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Mit jeder an meinem Gesicht vorbeischwebenden Flocke sah der Schnee verlockender aus. Ob ich den brüllenden Schmerz in mir bekämpfen konnte, wenn ich meinen Kopf jetzt einfach in die weiße Decke steckte und aufhörte zu atmen? Oder wenn ich in den nahen Wald verschwand und darauf wartete, dass eine Böe mich unter den Zentner schweren Lasten begrub, die da so malerisch auf den kahlen, schwarzen Ästen ruhten? Eine Stimme in mir verlangte, dass ich es tat. Eine andere hielt mich zurück. Hier war ich zu sicher. Man würde mich finden, bevor ich den ganzen Schmerz bewältigt hatte. Man würde versuchen, mich wieder aufzupäppeln und noch zerstörter als vorher zurück in die grausame Welt entlassen! Nein, wenn ich das tun wollte, würde ich mir einen anderen Ort, eine andere Methode suchen, um meine Pläne durchzuziehen. Die wenigen Tagesläufe konnte ich bestimmt auch noch ausharren...

Probehalber schaufelte ich mir zwei Hände voll Schnee zusammen, hob ihn auf und presste mein tränennasses Gesicht hinein. Es stach wie Nadeln auf meiner Haut und sofort spürte ich, wie meine körperlichen Schmerzen die meiner Seele überdeckten. Das war gut, das war sehr gut! Eine Weile saß ich noch so da und atmete so wenig wie möglich, bis die weiße Masse zu einem unförmigen Klumpen verschmolz und durch meine zitternden Finger versickerte. Sofort traf mich der Verlust jedoch wieder wie ein Schwerthieb in den Nacken und ich begann zu schluchzen. Wieso... Wieso mein Dino... warum hatte er so gemeine Sachen zu mir sagen müssen? Hatte er mich denn jemals lieb gehabt? Oder war ich nur ein amüsanter Zeitvertreib für ihn gewesen, wie seine ganzen One Night Stands zu Gymnasialzeiten? Wahrscheinlich sogar noch weniger als das, denn denen hatte er erlaubt, Gefühle für ihn zu haben, solange sie sich nicht allzu breit in seinem Leben machten. U-und ich war ihm all die Jahre auf den Leim gegangen...

Gerade als ich ein zweites Mal Schnee zusammenschachern wollte, rief meine Mutter, dass es Abendessen gab. Ich hatte aber keinen Hunger, wie so oft in den letzten Tagen. Stattdessen hatte ich das Gefühl, gleich kotzen zu müssen, einen ganzen Schwall voll etwas, das in meinen Gedanken die Farbe von Teer hatte, aber irgendwie haarig und widerlich war und sich beinahe wie lebendig verhielt. Dieses Etwas, das mich anscheinend so lange dumm und blind gehalten hatte und das jetzt endlich ausfindig gemacht worden war. Aber ich behielt alles bei mir, selbst mit dieser krankhaften Vorstellung in meinem Kopf.

Am Tisch herrschte gedrückte Stimmung. Jeder musste mittlerweile wissen, dass das vorhin tatsächlich keine Freudentränen gewesen waren, sogar die Zwillinge. "Willst du ein Stück von meinem Lamm haben, Tim?", versuchte Joni es als einziger, mich irgendwie aufzumuntern, aber Emily zischte ihm zu, dass das nicht helfen würde. Wie Recht sie hatte. Ich hätte es nach wahrscheinlich nicht einmal drei Bissen zurück auf den Teller spucken müssen, weil sich mein Körper dagegen weigerte, etwas zu sich zu nehmen. Es fühlte sich alles noch so dumpf und taub an, obwohl ich eben im Bad gewesen war und festgestellt hatte, dass meine Eis-Therapie mein Gesicht gerötet und leicht angeschwollen hatte. Das dürfte mittlerweile schon nicht mehr zu sehen sein. Trotzdem schien mir die Schuld um mein Handeln wie mit einem Tacker an die Stirn befestigt zu sein. Sie alle schauten mich andauernd so seltsam an...

"Ich werde morgen abreisen", verkündete ich irgendwann mittendrin ohne selbst zu wissen, was ich da sagte. Sofort ging empörter Protest los: "Aber du bist doch gestern erst angekommen!"

"Du hattest doch versprochen, dass du die ganzen Ferien bleibst, jetzt haben wir extra viel eingekauft für die Woche!"

"Nicht doch, wieso denn Tim? Du kannst gerne noch bleiben!"

Aber ich verneinte ihnen allen. Ich konnte nicht noch bleiben. Sie waren alle so niedergeschlagen wegen mir und ich wollte ihnen den Rest des Jahres nicht weiter vermiesen. "Ich muss noch arbeiten", fiel mir die lahmste Ausrede der Welt ein und vorerst hatte ich meine Ruhe. Keiner sagte mehr ein Wort oder aß noch weiter. Sie starrten bloß ratlos auf ihre Teller. Schuldbewusstsein überrollte mich einmal mehr gleich einer Flutwelle. Also stand ich auf und taumelte mehr als das ich lief in das Kinderzimmer, um schonmal meine Tasche zu packen.

Morgen Vormittag sollte mich ein Bus wieder zum Bahnhof bringen können, das hieß, am Abend war ich wieder in München. Allein in der großen Wohnung, die nur noch mir gehörte. Doch seltsamerweise hatte ich keine Scheu und keine Angst mehr davor, zurückzukehren. Es war als fiele alles in seinen angestammten Platz und ich müsste mich nur noch wie ein willenloser Baustein in das Gesamtbild einfügen. Das konnte ich, das war etwas, was ich immer gekonnt hatte. Nie rebellieren, nehmen was kam und irgendetwas draus machen. Nicht das tollste, nicht das schönste, aber- etwas halt. Und das anstehende Puzzle hatte einen Platz für mich, den ich erstaunlich bereitwillig zu akzeptieren war. Doch hier durfte ich noch nicht daran denken. Hier war ich zu sicher. Wenn sie bemerkten, was mir im Sinn stand, würden sie mich hier einschließen und sicher stellen, dass ich mein Vorhaben nicht umsetzen konnte, mit keinem Mittel der Welt.

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Sorry dass das Kapi so finster ist. Es wird wieder besser werden!

Aber passend zu der bedrückenden Stimmung habe ich heute erfahren, dass ein guter Bekannter und Freund von mir angeblich als vermisst gemeldet ist und vorhin kam die neue Nachricht, dass sein Flugzeug vor den Kanaren ins Meer gestürzt sein soll... Wenn das stimmt, werde ich vielleicht ein paar Tage Pause einlegen, bevor ich weiter Sachen uploade. Sorry..

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt