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Aber auch hier kam ich nicht besonders weit, ohne von der nächsten seltsamen Sache aufgehalten zu werden. Genauer gesagt, ich kam bis zur Haustür, bevor ich beinahe über etwas stolperte, das mir im Weg lag. Ein ziemlich großer, leerer Pappkarton, der Klebestreifen war zerrissen und der Deckel geöffnet. Und waren das da... Luftlöcher? War da drin Stegi zu mir gekommen? Dann hatten wirklich irgendwelche Fremden ihre Hände im Spiel gehabt! Der Gedanke, dass sie Stegi völlig nackt in ein Paket gezwängt und wie Ware verschickt hatten, machte mich wütend. Ich nahm die Verpackung gerade hoch, um nach einem Absender zu suchen, als hinter mir die Wohnungstür des Nachbarn knarzend aufschwang und der ältere Mann im Morgenmantel um den Rahmen spähte. "Oh... Guten Morgen Herr Bau!", begrüßte er mich und reckte dann neugierig seinen Hals, "Post für Sie?"

"Möglich, es steht nichts darauf", murmelte ich vage, da der Mann für gewöhnlich ein ziemlicher Schnüffler war. Aber von Stegi brauchte er echt nichts zu erfahren! Er nickte: "Ist das Ding etwa so angekommen? Aufgerissen und leer? Verdammte Postboten, auf nichts kann man sich mehr verlassen!" Damit verschwand das faltige Gesicht wieder in seiner Wohnung und ich wischte mir den imaginären Schweiß von der Stirn. Geradeso nochmal gut gegangen!

Ich beschloss, das Paket erstmal im Hausflur stehen zu lassen und mich heute Nachmittag genauer damit auseinander zu setzen. Dann machte ich mich schnellstmöglich auf zur Uni.


"Ist das wahr, was du mir geschrieben hast? Stegi ist wieder da?!", stürzte Tobi sich quasi auf mich, kaum dass ich den Anruf angenommen hatte. Ihm und Rafi vertraute ich genug, um ihnen von den Ereignissen von heute früh zu erzählen. Wenigstens ein bisschen. "Ja Tobi, es stimmt! Er ist bei mir Zuhause, seit heute früh. Und er ist mir gar nicht sauer, aber er meint, er hat sein Gedächtnis verloren. Für ihn ist gefühlt nur ein Tag vergangen, seit er verschwunden ist."

Die Euphorie meines Kumpels ebbte ab, als ich ihn vor dieses Rätsel stellte. Er begann zu grübeln: "Glaubst du ihm das? Oder hast du eine Vermutung, warum ihm so ein großer Teil seiner Erinnerungen fehlt?" Nein, da war ich genauso unwissend wie er. "Ich glaube ihm! Da ist noch etwas, ich kann es nicht wirklich beschreiben, aber da steckt tatsächlich noch jemand Fremdes mit in der ganzen Sache drin. Vielleicht war es das Werk von Entführern, das versuche ich noch herauszufinden. Ich halte dich auf dem Laufenden, wenn du möchtest!", bot ich Tobi an. Er bat darum, aber warnte mich auch: "Das klingt gefährlich, Tim! Pass gut auf dich auf, nicht dass du in irgendetwas hinein gerätst, aus dem du nicht mehr rauskommst...!"

"Ich geb mir Mühe! Tschau Tobi, bis die Tage mal!" Nachdem ich aufgelegt hatte, genoss ich noch ein wenig die Sonne, die auf den Campus strahlte und die erste Frühlingsbrise mit sich brachte, dann raffte ich mich auf und machte mich auf den Weg nach Hause.

Ein Lieferwagen parkte genau vor unserem Haus, als ich die Tür aufschloss und vorsichtig in meine Wohnung spähte. Es war ganz still, aber jemand hatte aufgeräumt, Staub gewischt und den Boden geschrubbt. Alles glänzte hochrein, aber von Garfield und Stegi fehlte noch jede Spur. "Hey, ich bin wieder Zuhause!", versuchte ich es, aber niemand kam mir entgegengeflitzt. Hm, sonst hatte mich zumindest Garfield immer empfangen. Die erwartete Panik in solch einer Situation blieb aus, während ich durch die Zimmer schlich und die beiden suchte. Spielten sie vielleicht Verstecken mit mir? Nein, im Schlafzimmer fand ich sie schließlich. Zusammengerollt und friedlich schlummernd lagen sie mit einer Körperlänge Abstand zwischen einander auf meiner Bettdecke und schauten nahezu zeitgleich schläfrig zu mir auf, als sie mich hörten. "Hey Tim!", gähnte Stegi mich glücklich an und auch Garfield kam mir schnurrend näher, nachdem er sich ausgiebig gestreckt hatte. Süß, die zwei!

"Das hätte man eben fotografieren müssen! Vertragt ihr euch mittlerweile?", fragte ich sie und Garfield wandte sofort demonstrativ den Kopf ab. Schade, wäre auch zu schön gewesen! "Ich habs probiert", murmelte Stegi, "aber er lässt mich nicht mal nahe genug an sich heran, ohne mich anzufauchen. Ich schätze, er mag mich einfach nicht."

"Das wird schon noch, hoffe ich", erwiderte ich optimistisch und wuschelte ihm durch die Haare. "Ist nett von euch, dass ihr aufgeräumt habt! Das hättet ihr aber nicht unbedingt machen müssen." Schließlich wusste ich, wie sehr Stegi das Putzen zuwider war. Aber er schüttelte den Kopf: "Hab ich gern gemacht! Ich konnte gar nicht mehr aufhören, bis alles wieder picobello war, das hat mich selbst überrascht. Dafür war ich jetzt unendlich müde..."

Mit einem breiten Grinsen hob ich den schläfrigen Jungen hoch in meine Arme und gab ihm einen zärtlichen Kuss. Er erwiderte und schlang seinen Schweif um mein Handgelenk bis hoch zu meinem Ellbogen. "Das wird noch eine Weile dauern, bis ich wirklich begreife, dass ich jemanden so besonderen und tollen zum Freund habe wie dich!", murmelte ich glücklich. Stegi protestierte leise und wurde rot. So toll wäre er doch gar nicht, meinte er beschämt und zupfte sich an seinem Oberteil herum, dass er irgendwo zwischen meinen Klamottenstapeln gefunden haben musste. Es reichte ihm bis über die Knie und hatte so lange Ärmel, dass seine Pfoten komplett in ihnen verschwanden. Dabei war es schon eins von den engeren, die ich vermutlich nicht mehr oft angezogen hätte. "Weißt du was Stegi? Nachher gehen wir gemeinsam los in die Stadt und kaufen dir passende Kleidung!"

Ein paar Minuten später fiel mir ein, dass ich den Karton noch untersuchen wollte. Doch ich fand ihn nicht mehr an der Stelle, an der ich ihn deponiert hatte, und der Nachbar erklärte mir daraufhin schuldbewusst, dass er ihn im Laufe des Tages bereits entsorgt hätte.

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt