"So, was ist mit dir los? Du hast ihn gehört, es tut ihm leid, dass er dein Körbchen benutzt hat! Er konnte ja schlecht wissen, dass es deins ist! Bist du ab jetzt lieb zu ihm?"
Stur wie selten drehte mir Garfield den Rücken zu. Ich schnalzte und räumte weiter Marmeladengläser, Butter und ein wenig Obst aus dem Kühlschrank. Keine drei Sekunden später hörte ich ein genervtes, langgezogenes Miauen, als könne er es nicht ertragen, ignoriert zu werden. Himmelherrgott, er und sein Temperament! "Was ist denn noch? Stegi wird vorerst hierbleiben, so kann er doch nicht unter Leute gehen! Er wird dir deinen Schlafort nicht mehr streitig machen und dein Essen nimmt er dir auch nicht weg!" Wieder ein lauter, grantiger Maunzer. Sein Fell sträubte sich. "Du kannst nicht von mir verlangen, dass ich mich zwischen euch entscheide! Ihr seid beide meine Lieblinge und entweder können wir schöne Zeit zu dritt verbringen oder halt nur zu zweit! Aber denk dran, dass es dann auch nur halb so viel Zeit sein wird!"
Garfield guckte grimmig, dann fuhr er sich frustriert mit den Pfoten über den Kopf, sprang von der Anrichte und lief mit gereizt aufgeplustertem Schweif an mir vorbei. Hoffentlich nicht direkt zu Stegi... Hastig machte ich noch das Katzenfutter mit extra viel Schinkenstücken zurecht und schleppte alles mühselig an den Stubentisch, an dem wir wohl heute essen würden.
Der Kater und sein halber Artgenosse saßen sich gegenüber und schienen wie in ein Blickduell verwickelt. Ohje, das konnte heiter werden... Bemüht locker verteilte ich alles, erlaubte Garfield ausnahmsweise sogar, auf unserer Augenhöhe zu speisen, und schaute dann zu meinem Freund hinüber. Er schien verlegen. "I-ich hab dich von der Küche aus gehört", beichtete er mir und ich bekam rote Ohren. Bestimmt war ich nicht zu überhören gewesen... "Es hat sich fast so angehört, als würdest du dich mit einer anderen Person streiten und nicht mit einer Katze", fuhr er leise fort und leicht beschämt fort. Ja, für Außenstehende musste das echt ein seltsames Bild abliefern. Aber der Kater war nun einmal anders und brauchte diesen besonderen Umgang. Eine Betreuerin von dem Kindergarten hatte mir sogar empört erzählt, dass Garfield mehrmals die Augen verleiert hatte, als sie mit ihm wie mit den anderen Tieren sprechen wollte.
Ich nickte Stegi kurz zur Bestätigung zu. Er kniff seinen Mund ein winziges Stück zusammen, nickte ebenfalls und langte dann nach seinem Brotmesser. In seinen Pfötchen wirkte es riesig. "Kommst du damit klar? Oder brauchst du Hilfe?", fragte ich ihn sofort als ich sah, wie er um einen sicheren Griff hantierte. Stegi lächelte unglücklich: "Ich versuchs erst einmal selbst!"
Er mühte sich sichtlich ab und schien noch nicht ausreichend Feingefühl zu haben, doch am Ende hatte er es tatsächlich irgendwie geschafft und knabberte jetzt stolz an seinem bestrichenen Brot. Na dann, jetzt war die perfekte Zeit, um ihn nach allem zu fragen, was sich mir nicht ganz erschloss.
"Wenn du nicht Garfield bist, musst du diese Nacht irgendwie ins Haus gekommen sein. Weißt du zufällig, wie du das geschafft hast?" Stegi schüttelte langsam den Kopf. "Ich-, ich weiß gar nichts mehr...", beklagte er sich. "Was heißt 'gar nichts mehr'? Was ist das letzte, woran du dich erinnerst?", hakte ich sofort ein und schaute ihn gespannt an. Vielleicht würden wir doch noch herausfinden, was mit ihm passiert war und wer jetzt sein Handy hatte! Aber die Antwort war leider ziemlich ernüchternd und enttäuschend. "I-ich hatte Pizza bestellt und mit dir geschrieben. Und als es dann geklingelt hatte, bin ich aufgestanden und zur Tür gegangen und ab da... weiß ich nichts mehr. Als wäre ich stattdessen einfach ins Bett gegangen und sofort eingeschlafen. Und das nächste was ich wieder weiß ist, dass ich vorhin hier aufgewacht bin." Stegi schluckte. "Ein viertel Jahr an Erinnerungen fehlt mir so, als wäre es nie passiert. Aber es ist passiert, oder Tim?"
"Ist es", bestätigte ich nachdenklich, "Ich hatte nach dir gesucht, aber angeblich hattest du dein Praktikum gekündigt und Mike einen Abschiedsbrief hinterlassen. Weil das aber gar nicht nach dir geklungen hat, wollte ich zur Polizei gehen und dich als vermisst melden, aber die haben mir nicht mal wirklich zugehört. Und dann haben mir schlicht die Anhaltspunkte gefehlt. Ansonsten hätte ich weiter gesucht, versprochen!"
Mein Freund lächelte zaghaft: "Dankeschön Timmi. Das ist nett von dir!"
Aber die Frage, wie Stegi hier reingekommen war, beschäftigte mich weiter. Die Wohnungstür hatte ich sicher abgeschlossen, das wusste ich noch ganz genau! Dann vielleicht durch ein Fenster, immerhin lag die Wohnung im Erdgeschoss und der Gedanke war nicht so abwegig. Aber war er den Weg dann etwa geschlafwandelt, dass er sich nicht mehr erinnern konnte? Oder gab es noch eine logischere Lösung? Zeit, dem ganzen auf den Grund zu gehen!
"Ich bin gleich wieder da, ich prüf nur kurz etwas nach!", verabschiedete ich mich vom Frühstück und ging dann die Fenster meiner Wohnung ab. Das Schlafzimmerfenster war angekippt, aber der Spalt eindeutig zu schmal, als dass Stegi sich hätte durchpressen können. Das in der Küche war eindeutig geschlossen gewesen, im Wohnzimmer auch. Wieder einmal wurde ich im Bad fündig. Das kleine Klappfenster stand weit offen. Garfield musste den Riegel aufbekommen haben, um einen Abendspaziergang zu machen, und Stegi hatte anschließend die Gunst der Stunde genutzt. Damit wäre das Mysterium auch geklärt und warf ein weiteres auf: Woher war er zu mir gekommen? Wenn er keine Erinnerungen hatte, wie hatte er es dann von Jena zu meinem Haus geschafft? Oder hatte da noch jemand anderes seine Hände im Spiel? Fragen über Fragen...
Als ich in die Stube zurückkehrte, schaute Stegi sofort gespannt zu mir hinüber. "Das Badfenster wars gewesen. Wir werden schon noch rausfinden, was alles passiert ist, bestimmt!"
"Tim?", murmelte er, "Mir ist noch etwas eingefallen."
"Wirklich? Was ist es?", rief ich aufgeregt und setzte mich neben ihn. Stegi wirkte unsicher: "Es ist nicht wie du denkst, nichts aus der Zeit von meinem Blackout. Aber... du hattest mir noch etwas wichtiges sagen wollen, richtig? Als ich gerade die Pizza holen wollte. Was war das?"
Ich erstarrte. Verdammt, was sollte ich ihm sagen? Die Wahrheit hatte doch alles kaputt gemacht, nicht? U-und was sollte ich tun, wenn er es jetzt auch nicht erwiderte und mich dann wohlmöglich noch wirklich hasste? "G-gar nichts... Halb so wichtig!", versuchte ich ihn also abzuwimmeln, aber so dumm war Stegi nicht. "Hm? Danach hatte es sich aber nicht angehört! Komm schon, du kannst es mir doch jetzt auch einfach so sagen!"
Aber ich schüttelte ängstlich den Kopf. Konnte ich nicht! D-da waren zwar noch diese Gefühle, die sich jetzt auch langsam durch die Verwirrung über die letzte Stunde zurückdrängten, aber das konnte ich nicht tun. Ich wollte Stegi da nicht mit reinziehen! Nicht nochmal!
"Timbo, warum weinst du denn?", fragte Stegi plötzlich erschrocken und robbte näher zu mir. "I-ich weine doch gar nicht", verteidigte ich mich umd merkte im selben Augenblick, dass Stegi Recht hatte. Ein paar vereinzelte Tränen kullerten meine Wangen hinunter und Stegi machte sich daran, sie mit seinen Samtpfoten beiseite zu wischen. Seine Berührungen ließen mich zusammenzucken. "Tim, was auch immer es ist, du kannst dich mir anvertrauen! Du kannst mir alles sagen, dafür bin ich doch da! Und streng genommen hast du es mir doch schon einmal gebeichtet!"
"Und da hatte ich geglaubt, du würdest mich dafür hassen!", platzte es aus mir heraus, bevor ich mich stoppen konnte. Stegi schluckte schwer und presste seine Lippen aufeinander, sodass sie bleich wurden. Das war unfair von mir gewesen, das sah ich auch sofort ein und entschuldigend umarmte ich ihn. Von Garfield kam ein missgelaunter Laut, den ich vorerst ignorierte. "Sorry Dino, so meinte ich das nicht! Bitte nimm dir das nicht zu Herzen!"
"Schon gut", murmelte er und kuschelte sich an mich. Und plötzlich spürte ich wieder meinen Puls so stark in meinem ganzen Körper pochen wie zu unserem Treffen bei Stegis Praktikum. Ich liebte diesen Jungen einfach so sehr, dass es fast schon weh tat! Ohne darüber nachzudenken, was das nun für Konsequenzen bedeuten könnte, gab ich dem drängenden Verlangen in mir instinktiv nach, legte meine Hände an die Wangen des Kleineren und küsste ihn dann sanft und bittend.
Erst kam keinerlei Reaktion von ihm, als wäre er erstarrt, doch dann erwiderte er zaghaft und leicht und ließ mein Herz noch schneller schlagen, als es so schon tat. Für einen kurzen Moment wurde ein wunderschöner Traum für mich wahr!
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Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)
FanfictionTims und Stegis Wege sind durch das Schicksal fest miteinander verwoben. Aus einer flüchtigen Bekanntschaft wird schnell eine Freundschaft und für Tim vielleicht sogar noch mehr. Doch bevor er Stegi seine Gefühle gestehen kann, wendet sich das Blatt...