Kapitel 58 - Briefe von Aria

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Im Haus der Rosewoods war es noch früh am Morgen, denn noch nicht einmal die Sonne war schon vollständig aufgegangen. So strahlte nur ein winziger Lichtspalt durch die noch zugezogenen Vorhänge in das Esszimmer, welches zusammen mit dem Wohnzimmer und der Küche in einem Raum lag. Vor einer halben Stunde hatte Orphus Rosewood sich aus dem Bett gequält und schlürfte nun den Kaffee aus einem Becher, während er in der Zeitung vom Vortag blätterte bevor er seiner Arbeit als Mechatroniker in einem Betrieb seines Kumpels nachging.

Seine Frau, Cynthia Rosewood, hatte die blonden Haare zu einem unordentlichen Dutt zusammen geknotet und stand bereits am frühen Morgen am Herd, um das Frühstück vorzubereiten. Diesmal sollten es Rührei mit Speck werden, dazu eine einfache Schnitte Brot. Miss Rosewood war noch immer ganz verzweifelt und enttäuscht gewesen, dass Aria sie über Weihnachten nicht besucht hatte. Sie war noch nie über Weihnachten weg gewesen, hatte immer stets mit der Familie zusammen gefeiert und jetzt zweifelte Cynthia Rosewood wirklich daran, ob sie richtig gehandelt hatte. Ja, sie hatten Aria die magische Herkunft ihres Vaters verheimlicht und auch noch mehr Geheimnisse nagten an Miss Rosewoods Hinterstübchen, doch Aria war noch nicht bereit für all das, was noch auf sie zukommen würde. Sie war doch noch so jung und was konnte sie schon dafür, wer sie wirklich war?

Ihre kleine, süße Aria. Cynthia Rosewood gab einen weinerlichen Seufzer von sich.

"Schatz, das Rührei brennt dir an", hörte sie ihren Mann vom Esstisch aus rufen und hektisch stellte die Frau die Hitze des Herdes runter. "Du denkst schon wieder an sie, nicht wahr?", fragte Mr Rosewood und schlug die Zeitung zu, während auch ihm ein Seufzer entfuhr.

"Wie könnte ich denn nicht, Orphus?", seufzte Miss Rosewood wieder, doch auch etwas vorwurfsvolles schwang in ihrer Stimme mit. Sie musste sich fast zusammen reißen, dass sie nicht gänzlich in Tränen ausbrach. Sie hatte dieses Mädchen aufgezogen, es lieben gelernt und nun hatte sie das Gefühl, dass ihr ganzes Leben Stück für Stück aus den Fugen geriet und ihr durch die Finger glitt. Ihre Kehle schnürte sich zu und Cynthia Rosewood merkte, dass es zu spät dafür war, die Tränen zu unterdrücken.

"Nun weine doch bitte nicht, Liebling", sagte Mr Rosewood, während er seinen Stuhl zurück schob, der mit einem Schlittern über den Dielenboden kratzte. Er lief hinüber zu seiner Frau und nahm sie in den Arm. Beruhigend strich er ihr mit den Fingern über den Rücken. "Ich weiß, es ist schwer, doch irgendwann wird sie sich melden. Da bin ich mir sicher", versuchte Orphus Rosewood seine Frau aufzumuntern. Er selber versuchte sich an einem Lächeln, wodurch feine Lachfältchen sich um seine Augen legten und ihn augenblicklich viel älter erscheinen ließen, als er in Wirklichkeit war.

"Hoffentlich", war alles, was Cynthia Rosewood dazu sagen konnte.

Orphus merkte, wie schlecht es seiner Frau ging. Sie litt seit dem Tag, an dem Aria verschwunden war. Einfach von heute auf morgen war sie weg gewesen. Cynthia Rosewood hatte sich Nächte um die Ohren geschlagen, wartend auf dem Fensterbrett des Wohnzimmers gehockt mit einer Tasse Kaffee in der Hand, um sich wachzuhalten und Ausschau nach Aria zu halten, falls sie doch zurück kommen sollte. Sie hatte Tränen vergossen in Nächten, in denen sie hoffnungsvoll und gleichzeitig hoffnungslos an die weiße Decke des Schlafzimmers gestarrt hatte. Und jetzt war Miss Rosewood blass wie Schnee und die Augenschatten hatten sich tief unter ihre Augen gegraben.

"Meine Aria", murmelte Miss Rosewood und widmete sich wieder dem Frühstück zu. Sie angelte zwei Teller aus dem Schrank und verteilte das Rührei auf ihnen.

"Vielleicht solltest du dir einen Früchtetee machen? Der beruhigt dich doch immer", flüsterte Mr Rosewood an Cynthias Ohren. "Ich gehe eben die Post reinholen." Da eilte Orphus Rosewood auch schon zur Haustür. Auf der Fußmatte vor der Tür lagen bereits einige Briefe. Mr Rosewood erkannte auf den ersten Blick, dass wieder ein paar Rechnungen dabei sein mussten, genau so wie ein paar Werbeprospekte. Ächzend bückte er sich, um die Briefe aufzuheben, um unter einem Seufzer die Briefe nacheinander durchzugehen.

Secrets - Who am I?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt