Die Nacht verging langsam.
Wieder wurde es kalt, wie in der Nacht davor. Die Decke und die Nähe meines Bruder hielten mich warm.
Irgendwann konnte ich die Augen jedoch nicht mehr aufhalten. Vorsichtig befreite ich mich aus der Umarmung meines Bruders und kletterte aus der Decke.
Haymitch wachte nicht einmal auf, was mich lächeln ließ. Er hatte schon immer den Schlaf der Gerechten.
Ich schlich zu Dillian und kniete mich neben ihn.
Vorsichtig wollte ich ihn wecken.
Als ich jedoch seine Schulter berührte, schoss er nach oben und warf mich um.
Seine Hand hielt sein Messer und bevor ich reagieren konnte war die Waffe an meiner Kehle. In dem Moment wachte er endgültig auf und wir starrten uns wieder einmal an.
Ich traute mich kaum zu Atmen, so nah war die Klinge.
Ohne mich zu bewegen, blieb ich liegen, wartete ab, ließ Dillian die Zeit die er brauchte um zwischen Traum und Realität zu unterscheiden. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, aber endlich nahm er das Messer von meiner Kehle und ich konnte wieder atmen.
Geschockt schaute er auf mich hinunter.
"Es...es tut mir leid.", stotterte er, als er wieder von mir herunter glitt, damit ich aufstehen konnte.
Mit langsamen Bewegungen richtete auch ich mich wieder auf und versuchte ihn zu beschwichtigen.
"Ist okay. Dumme Idee von mir. Wer schleicht sich auch an einen schlafenden Soldaten ran, um ihn dann zu berühren."
"Nur jemand der Selbstmord begehen will.", bestätigte er.
Der Schock war ihm immer noch ins Gesicht geschrieben, aber er brachte ein Lächeln zustande.
"Wie geht es dir?", versuchte ich das Thema zu wechseln und er ging darauf ein.
"Gut, ehrlich gesagt."
Haymitch war mittlerweile auch aufgewacht und schaute uns verschlafen an.
"Du wolltest, dass ich die wecke wenn die Hälfte der Nacht vorbei ist. Ich glaube das ist jetzt.", erklärte ich verschlafen und kroch nochmal zu meiner Tasche.
Ich kramte eine Tablette gegen Entzündungen heraus und reichte sie Dillian. Er nahm sie ohne zu murren und schluckte sie herunter.
"Danke.", sagte er.
"Die Tabletten brauchen wir alle.", gab ich zurück und er grinste.
"Ich meinte, dass du mich geweckt hast, obwohl du es nicht wirklich wolltest."
Da hatte er Recht.
Ich hätte auch Haymitch wecken können und ihn ein wenig Wache halten lassen, bis ich wieder fit gewesen wäre. Aber ich hatte es Dillian versprochen. Ich zuckte nur mit den Schultern.
"So hatten wir es abgemacht."
Mein Bruder gab wortlos die Decke an Dillian und kletterte in den Schlafsack. Entweder hatte er Dillians Angriff nicht mitbekommen oder erwähnte es nicht. Was es auch war, ich war dankbar dafür.
Ich kuschelte mich wieder zu meinen Bruder, während Dillian es sich neben uns bequem machte.
Im Halbschlaf streckte ich meine Hand aus.
Ich wusste nicht, was ich suchte, aber als Dillian die Hand ergriff, konnte ich friedlich einschlafen.
Als ich aufwachte, fühlte ich mich als wären nur wenige Minuten vergangen, aber durch den Höhleneingang drang leichtes Sonnenlicht.
Ich spürte meinen Bruder immer noch hinter mir liegen. Und ich hielt auch immer noch die Hand von Dillian.
Langsam ließ ich seine Hand los, ohne zu ihm aufzuschauen und befreite mich aus den Schlafsack, wodurch ich auch Haymitch weckte.
Dillian reichte uns jeweils eine volle Flasche Wasser, was mich erst verwunderte und dann lächeln ließ.
Weder Haymitch noch ich hatten daran gedacht, das Regenwasser aufzufangen, um es mit den Jodtabletten zu versetzen, damit wir etwas zu trinken hatten. Wir hatten uns beide wohl mehr Sorgen um Dillian gemacht. Nur er hatte an unser Wasserproblem gedacht.
Wieder einmal merkte ich, dass wir ohne ihn wahrscheinlich aufgeschmissen wären.
"Irgendjemand schleicht in der Nähe herum.", erklärte er leise. "Keine Ahnung wer. Der Regen hat unsere Spuren verwischt, deswegen hat er oder sie uns nicht gefunden. Ich denke mal, dass er nicht mehr hier ist."
Ich nahm die Information schweigend in mich auf.
Mir war klar, dass früher oder später, die ersten nach uns suchen würden. Wir waren die Gefährlichsten für die Meisten. Wenn ich richtig lag hatten wir gegen uns eine Gruppe von den vier Tributen aus Distrikt 8 und 10, die nicht so stark waren, aber eben zahlreicher als wir.
Dann waren noch die Zwillinge aus Distrikt 11, Crash und Carra.
Und die beiden Einzelkämpfer Kelley, Distrikt 4 und Lupo, Distrikt 5.
Solange sie sich nicht noch weiter mit einander verbündeten, würden wir stärker sein.
"Wir müssen ihn Bewegung bleiben.", schlug ich den beiden vor und sie stimmten zu.
Sich bewegen war bei den Wetter zwar unangenehm, aber früher oder später würde jemand diese auffällige Höhle entdecken.
"Wohin sollen wir gehen?", fragte Haymitch.
Eine gute Frage. Ich schaute zu Dillian. Er wüsste am besten wie viel er schaffen würde, mit seinen Verletzungen.
"Versuchen wir uns zu dem Baum zurückzuschlagen. Dann sind wir in Bewegung und haben wieder einen sicheren Schlafplatz."
Nickend stimmten Haymitch und ich zu.
Wir packten alles zusammen und machten uns auf den Weg. Dillian übernahm wieder die Führung, Haymitch ging in der Mitte und ich bildete das Schlusslicht.
Er führte uns zuerst zur Klippe zurück, damit wir wieder einen Ausgangspunkt hatten. Der Anblick weckte die Bilder des Vortages und ich schluckte.
Nichts mehr war zusehen. Als hätte hier nie ein Kampf stattgefunden. Auch das Wasser war weg.
Wo gestern in nur wenigen Sekunden ein reißender Fluss entstanden war, der ein Mädchen in den Tod gerissen hatte, war nun wieder eine harmlos aussehende Schlucht.
Mit unguten Gefühl kletterten wir langsam nach unten.
Diese mal ging ich vor. Danach folgte Haymitch mit Dillian, der Probleme beim Abstieg hatte.
Ich schaute den beiden besorgt zu, versuchte aber auch, die Umgebung im Auge zu behalten.
Als sie unten bei mir ankamen, konnte ich nicht anders, als nach Dillians Schulter zu sehen. Er behauptete zwar es ginge ihm gut, aber ich musste mich selbst davon überzeugen.
Die Naht war nicht aufgegangen, stellte ich beruhigt fest.
Als ich zu ihm aufschaute, sah er mich seltsam an. Ich konnte es nicht deuten, aber eine unangenehme Spannung entstand.
Ich räusperte mich und trat wieder von ihm zurück. Auch Haymitch schaute mich an und ich spürte ein regelrechtes Kribbeln unter meinen Fingernägeln. Durfte ich denn nicht nochmal besorgt um einen Verbündeten sein?
Genervt übernahm ich die Führung und die anderen beiden, reihten sich wieder ein, als wir uns wieder in dichteren Wald begaben.
Der Tag strich dahin und nichts geschah. Man hörte nichts. Keine Tiere, keinen Kanonenschlag. Das würde den Menschen im Kapitol nicht gefallen.
Und dann stand sie vor mir.
Im einen Augenblick war der Wald vor mir, nur ein Wald. Im nächsten stand dort Kelly.
Ihr blaues Haar hatte sie unter ihrer Kapuze versteckt.
Sie schaute so geschockt, wie ich mich fühlte, aber ihre Starre hielt nicht lange.
Schneller als ich schauen konnte war ein Wurfmesser in ihrer Hand. In den Moment in dem sie es warf, ließ ich mich nach hinten fallen und zog Haymitch mit mir.
Wir landeten verkeilt aufeinander. Mein Fuß war unter ihm eingeklemmt und verdreht, sein Ellbogen in meinem Magen.
Auch Dillian reagierte schnell genug und wich den Wurfgeschoss aus.
Er legte seinen Bogen, den er immer im Anschlag trug, während wir unterwegs im Gelände waren, an und schoss. Doch Kelly war schneller, als ich dachte.
Flink wie ein Wiesel wich sie aus und kletterte an einen niedrigeren Baum hoch.
Kurzzeitig verlor ich sie aus den Augen, aber zumindest konnten Haymitch und ich uns wieder auseinander bringen.
Mein rechter Fuß tat weh, aber ich versuchte es zu ignorieren. Ich schon Haymitch hinter mich und zog eines meiner eigenen Wurfmesser.
Wo war sie?
Und bevor ich verstand was passiert, sah ich sie von oben, in Richtung Dillian springen, ein weiteres Messer in der Hand, um zuzustechen. Ohne nachzudenken warf ich. Es hätte getroffen, wenn Kelly nicht im richtigen Moment ihr Messer benutzt hätte, um meines abzulenken. Sie war trainiert worden, eindeutig.
Zumindest konnte sie so nicht mehr auf Dillian einstechen, sondern kam nur neben ihm auf und rollte sich blitzschnell von ihm weg. Haymitch und ich bauten uns neben ihm auf. Gegenseitig starrten wir uns an. Kelly auf der einen Seite, wir auf der anderen. Ihr Blick zeigte mir, dass sie sich sicher war, dass sie gewinnen würde, als es auf einmal im Gebüsch hinter ihr raschelte. Etwas kam.
Sie wich zurück, uns nicht mehr beachtend, was der Moment gewesen wäre zuzustechen. Gerade als ich ein weiteres Messer zog um den Gedanken in die Tat umzusetzen, trat jedoch eine Gestalt aus dem Wald, von der ich nie gedacht hätte je zu sehen.
Es war schier unmöglich.
Er war tot und das seit über 30 Jahren. Ich erkannte ihn nur, weil ich Bilder von ihm gesehen hatte, die mein Vater gemalt hatte, oder Annie mir zeigte, wenn sie zu uns kam.
Finnick.
Mein Messer fiel zu Boden und ich hörte wie auch Haymitch die Luft hinter mir einsog. Selbst Dillian schaute geschockt. Jeder kannte Finnick. Aber ihn hier zusehen war nicht möglich, besonders, da er keinen Tag gealtert war.
Er trat langsam, fast motorisch aus dem Gebüsch. Als wenn er seine Beine länger nicht benutzt hatte.
Oder noch nie.
Es war etwas an ihm das mich störte. Seine Augen. Auch wenn sie die gleich Farbe hatten, war darin kein Gefühl. Nicht die Freude die er versprüht haben musste, oder die Liebe zu Annie. Nichts davon war da. Nur Hass. Hass auf uns.
Das war nicht Finnick. Was immer es war, es war nicht Finnick. Die anderen schienen das im gleichen Moment zu erkennen wie ich. Mein Gehirn verstand zwar noch nicht was hier los war, aber es war irgendein sadistischer Spaß von den Spielmachern.
Kelly reagierte als erstes. Nur das sie falsch reagierte. Sie wollte weg. Gerade als sie nach links davonlaufen wollte, bewegte sie diese gerade noch so steife... Kreatur mit einer Blitzgeschwindigkeit.
Das Mädchen hatte keine Chance.
Bevor sie auch nur wenige Schritte gemacht hatte, war Finnick bei ihr und packte sie an der Kehle. Ohne große Anstrengung hob er sie mit nur einen Arm hoch. Die Panik war ihr ins Gesicht geschrieben, doch ich wusste, dass ich ihr nicht helfen konnte.
"Lauft.", sagte ich zu meinen Begleitern, "Dillian, bitte lauf und pass auf Haymitch auf, lasst euch nicht trennen."
Ich hoffte einfach, dass die beiden auf mich hören würden. Noch einmal sah ich zu Kelly die strampelnd versuchte sich zu befreien. Als ein leiser, aber furchtbar klingendes Knacken von ihren Genick her ertönte und sie erschlaffte, rannte ich los.
Dillian hatte verstanden, was ich von ihm wollte, und er tat es. Während ich nach links davonrannte, schnappte er sich Haymitch und lief nach rechts. Genau in dem Moment erklang die Kanone.
Ich lief so schnell ich konnte, blieb nicht stehen. Erst als ich kaum noch Atmen konnte, hielt ich an. Nach Luft ringend, versuchte ich herauszufinden, ob er mir gefolgt war. Als ich auch nach mehreren Sekunden nichts hörte, wusste ich, dass er nicht mehr da war. Anfangs war er mir gefolgt. Als ich los gerannt war hatte ich gesehen, wie er Kellys leblosen Körper einfach fallen gelassen und sich in meine Richtung aufgemacht hatte.
War er weg? Sollte er nur kurz auftauchen, um uns zu erschrecken und eventuell auseinander zu treiben? Hatte ich ihn einfach abgehängt, oder war er zurückgepfiffen worden?
Eigentlich war es mir egal. Ich war einfach nur froh, dass er nicht da war, und ich mich wieder etwas sicherer fühlen konnte.
Zumindest dachte ich dies, bis ich hinter mir ein Knacken vernahm. Ich hatte mich so auf meinen Verfolger konzentriert, dass ich den Rest der Umgebung komplett vergessen hatte. Langsam drehte ich mich um und sah, warum Finnick mir nicht gefolgt war. Er war nicht allein gewesen und hatte mich nur in die Arme von etwas getrieben.
Ich stand meinen eigenen Vater gegenüber, nur das er nicht älter war als ich. Peeta sah genauso aus, wie zu der Zeit seiner ersten Hungerspiele. Nur waren seine Augen nicht von dem strahlenden blau, welche meine so ähnlich waren, sondern sie waren schwarz. Keine Wärme oder Liebe war in ihnen, nur Blutdurst. Seine Lippen verzogen sich zu einem grausamen Lächeln,
Die Spielmacher hatten dem Grauen der Spiele ein Gesicht gegeben und sie hatten sich ausgerechnet das meines Vaters ausgesucht.
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Primrue Mellark | Ungewolltes Erbe
FanfictionMein Name ist Primrue Mellark und ich bin die Tochter von Katniss und Peeta Mellark, Gewinner der 74. Hungerspiele und Überlebende der Rebellion. Dies ist meine Geschichte... Teil 2: http://www.wattpad.com/story/19788964-primrue-mellark-2-ungewollte...