Die ersten Tage, nach der Verkündung im Fernsehen, waren noch von Ruhe geprägt.
Jeder ging seinen alltäglichen Dingen nach. Aufstehen, essen, Schule, essen, zu Haymitch, essen und schlafen.
Meine Eltern versuchten so normal wie möglich mit uns umzugehen, doch ich sah die verstohlenen Blicke, die sie einander zuwarfen.
Noch war die Hoffnung nicht gestorben, dass der Mörder vielleicht doch gefunden wurde. In der Schule vermieden sie das Thema komplett und auch Haymitch wollte auf einmal nicht mehr über die Spiele sprechen.
Überall hörte man geflüsterte Stimme die sich gut zu redeten "Sie werden ihn schon finden" "Er kann sich ja nicht überall verstecken".
Als die Tage jedoch ins Land strichen und es keine Anzeichen von den Schuldigen gab wurden die Blicke aller ängstlicher, die Aussagen änderten sich in Dinge wie "Vielleicht meinte er es ja nicht ernst. Vielleicht war es nur ein Versuch den Mörder herauszulocken."
Doch alle wussten innerlich das dem nicht so war.
Es war also auch nicht verwunderlich, als ich am siebten Tag nach der Ankündigung, von Haymitch nach Hause kam und meine Familie wieder im Wohnzimmer versammelt vorfand.
Alle drei saßen sie auf dem Sofa und bemerkten nicht einmal als ich rein kam und mich hinter sie stellte. Im Fernsehen war wieder Trius, der zum neuen Präsidenten ernannt worden war, zu sehen.
Er schien in den wenigen Tagen um Jahre gealtert zu sein. Eine Last schien auf seinen Schultern zu liegen, die er kaum bewältigen konnte.
Trotzdem sprach er mit fester Stimme: "Der Mörder meines Vaters ist immer noch auf freien Fuß. Die sieben Tage Frist ist verstrichen. Somit kündige ich an, das in einen Monat, auf den Tag genau, die Hungerspiele stattfinden werden." Ein Raunen ging durch die Menge doch er sprach ungerührt fort. "Die Regeln werden sein wie früher. Aus jedem Distrikt werden ein Junge und ein Mädchen, im Alter zwischen 12 und 18 Jahren, auserwählt für ihren Distrikt in einer Arena um Ruhm und Ehre zu kämpfen. Ebenfalls werden die Lose mit jedem Lebensjahr eines mehr."
Das hieß also drei für meinen Bruder und fünf für mich, stellte ich mit einer inneren Trostlosigkeit fest. Trius machte eine Pause bevor er weiter sprach.
"Da nach dem Umsturz der alten Regierung kaum noch ehemalige Tribute am Leben sind, wird die Regel der Mentoren erneuert. Jeder, der mit einen ehemaligen Tribut, ob gewonnen oder nicht, verwandt ist, kann sich als Mentor aufstellen lassen. Zwölf von ihnen werden ernannt und durch das Los dem Distrikt, den sie unterstützen zugeteilt. Mögen die Hungerspiele beginnen."
Damit drehte er sich um und verschwand.
Die Kamera schwenkte zu einer aufgeregt aussehenden Reporterin die in einer schrillen Stimme anfing zu sprechen.
Ich hörte sie nicht einmal.
In unseren Wohnzimmer war es ruhig geworden. Es war, als wenn keiner von uns sich trauen würde sich zu bewegen.
Vielleicht war es ja alles nur ein schlimmer Traum?
Gleich würde ich aufwachen und in das liebevolle Gesicht meines Vaters schauen, der mir sagte, dass alles gut war. Dann würde er mich in den Arm nehmen und warten bis ich eingeschlafen wäre, bevor er wieder zu meiner Mutter ging.
Doch dies geschah nicht.
Katniss rührte sich als Erste.
Sie löste sich aus den Armen meines Vaters, küsste ihn kurz und stand auf.
Beim vorbeigehen strich sie meinen Bruder kurz über den Kopf und ging zu ihren Bogen.
Sie wollte jagen, allein sein.
Verstanden.
Ich schaute zu ihr, wünschte mir auch ein Zeichen ihrer Liebe und als wenn sie es gespürt hätte, drehte sich meine Mutter noch einmal um und nahm mich in die Arme.
Fest.
Sie war stark, dass hatte ich ganz vergessen aber ich erwiderte ihre Umarmung mit dem gleichen, festen Griff.
Meine Mutter war etwas größer als ich und so konnte ich mich kurz an sie lehnen bevor sie mich losließ und ohne ein weiteres Wort aus der Haustür trat. Peeta rührte sich immer noch nicht und so beschloss ich höchstens einmal die Rolle des ältesten Kindes zu übernehmen.
"Ich mache Abendessen", ließ ich verkünden und ging in die Küche.
Ich war nicht gut darin, war es noch nie aber ich gab mir Mühe und zauberte ein einigermaßen akzeptables Abendessen.
Haymitch und mein Dad warteten schon im Esszimmer als ich ihnen beiden eine Portion hinstellte.
Wir aßen schweigend.
Auch das war neu.
Normalerweise machte mein Vater immer Witze oder spaßte einfach so mit uns rum. Es war immer der schönste Moment des Tages für mich gewesen.
Nach dem Training mit Haymitch heimzukommen, mit einer inneren Ruhe, meine Familie glücklich und gesund zu sehen, das brachte mich durch jeden Tag. Durch die Tage mit den Blicken, die mir alle zuwarfen, den Schweigen und der Einsamkeit.
Ich hatte es nie vermisste, Freunde zu haben aber manchmal wünschte ich mir jemanden zum reden, der in meinem Alter war, mich verstand.
Nur tat das niemand.
Nach dem Essen zog sich mein Vater wieder ins Wohnzimmer zurück.
Ob er die weiteren Ankündigungen und Interviews von den Spielen überhaupt sah wusste ich nicht.
Es wurden die Bauherrn gefragt, wie sie so schnell eine Arena entstehen lassen wollten, Kapitolmenschen die gefragt wurden was sie davon hielten. Ihre Meinungen waren geteilt. Manche fanden es gut andere nicht. Es schien als wenn einige sich sogar darauf freuten, schließlich war es damals gute Unterhaltung gewesen!
Mir wurde schlecht und ich wandte mich ab.
Haymitch ging schon vor ins Bett während ich noch die Küche in Ordnung brachte.
Danach stellte ich mich lange unter die Dusche.
Ich war nervös, die Stimmung im Haus wühlte mich auf und nicht einmal die heißen Strahlen konnten mich irgendwie aufwärmen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit gab ich es auf, zog mir mein Pyjamahose und ein T-Shirt an und kletterte immer noch frierend in mein Bett. Natürlich konnte ich nicht schlafen. Das wäre ja zu einfach gewesen.
Ich wälzte mich hin und her, versuchte verschiedene Positionen aber alles half nichts.
Ich fühlte mich schlecht, hatte Angst und wollte einfach nur wie früher in die Arme meines Vaters klettern. Mit einen inneren Drang danach stieg ich wieder aus meinen Bett und ging zum Schlafzimmer meiner Eltern.
Das letzte mal war ich dort gewesen, als ich mit sieben Jahren von einer Killerwespe gestochen wurden war und mich schrecklich fühlte, genau wie mein Vater.
Damals dachte ich nur, dass er mich nicht leiden sehen konnte, heute...
Verscheuche die Gedanken, dachte ich mir und öffnete ihre Tür.
Doch da war niemand.
War Mom immer noch nicht wieder da? War Dad noch unten und wartete?
Auf leisen Sohlen schlich ich die Treppe runter.
Ich hörte nichts, also war der Fernseher aus und mein Vater aber nicht in der Küche. Langsam ging ich Richtung Wohnzimmer.
Er saß immer noch da. Hatte sich keinen Millimeter bewegt.
Es machte mir Angst ihn so zu sehen, aber ich hatte nur über meine eigene Trostlosigkeit nachgedacht, nicht darüber was diese Ankündigung in meinen Eltern hervorrief.
Welche Erinnerungen, welche Ängste.
"Daddy", fragte ich leise und ging um das Sofa herum.
Er schaute mich nicht einmal an, starrte immer noch auf den Fernseher wobei er nichts sah. Es machte mir Angst aber es schien als wäre er irgendwo gefangen. Vorsichtig setzte ich mich neben ihn und berührte seinen Arm. Kurz schrack er zusammen, schaute zu mir und schien dann wie aus einen Traum zu erwachen.
Sein Blick klärte sich und er holte einmal tief Luft, als hätte er sie die ganze Zeit angehalten.
"Hey", sagte er mit seinen wunderbaren Lächeln, was mich jedesmal aufheiterte.
"Hey", antwortete ich.
Was sollte ich jetzt schon groß sagen.
Wirst du wieder von den Dingen, die sie dir damals im Kapitol angetan haben, gequält? Das wäre wohl nicht so hilfreich. Gott sei Dank unterbrach mein Vater die Stille.
"Kannst du nicht schlafen, Kleines?"
Ich schüttelte nur den Kopf und kuschelte mich an ihn.
Automatisch ging sein Arm nach oben, damit ich drunter klettern konnte, und hielt mich danach fest.
Mein Vater und ich hatten schon immer diese Beziehung.
Wir brauchten nicht viele Worte. Er wusste immer genau was ich brauchte, was jeder aus der Familie brauchte und auch wenn er vielleicht grad noch von seinen eigenen Dämonen gequält wurde war er da und hielt mich fest. Zeigte mir, dass er mich beschützen würde, vor allem Übel der Welt.
Naja fast allen, vor der Ernte konnte er mich nicht retten aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken.
Ich schlang meine Arme um ihn und drückte ihn so fest wie möglich an mich. Auch ihm schien es zu helfen denn er entspannte sich, nach einiger Zeit und streichelte mir den Rücken.
Irgendwann musste ich durch diese Liebkosungen eingeschlafen sein, denn ich wachte erst wieder auf als draußen die Dämmerung einsetzte.
Eine Decke wurde über mir ausgebreitet und da ich immernoch in den Armen meines Vaters lag hielt ich Ausschau nach dem Geber dieser netten Geste.
Es war meine Mutter.
Ihr Haar war komplett zerzaust, der Bogen noch auf ihren Rücken.
Sie war also gerade erst wiedergekommen, doch sie lächelte mich liebevoll an und hielt ihren Zeigefinger vor den Mund um mir zu zeigen, dass ich still bleiben sollte. Leise legte sie ihren Bogen ab, kuschelte sich an die andere Seite meines Vaters, dessen Arm selbst im Schlaf sie sofort umfasste und schlief ein.
So blieben wir liegen bis Haymitch irgendwann laut polternd die Treppe runtergerannt kam und sie darüber beschwerte, dass ihm niemand gesagt hatte, dass wir hier unten schlafen würden. Mein Vater stand auf und gab ihn einen Kuss auf den Kopf bevor er pfeifend in der Küche verschwand. Auch meine Mutter lachte und öffnete die Arme in welche sich mein kleiner Bruder bereitwillig fallen ließ, alles schon vergeben und vergessen.
Sie waren wieder normal, zumindest taten sie meinen Bruder zu Liebe so. Ich wusste, dass es nicht so war, aber ich verstand. Wir würden ihn nicht in mehr Unruhe versetzten als nötig.
In den nächsten Tagen, tat die Schule jedoch ihr bestes, dies zu ändern.
Um so näher die Ernte kam, um so panischer wurden alle im Distrikt. Meine Mutter hatte wieder vermehrt Alpträume.
Nachts wachte ich oft von ihren Schreien auf und fühlte mich elend ihr nicht helfen zu können. Auch Haymitch versuchte sich nichts anmerken zu lassen, doch er trank wieder vermehrt und trainierte mich oft so hart, dass ich mir ausreden für die blauen Flecken einfallen lassen musste.
Trotz allem gut zu reden, das die Ernte noch weit weg war, stand sie auf einmal vor der Tür. Es fühlte sich an, alls wenn sie noch Wochen entfernt gewesen wäre und dann mussten wir uns schon auf den Weg machen.
Meine Eltern waren ziemlich still.
Sie hielten sich an den Händen und meine Mutter drückte meinen kleinen Bruder so fest an sich, das ich befürchtete er würde keine Luft mehr bekommen. Aber er beklagte sich nicht. Er hatte Angst, das sah ich in seinen Augen, aber Haymitch wollte stark für unsere Eltern sein, sie unterstützen, so wie sie uns immer ünterstüzt haben.
Ich war stolz auf meinen kleinen Bruder.
Auch sein Namensgeber ging mit uns, da er für schließlich zur Familie gehörte. Nicht einmal betrunken war er heute, doch seine Hände zitterten die ganze Zeit.
Ich versuchte ruhig zu bleiben, aber als wir den Rathausplatz betraten war die Luft voll von dieser Nervosität, dass sie auch in meinen Magen umher ging. Der Platz war zerstört wurden und wieder aufgebaut.
Er erinnerte nicht an die Zeit vor der Rebellion und trotzdem konnte man die Schicksale jedes einzelnen Tributes spüren.
Wir meldeten uns an und ich stellte mich in eine Reihe von Mädchen meines Alters.
Immerhin waren sie so höflich nicht von mir abzurücken aber die Gespräche endeten trotzdem abrupt.
Wir hatten die "Etikette" der Ernte in der Schule durch genommen und so wusste jeder wo er zu stehen hatte.
Die Friedenswächter schienen sich eben so unwohl zu fühlen wie wir, schließlich mussten sie dies auch noch nie machen.
Als Effie auf die Bühne trat musste ich lächeln.
Sie war mittlerweile nicht mehr die Jüngste, doch als ich noch kleiner war, hatte sie uns oft besucht und mit uns telefoniert. Sie trug immer noch die Verrücktesten Farben die heute aus einer Schar von Rottönen bestand.
Auch für sie musste es schwer sein, dies alles nochmal zu durchleben aber wahrscheinlich dachte sie sich, sie wäre es unseren Distrikt schuldig. Mit verzerrten Lächeln und aufgesetzter Freude begann sie zu erzählen: "Nun, das ich das nochmal erlebe hätte ich auch nicht gedacht. Wir wollen euch nicht lange auf die Folter spannen, jeder will doch sicher wissen wer dieses Jahr Distrikt 12 vertreten wird oder?"
Sie erwartete keine Antwort, machte jedoch eine kurze Pause.
"Nun, sonst haben wir immer mit den Mädchen angefangen aber wir sind schließlich modern und aufgeweckt also starten wir heute mit den Jungen!"
Mit diesen Worten ging sie zu den Glasbehälter, schwang ihre Hand verheißungsvoll über den Namen, bevor sie wie ein Adler zu stach und einen Zettel rauszog.
Mit langsamen Schritten ging sie zurück in die Mitte und öffnete das Stück Papier.
Als sich ihr Gesicht verzog wusste ich was kommen würde.
Nein, um Gottes willen nein, das durfte nicht sein.
Bitte nicht, schoss es mir durch den Kopf. Ich wollte es nicht hören, doch da trang Effies tonlose Stimme auch schon zu mir durch.
"Haymitch Mellark"
DU LIEST GERADE
Primrue Mellark | Ungewolltes Erbe
FanfictionMein Name ist Primrue Mellark und ich bin die Tochter von Katniss und Peeta Mellark, Gewinner der 74. Hungerspiele und Überlebende der Rebellion. Dies ist meine Geschichte... Teil 2: http://www.wattpad.com/story/19788964-primrue-mellark-2-ungewollte...