurückgeben. Sie würden mich nicht endlich gehen lassen.
Als er seufzte versuchte ich mich wieder auf ihn zu konzentrieren.
"Ich wusste, was du vorhattest.", fing er an. "Ich konnte das nicht zulassen und Dillian auch nicht. Er hat mir von seinen Plan erzählt, bevor ihr in die Arena gesperrt wurdet. Dass er einen von euch herausholen will. Ihr hattet euch auf Haymitch geeinigt, aber er ist nun mal gestorben. Also wollte er dich retten. Ich wusste, dass du nicht so einfach aufgeben und sterben würdest, dass du dir es aber in den Kopf setzten würdest, ihn zu retten und für ihn zu sterben. Ich kenne dich. In dieser Hinsicht bist du wie deine Eltern. Immer wollt ihr die Anderen retten. Nie euch selber. Also schickte ich ihm die Kapsel, für alle Fälle. Auch wenn du mich dafür hasst, ich musste dich da raus holen!"
"Damit ich so ende wie Annie?"
Die Worte waren heraus, bevor ich mir überhaupt bewusst war sie gesagt zu haben. Ich erschrak vor der Kälte in meiner Stimme, aber ich verspürte keine Schuld.
Immer wieder sah ich nur die Bilder von den Toten, wie sie mich in eine Art andere Welt ziehen wollten und ich konnte nicht loslassen.
War es das, was Annie die ganze Zeit durchmachte? Finn war verletzt, das wusste ich. Meine Worte waren unfair, aber es tat gut jemanden zu verletzten.
Sie haben mich alle wie eine Schachfigur benutzt und ich wollte, dass sie wussten, dass ich sie hasste. Oder zumindest würde ich sie hassen, wenn ich dazu genug Kraft hätte.
Finn jedoch war wütend, versuchte aber erst gar nicht mit mir zu reden. Vielleicht sah er aber auch den kleinen Funken Wahrheit in meiner Aussage.
Ich merkte doch selbst, wie ich schon jetzt immer wieder abdriftete.
Ohne etwas weiteres zu sagen verschwand er aus dem Zimmer.
Ich wollte nicht mehr nachdenken. Nichts mehr sehen.
Also legte ich mich wieder hin und zwang meinen Körper zu schlafen.

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt