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Die Uni war eine sehr einsame Zeit für mich. Ich war noch nie ein sehr geselliger Mensch oder ein Partylöwe gewesen und dadurch fehlte mir ein wenig der Kontakt zu den anderen Studenten, aber wenigstens waren meine neuen Mitbewohner nett, zwar ein wenig schräg, aber dafür gut drauf und auch in den Vorlesungen gab es keine unüberwindbaren Schwierigkeiten für mich. Mein wirklich größtes Problem war, dass ich Stegi so schrecklich doll vermisste! Jeden Abend hatten wir bisher entweder telefoniert oder so unendlich viele Nachrichten geschrieben, dass es sich ungefähr wieder ausglich. Und doch wünschte ich, Stegi wäre wirklich und leibhaftig bei mir! Mir fehlte sein Lachen, sein glückliches Gesicht dabei, oder wenn er sich beim Lernen an mich geschmiegt und geseufzt hatte, wie unendlich viel Stoff das doch zu seiner nächsten Kontrolle wäre.

Aber das Tempo, mit dem ich dauernd neue Hausarbeiten erledigen, Aufsätze schreiben und Bücher aus der universitätseigenen Bibliothek lesen musste, zog immer straffer an und eines Tages erwischte ich mich selbst dabei, dass ich Stegi seit einer ganzen Woche nicht eine Nachricht mehr geschrieben hatte. Sofort packte mich das schlechte Gewissen und ich legte Kuli, Block und Wälzer beiseite, um nach meinem Handy zu greifen und seine Nummer einzutippen. Mit jedem Freizeichen, in dem ein Freund nicht abhob, machte ich mir schlimmere Vorwürfe...

"Hm? Hallo?", meldete er sich nach dem achten Tuten, als ich fast schon aufgelegt hätte. "Hey Stegi, wie gehts dir? Tut mir leid, dass ich so lange nichts von mir hab hören lassen!", entschuldigte ich mich sofort und hörte ihn beherzt gähnen. "Halb so schlimm, ich weiß ja jetzt selbst, wie beschäftigt man als Student ist... Danke übrigens für den Anruf, ich bin wohl aus Versehen über dem Scheiß Medi-Buch eingeschlafen... Fuck ey, ich muss noch hundert Seiten lesen bis morgen und es wird einfach nicht weniger!" Er klang hundemüde und gestresst, aber er bestand darauf, dass wir uns noch ein wenig unterhielten, bevor ich auflegte. Ob er bereute, Medizin als Studium gewählt zu haben? Aber selbst wenn, er würde es nie zugeben, weil er zu stolz dafür war!

"Wie ists eigentlich so in Jena? Schon Anschluss gefunden?", erkundigte ich mich. Er brummte: "Nee, das sind alles so noble Spießer in meinem Jahrgang und Thüringen ist eh ein Kaff... Man Timmi, ich will wieder zu dir! Ich will wieder mit dir in Essen sitzen und für die zehnte Klasse lernen! Es ist sooo öde hier und ich ertrink schon im ersten Semester in dem ganzen Stress! Bald bin ich selbst ein Fall für die Klinik!"

Mein armer Dino... Ja, ich wäre jetzt auch gerne bei ihm. Würde ihn einfach nur lange an mich drücken und ihm versichern, dass es nur ein paar Jahre waren und das Gymnasium dagegen viel schlimmer gewesen war.

"Das wird schon, Stegi! Im nächsten Semester war doch erstmal dein Praktikum, richtig? Hast du dich eigentlich schon für eine Stelle beworben?"

Der Kleine seufzte: "Ja, hab ich Tim. Bei dieser komischen PharmaTico. Da darf ich dann im Labor Medikamente zusammenmixen, wenn die mich überhaupt annehmen..."

"Ach klar, das wird schon! Wieso sollten die dich nicht nehmen? Du bist doch geschickt und verantwortungsbewusst bei sowas!", meinte ich aufmunternd. Stegi lachte prustend auf. Immerhin, auch wenn ich das nicht ironisch gemeint hatte. Für dieses Lachen hätte ich dahinschmelzen können!

Wir schwatzten noch eine ganze Weile, bis mein Kumpel irgendwann meinte, er müsse jetzt weiterlesen und nach einer überschwänglichen Verabschiedung auflegte. Glücklich, aber vermischt mit einem Hauch von Trauer und Bitterkeit schaute ich seinen Kontakt auf meinem Handy an, der uns beide auf einer Sommerwiese in der Nähe von Essen zeigte, lächelte, schüttelte meinen Kopf und zog dann wieder den Wälzer heran. Das musste auch noch in den nächsten Tagen fertig werden und ich wollte nicht der letzte sein, der seine Hausarbeit abliefern musste!

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt