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Ich hatte aufgrund von Zeit- und Geldmangel auf große Geschenke für meine Familie verzichten müssen und hatte stattdessen jedem einen mit Smarties gefüllten Schokoweihnachtsmann mitgebracht in der Hoffnung, dass sie sich auch darüber freuen würden. Die mit Namenskärtchen versammelte Kolonie sah zwar ein wenig drollig aus, aber als meine Brüder und Schwestern dann nach ihrem zu suchen begannen, konnte ich bei ihnen ein Lächeln auf den Lippen erkennen.

Auch ich hatte kleine Geschenke bekommen, hauptsächlich Süßes und Kleidungsstücke, aber Joni und Christopher hatten sich sogar von einem ihrer liebsten Spielzeuge verabschiedet und mir ihren kniehohen Tyrannosaurus Rex überlassen, der sogar richtig brüllen konnte. Wie lieb von ihnen!

Insgesamt war die Stimmung sehr ausgelassen und glücklich, im Anschluss an das Auspacken der Geschenke spielte Marie uns noch ein paar weihnachtliche Musikstücke auf ihrer Gitarre vor und Max sang dazu. Obwohl er so ein Stinker sein konnte, hatte er eine wunderschöne Stimme und sogar unsere Gäste applaudierten am Ende begeistert und verlangten, noch einmal "Jingle Bells" von ihnen zu hören. Max und Marie ließen sich grinsend breitschlagen und während alle zusammen sangen und schunkelten, kramte ich mein Handy hervor und startete eine Sprachmemo für Stegi. Hoffentlich hörte er es sich an und freute er sich darüber. "Schöne Weihnachten, Stegi. Können wir uns im neuen Jahr noch einmal treffen und alles klären? Bitte, das wäre mir wichtig!", schrieb ich ihm danach noch und starrte dann auf die Häkchen. Wie erwartet ging auch diese Nachricht ins Leere und seufzend wollte ich mich bereits wieder auf das kleine Konzert konzentrieren, als sämtliche Nachrichten von mir plötzlich erst auf "empfangen" umsprangen und dann auf "gelesen"! Stegi war am Leben! E-er war tatsächlich noch irgendwo da draußen und hatte sein Handy endlich wieder eingeschalten und las meine Nachrichten und sah, wie oft ich an ihn gedacht hatte in der Zeit seiner Abwesenheit! Wo ich gewesen war, um ihn zu suchen! Oh bitte, bitte sag doch etwas!, betete ich. Schreib bitte, dass es für dein Verschwinden, deine Kündigung, für alles eine ganz einfache, dämliche Erklärung gab! Und tatsächlich schrieb er auch etwas! Mein Herzschlag und mein Atem schwollen in meinen Ohren auf eine Lautstärke an, dass ich mich wunderte, warum sich noch niemand über den Krach beschwert hatte, den ich veranstaltete.

Mein Freund ließ sich bedenklich viel Zeit, so fühlte es sich jedenfalls an, während ich vor Spannung fast platzte. Als hielt ich eine tickende Zeitbombe und keine Verbindung zu meiner liebsten Person auf dieser Erde. Ein letztes Mal wechselte Stegis Status von "online" zu "schreibt", dann erhielt ich schließlich seine so sehnlichst erwartete Antwort auf all meine Strapazen und meine Hoffnungen:

"Lass mich in Ruhe Tim! Ich will nie wieder ein Wort mit dir wechseln! Verschwinde aus meinem Leben und komm nicht auf die Idee, dass ich dir jemals verzeihen würde!"

Da war plötzlich nichts mehr um mich herum. Nichts mehr, an das ich mich klammern konnte, um neuen Halt zu finden. D-das was St-stegi da geschrieben ha-hatte, d-das meinte er d-doch wohl nicht ernst?! Wieso...? Wieso tat er mir das an? Hatte i-ich ihm denn nie etwas bedeutet...?

"Mama? Gefällt Tim das Lied denn nicht? Warum weint er?"

"Oh, ich bin mir sicher, ihm hat das Lied sehr gut gefallen, Joni-Spatz!"

"Hey Tim, ist alles okay?"

Während sich meine Familie besorgt um mich scharrte, bemerkte ich erst durch die riesigen Wassertropfen auf meinen Ärmeln und dem Handydisplay, dass ich wirklich zu weinen angefangen hatte. "A-alles gut. D-das habt ihr beiden wunderschön g-gemacht, Marie und Max! Ich b-bin stolz auf euch!", krächzte ich irgendwie mit gebrochener Stimme und schaffte es sogar, für meine verunsicherten und geknickten Geschwister ein falsches Lächeln zustande zu bringen. Auch Lena neben mir begann zu klatschen und ich war ihr so dankbar für die Ablenkung von mir, weil tatsächlich ein Großteil wieder beruhigt mit ihr einstimmte, um unsere Musikanten zu loben. Aber ich fühlte immer noch nichts. Nur bodenlose Leere in mir. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er mich nun tatsächlich so abgrundtief hasste!

Mit einem Mal konnte ich es nicht eine Sekunde länger in diesem Raum aushalten. Ich musste hier raus, weg von der friedlichen Stimmung, irgendwohin, wo ich all meinen Schmerz hinausschreien konnte, den diese simple Nachricht in mir hinterlassen hatte, als hätte Stegi eben durch unsere Handys hindurch ein Loch in meinen Körper gerammt und mein noch schlagendes Herz aus mir herausgerissen, um mich zum Verbluten zurückzulassen. D-das war nicht fair! Warum ließ Gott oder das Schicksal das zu?! Wir waren dazu auserwählt gewesen, die besten Freunde zu sein! Warum machte er das jetzt kaputt?

Wie in Trance war ich aufgestanden und verließ heimlich und leise wie ein Dieb das Zimmer, zupfte im Flur kraftlos meine Jacke vom Haken und schlüpfte in meine Schuhe, als mich jemand zurückhielt. "Tim, wo willst du denn hin? Es gibt gleich Abendessen! Was ist los?", erkundigte sich Mama völlig verwirrt und ich blieb auf der Schwelle stehen. "Ich brauch kurz einen Augenblick für mich allein", murmelte ich leise und schwach zur Antwort. Ich konnte es ihr nicht sagen, noch nicht jetzt, es war alles noch viel zu frisch und brannte und stach ohne Unterlass und Pause. Wenn ich ihr von seiner Antwort erzählte, dann waren seine Worte endgültig und unwiderruflich in Stein gemeißelt, doch so konnte ich mir noch einreden, dass ich etwas falsches gelesen hatte, einen dummen Scherz oder eine bloße Einbildung, die ich tief drinnen befürchtet hatte, die aber in Realität gar nicht so dort gestanden hatte. Vielleicht war es ja nur ein "Ich brauche ein wenig Abstand, bitte hab Geduld mit mir" gewesen, dass mir mein Verstand aufgebauscht und tausende Male fieser und herzloser vorgegaukelt hatte. Natürlich war auch das alles Quatsch. Es hatte Wort für Wort und Zeile für Zeile so dagestanden, wie ich es eben gelesen hatte, und alles jammern und bereuen half mir nicht. Stegi war weg, für immer... Ich hatte ihn verloren, mit nur einem Satz, den ich gerne noch so viel öfter an ihn gerichtet hätte und nun nie wieder konnte, weil er sich abgewandt hatte.

"Nagut, aber geh bitte nicht zu weit weg! Ich rufe dich, wenn wir essen wollen!" Mama umarmte mich tröstend und ließ mich dann ziehen, hinaus in den Schneesturm, der vor wenigen Minuten zu Wüten angefangen hatte.

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Ist Stegi wirklich so böse auf Tim? Hat er etwa deswegen alles zurückgelassen und ist gegangen? Oder steckt dahinter am Ende doch ein Entführer? Das und noch viel mehr- ...! Ne Spaß ;)

Aber ich bin wieder auf eure Gedanken gespannt! Was glaubt ihr, ist der echte Grund? Und was hat das alles mit dem Titel zu tun?

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt