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Dieses Mal brauchte er noch länger, um wieder zur Ruhe zu kommen. Ich hatte die Decke vom Sofa erstmal notdürftig um ihn gewickelt und ihn dann beruhigend gestreichelt. Mein armer Dino... Wenn wir keine Lösung für dieses Problem fanden, konnte er vielleicht nie wieder raus auf die Straße! Daran hatte ich ehrlich gesagt noch gar nicht gedacht, bis er es eben gejammert hatte. Das hieß für ihn außerdem, dass er nicht mehr zur Uni konnte. Und auch nicht zu seiner Arbeitsstelle in der Gaststätte, die er vor dem Praktikum gehabt hatte. Insgesamt würde er so niemals arbeiten können, außer von Zuhause aus. Und das war nicht, was er als Arzt in Ausbildung gewollt hatte!

Aber auch für mich hatte es noch einen Schock gegeben. Stegi hatte nicht nur Ohren, Krallen und Schweif einer Katze, sondern auch die Pfoten, die aussahen wie ein missglücktes Kreuzungsexperiment. Fünf bohnenförmige, gedrungene, dicke Fingerchen an einem menschlichen Handteller, der bis zum Gelenk mit weichem, orangenem Flaum bedeckt war. Ebenso seine Füße, die dagegen aber zum Glück nicht ganz so seltsam aussahen, sondern ziemlich normal, wie Katzenfüße halt. Aber ob er mit denen in irgendwelche Socken oder Schule passen würde, wusste ich ehrlich gesagt nicht.

"Warum kannst du das einfach so annehmen, Timmi? Ich sehe so schrecklich missgestaltet aus und du scheinst nicht einmal wirklich überrascht darüber!", murmelte mein Dino mit Schluckauf, seinen Kopf hatte er an meiner Brust vergraben. "Naja, du warst jetzt seit Weihnachten meine Hauskatze Garfield, und schon der war... ungewöhnlich. Überdurchschnittlich intelligent und einfühlsam. Ich weiß zwar nicht, wie das passieren konnte, aber irgendwie macht es einiges leichter zu verstehen. Vielleicht hab ich es ja irgendwie geahnt, dass er mit dir zu tun hat."

Ein wenig traurig war ich zwar auch, weil Garfield mir so sehr ans Herz gewachsen war, aber diese Auflösung war in Ordnung, denke ich. Immerhin wusste ich jetzt, dass Stegi in Sicherheit war und mich immer noch mochte. Nur das ganze Katzenspielzeug und das Klo waren jetzt wahrscheinlich überflüssig und ich würde meinen Freund auch nie im Leben dieses Bröckchenzeug aus einem Napf fressen lassen! Aber das waren kleine Probleme und konnten warten.

Auch Stegi schien sich mit meiner Erklärung der Geschehnisse vorerst zufrieden zu geben. "Wo hast du mich dann eigentlich her? Ich dachte, du bist mehr der Hundetyp, Tim?"

"Ich hab dich als Babykatze gefunden, ganz alleine hier in München und hab dich vor dem Erfrieren gerettet. Und dann hast du dafür mich vor meiner Trauer gerettet. Du warst in dem Moment wieder einmal das Beste, was mir je passieren konnte!" Auf dieser Schleimspur konnte Stegi zwar nur ausrutschen, aber es war ja die Wahrheit! Wäre er damals nicht gewesen, säße ich nicht hier, aber das musste ich ihm jetzt nicht erzählen. Später vielleicht einmal. Stegi schnurrte leise und mit fröhlich gespitzten Ohren, doch bevor er mich mit einer frechen Antwort aufziehen konnte, wurden wir von einem Rumpeln unterbrochen. Erschrocken schauten wir auf. "Das kam aus meiner Wohnung, nicht?", hauchte ich. Der Kleine nickte zögernd: "Denke ja. Ein Mitbewohner?"

"Hab keine mehr."

"Und Chrissy?"

"Ist kurz vor Weihnachten zu ihrem Machofreund gezogen."

"Wer war das dann?"

Gute Frage. Vielleicht war es jemand, der mit Stegis plötzlicher Verwandlung oder sogar mit seinem Verschwinden zu tun hatte. Menschen wurden ja nicht einfach so zu Tieren und umgekehrt. Und wenn es ein Einbrecher war, würde ich ihn schon vertreiben können! "Warte hier Stegi, ich schau nach was das war!", murmelte ich, hob ihn von meinem Schoß und machte mich dann auf, in Richtung des schmalen Hausflurs, aus dem die Geräusche gekommen waren. Ein Blick zurück zeigte mir, dass mein Dino mir gehorchte und sich langsam unter seiner Decke zusammenrollte. Besser so, bevor er verletzt wurde!

Dort angekommen schnappte ich mir sicherheitshalber meinen Regenschirm vom Kleiderhaken und trug ihn wie eine Waffe mit dem Griff voran vor mir her. Im Notfall konnte ich damit hoffentlich einen Schlag landen, der den Einbrecher betäubte. Zwischendurch lauschte ich, ob noch immer irgendwelche Geräusche zu hören waren, und tatsächlich, sie kamen aus meinem Bad! Leises Plätschern, Poltern und Rumpeln. Eine wirklich schlaue Person war das nicht.

Die Tür war geschlossen und ich überlegte. Ich würde sie aufreißen und dann...? Laut rufen und hoffen, dass das den Kerl da drin erschreckte? Oder sollte ich leise machen und versuchen, ihn unauffällig unschädlich zu machen? Was war cleverer?

Plötzlich neigte sich die Klinke nach unten und zwang mich zu voller Konzentration. Der Typ würde gleich rauskommen! Sofort nahm ich den Regenschirm in Anschlag und starrte angespannt auf den Spalt zwischen Tür und Angel, der mit einem Mal weit aufschwang. Etwas kleines huschte auf mich zu und ich hätte beinahe geschrien, wäre mir nicht rechtzeitig das orange Fell aufgefallen und das Schnurren, womit das Energiebündel mich begrüßte. Wie eine Statue blieb ich vollkommen regungslos stehen und starrte den mit Erdkrümeln verdreckten Garfield an, der leiser wurde und mich verwirrt anschaute, als wolle er mich fragen, was ich mit dem Schirm vorhatte. Aber wieso war er noch hier? Waren er und Stegi doch nicht ein und dieselbe Person? Äh, ich meine, selbes Lebewesen? Das machte jetzt wirklich keinen Sinn...

Verunsichert senkte ich meine Arme und schaute dann nach, was Garfield im Bad gemacht hatte, und stöhnte auf. Da drinnen sah es aus wie im Saustall! "Garfield! Was zur Hölle?! Diesmal bin ich mir sicher, dass ich das nicht verdient habe, also was soll das jetzt?"

Der Kater legte seine Ohren an und starrte zu Boden. Der Wasserhahn lief unaufhörlich und das Waschbecken drohte bereits, überzulaufen und den Teppich einzuweichen, mittendrin schwamm außerdem das gute Stück Seife, das jetzt völlig aufgeschäumt und wahrscheinlich nicht mehr zu benutzen war, das Toilettenpapier lag in langen, nassen und zerfetzten Schleifen auf dem Vorleger und als ich Garfields Beine genauer betrachtete, war sein Fell dort ebenfalls noch mit Wasser vollgesogen. Erwischt. Na Großartig! Waschen konnte er sich aber tausend mal besser, wie er mir schon öfter stolz demonstriert hatte! Also was sollte das bitteschön?! Einmal benahm er sich wie eine echte Katze und dann dennoch völlig daneben. Und ich hatte Stegi eben noch erzählt, wie klug mein Schmusetiger doch war...!

Vorerst drehte ich nur den Hahn zu, um das restliche Chaos kümmerte ich mich später noch. Jetzt wollte ich mich erstmal um Stegi sorgen und Frühstück machen. Ich traute mich nicht einmal, einen Blick auf die Uhr zu werfen und zu sehen, wie sehr ich mich heute für die Uni verspäten würde. Seufzend hob ich Garfield auf meinen Arm, verzichtete zur Strafe auf Streicheleinheiten und trug ihn in die Stube.

Stegi wartete noch immer auf dem Sofa und spitzte seine Katzenohren unter der Decke hervor, als er Garfield sah. "Scheinbar warst du doch nicht mein Kater. Aber ihr seht euch von der Fellfarbe echt verdammt ähnlich!", grübelte ich und wollte den orangen Flauschball zum Vergleich neben meinen Freund setzen, als er das nächste ungewöhnliche tat. Mit einem lauten Kampfschrei plusterte er sich auf doppelte Größe auf und stürzte sich dann auf Stegi, der hastig unter seiner Decke Zuflucht vor den Krallen suchte, die jetzt erbarmungslos auf ihn niederhackten. Schnell griff ich ein und hob Garfield außer Reichweite. Was war nur in ihn gefahren?!

"Ksch, Garfield! Geh in die Küche, darüber reden wir noch!", pflaumte ich ihn an und gab ihm einen leichten Schubser beim Absetzen. Niemand rührte meinen Freund an, niemand! Frustriert fauchte er mich an, ehe er davonstolzierte und mich und Stegi von der Küche aus mit bösen Blicken durchbohrte. Erst dann traute ich mich, neben meinen Dino Platz zu nehmen und vorsichtig die Decke anzuheben. "Er ist weg, alles wieder gut. Tschuldigung, ich weiß nicht, wieso er so drauf ist. Bist du verletzt?"

Zitternd streckte Stegi mir eine seiner Pfoten entgegen. Auf der Übergangsstelle zwischen menschlich und tierisch entdeckte ich ein paar paralleler Kratzer, die auch leicht zu bluten begonnen hatten. "A-ansonsten ist alles gut, denke ich. I-ich glaube er ist wütend, weil ich in seinem Körbchen gelegen habe. Das tut mir leid."

"Dafür kannst du aber nichts! Warte hier, ich hole Verbandszeug! Und wenn Garfield dich wieder angreifen sollte, rufst du mich bitte schnell, okay?" Stegi nickte zaghaft und ich flitzte los, holte Pflaster, Mullbinden und Wundcreme und horchte dabei immer auf irgendwelche Geräusche aus dem Wohnzimmer. Aber meine Mahnung schien Garfield dann doch verstanden zu haben und ich kam zur selben Szenerie zurück, die ich verlassen hatte. Unter dem wachsamen Blick des Katers verarztete ich meinen Freund und drückte ihn nochmals beruhigend an mich, dann fragte ich ihn, ob er lieber Brot oder Spiegelei zum Frühstück wollte. Brot mit Marmelade war seine Antwort, das war leicht zu machen. Aber mit Garfield hatte ich trotzdem noch ausgiebig ein Hühnchen zu rupfen!

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Haha, hab euch ausgetrickst! :P Weiter gehts dann aber erst morgen wieder!

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt