Primrue Mellakr | Kapitel 13

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Vorsichtig stand ich auf, darauf bedacht keinen Schritt zu machen. Ich wollte nicht schon jetzt in die Luft gesprengt werden. Die Luft war dick und es war schwer zu atmen. Selbst durch die dünne Jacke, die mich jetzt eigentlich kühl halten sollte, merkte ich, wie ich schwitzte.
Ich versuchte schnellstmöglich meine Orientierung wiederzugewinnen. Vom goldenen Füllhorn, welches reichlich gefüllt, in der Mitte stand, wurde das Sonnenlicht reflektiert und blendete mich. Viel sah ich nicht. Das Füllhorn und wir Tribute schienen auf einer Anhöhe zu sein, die nach allen seiten mal mehr und mal weniger flach abfiel. Drumherum war nur noch ein Stück freies Feld und dann... Wald. Überall war Wald. Dicht und unbeugsam. Zwischen ihnen ragten immer wieder Felsen auf, weiter hinten sah man im Norden, sogar Berge. Was zum...?
Keine Zeit, ermahnte ich mich und schaute die Tribute an.
Bald mussten die 60 Sekunden um sein und ich hatte weder Haymitch, noch Dillian gesehen. Ich versuchte meine Augen mit der Hand abzuschirmen, um mehr zu sehen. Es half ein wenig.
Verzweifelt blickte ich umher, bis ich auf einmal links von mir, seinen blonden Haarschopf entdeckte. Ein weiter Weg aber ich wusste er würde es schaffen. Dillian konnte ich weiterhin nicht sehen. Ich vermutete, dass er auf der anderen Seite des Füllhorns war, welche ich wegen des Sonnenlichtes nicht sehen konnte.
Meine Augen begannen durch die Anstrengung schon zu tränen und ich kniff sie kurz zu.
Da hörte ich ein bösartiges Lachen rechts neben mir.
Ich hatte mich so auf die anderen beiden konzentriert, dass ich vergessen hatte, zu schauen, mit wem ich es zu tun hatte.
Gleich links neben mir, stand der Junge aus Distrikt 8.
Kein Problem.
Aber auf meiner anderen Seite, da wo das Lachen hergekommen war, stand Lessa.
Sie grinste mich hinterhältig an, bevor sie sich sprintbereit machte.
Messer, ich brauchte Messer.
Auf dem Weg zum Füllhorn lagen überall Dinge am Boden. Irgendwo musste doch auch... da. Gut 20 Meter von uns entfernt glänzte eine Klinge im Gras.
Es war mehr zum werfen geeignet, als zum kämpfen aber ich könnte es auch dafür einsetzten. Dummerweise schien Lessa den gleichen Gedanken zu haben.
Wir starrten beide abwechselnd das Messer, und dann wieder die andere an.
Der Startschuss riss alle aus der Erstarrung. Auch mich.
Ich rannte los und war schnell. Schneller als meine Verfolgerin.
Doch ich hatte Lessa unterschätzt. Ich wusste nicht, ob es von Anfang an ihr Plan gewesen war oder sie sich nur umentschied, als sie merkte, dass ich eher beim Messer sein wurde.
Sie sprang mich an.
Mit einem Fauchen griff sie nach meinen Beinen und riss mich zu Boden. Ich landete auf Händen und Füßen, wurde aber gleich darauf von ihrem Gewicht und ihrer Wucht mitgerissen. Wir drehten uns mehrmals, so das ich die Orientierung verlor.
Verwirrt blieb ich liegen, sie auf mir. Schneller als ich reagieren konnte, umgriffen ihre Hände meine Kehle und drückten zu.
Gott, tat das weh!
Nicht nur das mir die Luft wegblieb, der Schmerz war so stark, dass er mir Tränen in die Augen drückte. Ich blinzelte sie weg und versuchte mich zu konzentrieren. Nicht in Panik geraten.
Das Messer war außer Reichweite.
Da sie mich mehr seitlich erwischt hatte, waren wir an den Rand des Abhanges gekommen. Im Gegenteil zu vielen anderen Stellen, ging es hier steiler bergab und Felskanten schauten heraus.
Ich müsste sie nur von mir hinunter bekommen. Aber wie?
Mein Sichtfeld begann sich zu verkleinern. Alles wurde langsam schwarz. Geräusche entfernten sich.
Nein, nein!
So wollte und konnte ich nicht sterben. Entgegen meinem Instinkt ließ ich Lessas Arme los und versuchte auszuholen. Es war nicht viel Platz aber mit meiner rechten Faust traf ich genau den Solarplexus, während meine linke kurz darauf auf ihr Jochbein traf. Ich fühlte wie es unter meinen Fingern nachgab.
Lessa schrie auf vor Schmerz und ließ meine Kehle los.
Bevor ich überhaupt nachdenken konnte, übernahmen meine Reflexe.
Ich packte ihre Oberarme und nutze meinen Schwung um sie von mir runter, und den Abhang hinab zu werfen.
Apathisch schaute ich ihr hinterher.
Es war irgendwie surreal, wie sie da runter rollte, mal an einer Kante anschlug, weiter rollte und unten liegen blieb.
Sie konnte nicht tot sein. Der Sturz war nicht so schlimm.
Oder?
Ich bekam keine Luft mehr und diesmal lag es nicht an meiner gequetschten Luftröhre. Ich... Hatte ich jemanden getötet?
...
Und selbst wenn, verdammt. Das sind die Spiele. Komm drüber hinweg. Du machst es für Haymitch. Es muss sein. Steh auf, verdammt. Steh auf. Du bist ein leichtes Ziel.
Krampfhaft zwang ich meine Lungen durch meine Schmerzende Kehle Luft zu holen.
Ich musste weiter.
Alle waren nun schon bewaffnet, ich war im Nachteil. Ein letztes mal schaute ich zurück zu Lessa. Hatte sie sich bewegt? Ja, tatsächlich!
Nicht viel, aber sie lebte. Auch wenn ich mir versucht hatte gerade etwas anderes einzureden, ich war froh. Aber ab jetzt musste es anders werden. So würde ich nicht gewinnen. Normalerweise war ich froh wenn ich mich unter Kontrolle hatte, aber gerade eben würde ich sie sehr gerne verlieren!
Ich kämpfte mich Stück für Stück nach oben. Schnell schaute ich mich um und versuchte mich zu orientieren. Ich war ein gutes Stück von meinem Weg abgekommen aber mein Messer war noch da.
Noch.
Der Junge aus Distrikt 4 entdeckte es zu gleichen Zeit wie ich.
Es war ein seltsamer Moment zwischen uns, in dem wir uns anstarrten. Wir wussten beide, wer zu erst da war, würde den anderen töten. Ich spürte wie sich die Kampfeslust in mir reckte.
Endlich.
Das erste mal in meinem Leben hieß ich sie willkommen und ein leichtes Lächeln umspielte mein Gesicht, als der Junge und ich zur gleichen Zeit los sprinteten.
Ich war um Weiten schneller.
Keine Gefühle...
Ohne langsamer zu werden, schnappte ich mir das Messer.
Keine Gnade...
Ich machte eine Rolle nach vorne und bevor der Junge überhaupt wusste was mit ihm geschah, rammte ich ihm, von seinem eigenen Schwung getragen, die Klinge in die Brust.
Er schaute mich mit großen Augen an und japste noch einmal auf, bevor er zusammenbrach. Ich fing ihn auf und ließ in langsam zu Boden gleiten. Als er ihn berührte war er tot. 
Denk nicht darüber nach, mach weiter.
Ich betete dieses Mantra innerlich weiter, als ich wieder nach oben wirbelte. Weiter Richtung Füllhorn.
Wo war Haymitch?
Ich sprintete zum Horn wo schon ein Kampf ausgebrochen war.
Ich sprang über zwei Gestalten, von denen ich nur schnell feststellte, das es nicht Haymitch oder Dillian waren. Da die meisten mit kämpfen beschäftigt waren, suchte ich schnellstmöglich nach Waffen und Taschen.
Nur wenige Sekunden später hatte ich zwei Umhängetaschen, mehrere Wurfmesser und zwei Dolche angelegt. Die Dolche waren perfekt ausgewogen für den Nahkampf, silbern schimmernd mit Gravuren und am Halteelement mit schwarzen Leder umzogen. Trotz der Wiederhacken waren die Waffen elegant. Perfekt. Zum töten erschaffen.
Und ich hatte sie genau im richtigen Moment genommen.
Ich hörte es, bevor ich es sah.
Als das ich etwas erblickte wich ich reflexartig aus, als eine Axt neben mir niedersauste. Das Mädchen aus Distrikt 7 starrte mich mit weit aufgerissenen Augen an.
Sie hatte Angst. Oder besser gesagt, sie war komplett panisch. Nicht gut... Sie wollte nicht sterben, ich auch nicht.
In der Zeit, in der ich mein Gleichgewicht wiederfand, zog sie die Axt aus der Wand.
Mit einen Schrei, der mehr nach Wahnsinn, als nach Kampflust klang, ging sie wieder auf mich los.
Ohne Probleme wich ich aus.
Wir wiederholten diese Prozedur ein paar mal. Mit jedem Schlag wurde sie verzweifelter. Dies war nicht ihre Waffe. Dies war nicht ihr Kampf. Sie würde hier sterben, dass wurde ich mit jedem Schlag mehr klar. Tränen liefen über ihr Gesicht und ihre Bewegungen wurden ungenauer.
Lass dich davon nicht berühren, versuchte ich mich zu distanzieren, als ich zum Gegenangriff ansetzte und ihr die Waffe aus der Hand schlug.
Mittlerweile schluchzte sie.
"Es tut mir leid.", flüsterte ich leise, "Es tut mir so leid."
Sie wehrte sich nicht, als ich ausholte; schaute mich nur mit tränennassen Augen an. Im letzten Moment drehte ich den Dolch, sodass mein Knauf auf ihren Kopf traf und sie zusammensackte.
Ihr schluchzen brach sofort ab. Ich konnte nicht. Warum mussten wir das tun? Es war krank.
Tu es, sagte eine innere Stimme zu mir. Töte sie, eine weniger.
Irgendwann musst du oder ein anderer es tun, ihr könnt nicht alle raus.
"Unterdrücke sie. Unterdrücke die Gefühle", flüsterte ich leise vor mich hin, als ich den Dolch noch einmal erhob, dieses mal mit der Klinge voran, und zustach.
Zitternd holte ich Luft. Meine Hände und Unterarme waren mittlerweile voll von Blut.
Es viel mir schwer, den Dolch wieder herauszuziehen. Bei dem Geräusch, welches die Klinge machte, wurde mir schlecht.
Weiter.
Haymitch.
Er war der Gedanke, der mich dazu brachte aufzustehen. Wo war er nur? Ich lief ein Stück vom Füllhorn weg, sah mich um, und da hockte er. Ein Fels deckte ihn halb und da er sich nicht bewegte, schien niemand ihn zu beachten.
Bis auf Kelly.
Ich sah sie zielgerecht auf ihn zulaufen. Ein Messer erhoben, bereit zum tödlichen Schlag.
Meine Beine setzten sich von selbst in Bewegung, die letzten Minuten schienen für diesen Moment aus meinen Kopf gestrichen. Wir kamen in verschiedenen Winkeln angerannt, waren aber ungefähr gleich weit entfernt.
Haymitch sah mich zuerst.
Erleichterung war auf seinem Gesicht zu sehen, bis er merkte, dass etwas nicht stimmte. Er sah Kelly, aber zu spät.
Ich war nur eine Millisekunde eher da.
Automatisch nutzten meine Füße den Fels, hinter den mein Bruder sich in Deckung begeben hatte, als Absprunghilfe.
Schon selber halb im Flug packte ich Haymitch und zog ihn mit mir. Kelly war zu überrascht von dieser ungewöhnlichen Bewegung um zu reagieren, als wir in einer halben Drehung über sie hinwegflogen und auf einmal hinter ihr waren.
Noch halb im Flug, ließ ich Haymitch los und hoffte, dass er gut aufkam. Ich selbst rollte mich ab und wirbelte herum, um Kelly in die Augen zu sehen.
Ihr Blick sprudelte vor Hass, doch sie war nicht dumm. Wir waren zu zweit, sie allein.
Auf dem Absatz machte sie kehrt und sprintete davon.
Niemand war weiter in unserer Nähe, also schaute ich zu Haymitch. Er hatte sich auch sehr gut abgerollt und deckte mir bereits den Rücken. Erst jetzt bemerkte ich, dass auch er eine Tasche umhängen hatte. Guter Junge!
"Alles okay?", fragte ich außer Atem und mit kratziger Stimme.
Sein Blick war hektisch, aber nicht panisch. Er schluckte kurz und nickte mir dann zu.
Kurz schenkte ich ihm ein aufmunterndes Lächeln.
Dann packte ich seinen Arm und zog ihn mit auf die Beine. Wir mussten weg, keine Ahnung wo Dillian war.
Vielleicht hatte er uns doch verraten? Hatte er es sich anders überlegt? Ich wollte es nicht glauben und doch schlichen sich Zweifel in mein Herz. Egal. Wir hatten bis jetzt überlebt, wir würden auch alleine klar kommen. Warum tat es trotzdem so weh?
Ich versuchte nicht weiter darüber nachzudenken, sondern mich wichtigeren Dingen, wie zu entscheiden in welche Richtung wir laufen sollten, zu widmen.
Irgendwo war der Hacken.
Überall Wald und Felsen, sprich Höhlen? Das war zu einfach. Aber ich kam nicht dahinter.
Ich entschied nach meinem Bauchgefühl und zeigte in die Richtung wo die Berge am Horizont zu sehen waren.
Haymitch nickte zustimmend und als wir uns versichert hatten, dass gerade alle beschäftigt waren, die uns hätten sehen können, rannten wir los. Es war nicht weit aber offenes Gelände. Man war hier unten eine perfekte Zielscheibe, für jemanden der sich weiter oben befand.
Wir hatten es fast geschafft, als ich einen Schatten sah, mich jedoch nicht schnell genug bewegte.
Haymitch wurde von einer Hand nach schräg hinten gezogen.
Gerade als ich nach ihn greifen wollte und gleichzeitig einen Dolch zog, flog ein Wurfstern an mir vorbei.
Genau an der Stelle, an der Haymitch vor einer Sekunde noch gestanden hatte.
Ich drehte mich um, und sah meine Bruder verwirrt und leicht desorientiert, aber ihm ging es gut.
Dillian stand hinter ihm und hielt im fest, damit er nicht umfiel.
"Du - "
"Weiter", unterbrach er mich.
Er gab meinen Bruder einen leichten Schubser, damit dieser weiterlief, um ihn dann zu folgen. Dillian schütze ihn mit seinen Körper. Er hatte uns also doch nicht verraten oder es sich anders überlegt.
Warum war ich darüber so erleichtert?
Noch war nicht die Zeit darüber nachzudenken. Ich folgte ihnen in den Wald, wo wir erst einmal sicher vor weiteren Wurfgeschossen waren.
Die ersten Minuten hatten wir überlebt. Das erste Aufeinandertreffen der Tribute.
Die Frage war nur, was uns sonst noch in der Arena erwartete...

Primrue Mellark | Ungewolltes ErbeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt