Unter der Anleitung seines Handys machten meine Begleitung und ich uns schließlich auf, die Katernberger Schleife zu suchen. Zuerst liefen wir stumm und noch ein wenig beschämt nebeneinander her, dann rang ich mich zu einem möglichst lockeren Gespräch mit ihm durch. "Was hast du dort eigentlich vor?"
Der Junge lächelte mich spitzbübisch an: "Mir ein WG Zimmer suchen! Ich hab im Internet gesehen, dass dort noch ein Zweimann-Zimmer frei ist!"
Ich blieb stehen. "Nie im Leben!", lachte ich jetzt und sah die Zahnrädchen im Kopf meines Gegenübers rattern. "Sag bloß, du bist auch deswegen hier!"
"Doch, bin ich!", bestätigte ich und brach damit endgültig das Eis zwischen uns. Er würde also mein Zimmergenosse sein! Das war spitze, er sah vernünftig aus und bestimmt würden wir uns super verstehen! Auch der Junge schien nicht unglücklich über dieses Los. "Stegi Penzel, neunte Klasse Leibniz-Gymnasium, also ab jetzt jedenfalls!", stellte er sich grinsend vor, "und wetten, du gehst schon an die Uni?"
"Nein, zehnte Klasse, auch Leibniz-Gymnasium und auch erst ab jetzt! Und ich heiße Tim Bau!", lachte ich. So viele Zufälle konnten einfach nicht gesund sein! Auch Stegi kicherte wieder vergnügt und schaute mich immer mal von der Seite an, während wir weiter der vorgegebenen Route folgten.
"Darf ich fragen, warum du hierher gekommen bist? Und vor allem alleine?", löcherte ich ihn als nächstes. Er zuckte unschlüssig mit den Schultern. "Klar darfst du, ist aber keine so tolle oder spannende Geschichte. Ich hab Zuhause Probleme mit meinem Dad gehabt, weil er dauernd sturzbetrunken war und gekifft hat. Bin jetzt endlich aus Karlsruhe abgehauen, hier wird er mich nicht suchen, zum Glück! Uuund... wie siehts bei dir aus? Sag mir nicht, dass du auch weggerannt bist, weil das würde ich dir jetzt nicht mehr glauben!" Er zwinkerte mir zu und schien überhaupt gar nicht auf Mitleid aus zu sein, dass ich aber schon wegen seiner Geschichte mit ihm bekommen hatte. Sich mit den eigenen Eltern nicht gut verstehen zu können, stellte ich mir schrecklich vor, da meine mir bisher immer ein Halt gewesen waren, wenn ich sie gebraucht hatte!
"Noch unspektakulärer als bei dir", meinte ich, "Ich brauche für die Schule einfach ein wenig Abstand von meinen Geschwistern."
"Wie viele hast du denn?", fragte Stegi interessiert. "Sieben", meinte ich darauf und sah, wie ihm fast die Augen übergingen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet. "Sieben?!", fragte er sicherheitshalber nochmal nach, weshalb ich nickte. Er nickte auch, aber aus Anerkennung und schien zu überlegen. "Ältere oder Jüngere?"
"Nur jüngere, die älteste nach mir wird bald vierzehn und die beiden jüngsten im Winter vier. Da kannst du dir bestimmt vorstellen, wie stressig das bei uns ist, vor allem wenn wir für alle nur zwei Kinderzimmer haben!" Ich wusste gar nicht, wieso ich so viel von mir preisgab an einen mir eigentlich noch fast völlig fremden Jungen, von dem ich nicht wusste, ob ihn das alles überhaupt interessierte. Außerdem war so ein Redefluss sonst gar nicht meine Art, meistens ließ ich mir nämlich eher jedes Wort aus der Nase ziehen. Aber bei Stegi kam das Gespräch quasi von ganz allein ins Rollen und das machte mich seltsam glücklich! Erst seit einem Tag in meinem "neuen Leben" und schon hatte ich jemanden gefunden, mit dem ich gut zurecht kam!
Das Handy zeigte an, dass wir nur noch eine Straße entfernt waren, und kurz darauf klingelten wir auch schon an dem unscheinbaren, aber doch recht schönen Haus mit den kleinen Balkonen zur Straßenseite hin. "Ich komme schon!", rief uns eine Stimme durch die Freisprechanlage entgegen. Stegi und ich schauten uns nochmal an. Es war gut, dass er mit hier war, ansonsten wäre ich jetzt vielleicht noch unbegründeterweise aufgeregt und nervös gewesen. Die Eingangstür schwang auf und uns blickte ein etwa zwanzigjähriger junger Mann mit kurzen, hellbraunen Haaren entgegen. Sein Gesicht hellte sich noch ein Stückchen weiter auf als er sah, dass wir beide zeitgleich angekommen waren und schmunzelnd streckte er uns seine Hand entgegen: "Hi, ich bin der Tobias, ihr braucht mich aber auch nur kurz Tobi nennen. Ihr seid Tim und Stegi?"
"Jepp!", entgegnete mein Zimmerkamerad sichtlich erleichtert und schlug mit dem Älteren ein. Der schien auch ganz nett und unkompliziert zu sein! Ich wartete ab und schüttelte ihm dann auch nochmal förmlich die Hand, ehe er einen zerknitterten Zettel aus seiner Hosentasche fischte. "Ich hab hier nochmal die Kosten für euer Zimmer, die Miete, die Pläne für den Hausputz und das ganze, aber kommt erstmal rein! Ich zeig euch besser erstmal, wo genau ihr unterkommt! Und wenn ihr Fragen habt, könnt ihr euch immer an mich oder Rafael wenden, wir helfen euch beiden gerne weiter! Auch wenns um Bahnfahrzeiten, nahe Supermärkte und Partys geht!"
Im Laufen redete er die ganze Zeit noch, berichtete uns von den Nachbarn unter der WG, denen wir uns besser nicht mehr nach Mitternacht im Flur zeigen sollten, über das aktuelle Geschehen in Essen und Gott und die Welt, während er uns die Treppe hinauf und in die Wohnung führte. Der erste Eindruck war auch sehr gut, ich hatte mir Studentenbuden immer sehr viel unordentlicher und chaotisch vorgestellt! Die Küche war zwar klein, aber ab und zu würde ich hier auch mal etwas kochen können. Es gab außerdem ein zusätzliches Gäste WC, ein Wohnzimmer, das durch zwei nicht zueinander passende Couches und einen kunterbunten Sessel ein wenig seltsam und zusammengepuzzelt wirkte, und dann noch unser gemeinsames Zimmer, in dem zwei einfache Betten an den einander gegenüberliegenden Wänden standen. Zwei Schreibtische, zwei Kleiderschränke, ein riesiger, flauschiger Teppich dazwischen und in einer Ecke neben dem Fenster eine vor sich hinwuchernde Zimmerpflanze. Alles in allem in Ordnung, fand ich. Etwas besseres gab es für so wenig Miete sicher nicht in der Nähe!
"Also, was sagt ihr? Ein wenig spärlich vielleicht, aber ihr dürft euch gerne noch ein wenig einrichten und euch alles gemütlicher machen! Und wenn ihr die Betten zusammenschieben wollt, haben wir auch nichts dagegen!", zwinkerte Tobias uns zu. "Wieso sollten wir denn unsere Betten zusammenschieben?", fragte Stegi naseweis, aber ich hatte den Wink schon verstanden und lief rot an. "Wir sind kein Pärchen! Wir haben uns nur heute zufällig am Bahnhof getroffen!"
Tobias wirkte tatsächlich am Boden zerstört. "Oh, achso. Sorry, ich wollte natürlich nichts Unwahres behaupten! Vergesst das einfach wieder!" Keine drei Sekunden schien er selbst seinen peinlichen Ausrutscher aber auch schon wieder vergessen zu haben und hakte direkt noch einmal nach, ob uns das Zimmer denn gefallen würde. Fragend schaute ich Stegi an: "Also, ich finds ganz gut. Ich glaub, ich nehms!"
"Dann nehm ichs auch!", meinte der Kleine schnell und zauberte Tobias wieder ein Lächeln ins Gesicht. "Perfekt! Oh, und um Rafi braucht ihr euch auch keine Sorgen zu machen, er ist ein netter Kerl! RAAAFIII!"
Die Tür gegenüber öffnete sich und jemand stolperte so überstürzt heraus, als hätte sein Kumpel ihn nicht beim Namen gerufen, sondern verkündet, dass das Haus in Flammen stünde. "Ja Tobi?", fragte er zurück, schaute an ihm vorbei und sah dann Stegi und mich, wie wir uns das Kichern verkneifen mussten. Er lächelte unbeholfen: "Oh, sind das etwa die beiden neuen Mitbewohner? Rafael, schön euch kennenzulernen!"
Rafael war der erste von hier, der sich mit mir auf einer Augenhöhe befand. Sowohl Stegi als auch Tobias waren um einiges kleiner als ich, aber der langhaarige, muskulöse Mann, den ich ein wenig älter schätzte als seinen Freund, musste auch umdie 1,90 Meter groß sein, plus oder minus wenige Handbreiten. Und er sah zwar ziemlich müde und verplant, aber trotzdem umgänglich aus. Perfekt, dann würde es hier hoffentlich wirklich keine Probleme geben!
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Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)
FanfictionTims und Stegis Wege sind durch das Schicksal fest miteinander verwoben. Aus einer flüchtigen Bekanntschaft wird schnell eine Freundschaft und für Tim vielleicht sogar noch mehr. Doch bevor er Stegi seine Gefühle gestehen kann, wendet sich das Blatt...