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Wie gut, dass es am nächsten Tag so kalt draußen war! Da war es gar nicht weiter auffällig oder verdächtig, dass meine beiden Begleiter dick eingemummelt in Mützen, Handschuhen und Stiefeln an mich gekuschelt im Zug nach Jena saßen und stumm nochmal unseren Plan durchgingen. Er war nicht perfekt ausgeklügelt, da uns dazu die Zeit und das Wissen über PharmaTico gefehlt hatte, aber er war umsetzbar und die beste Chance, auf die wir hoffen konnten. Wenn Leo sich sicher war und wirklich wusste, was er tat, dann würden wir Stegi mit ein wenig Glück retten können!

Mein Neko-Freund war heute besonders anhänglich. Müde waren wir alle, weil wir die Hälfte der Nacht lang nur gegrübelt hatten und zu unruhig zum Schlafen gewesen waren, aber er hing noch stärker durch als Leo oder ich und das, obwohl sein Fieber schon gestern im Laufe des Abends zurückgegangen war. Doch egal wie sehr sein genetischer Zwilling auch versucht hatte, ihm zu erklären, dass er lieber Zuhause bleiben und sich noch weiter auskurieren sollte, er hatte wie immer stur seinen Willen durchgesetzt und gemeint, dass er mir unbedingt eine Hilfe sein wollte, egal wie. Jetzt hatten wir beschlossen, dass er bei mir blieb und sich wieder als mein Neffe ausgab, bis wir in den Laboren waren. Dann konnte er mir den Weg zeigen und vielleicht bekam er dort unten ja sogar einen Geistesblitz, der uns weiterhelfen konnte! Und solange er mit uns kam, konnte sich mein Nachbar auch nicht zurückholen, was er seiner Meinung nach rechtlich erstanden hatte und somit ihm gehörte. Bei dem Gedanken wurde mir immer noch regelmäßig schlecht. Etwas aufdringlich und überneugierig war er mir ja immer schon vorgekommen, aber so etwas unmenschliches hätte ich ihm niemals zugetraut!

Leo zupfte mich plötzlich am Ärmel und wies mich darauf hin, dass diese Station unser Ziel war. Dankbar strich ich ihm kurz über die Schulter und stand dann mit den beiden einander so ähnelnden Jungs auf. Jetzt wurde es ernst! Jetzt gab es kein Zurück mehr! Stegi wartete auf mich und ich wollte ihn nicht enttäuschen!

Den Weg zum Firmengelände von PharmaTico fand ich sogar noch von ganz alleine, als hätte er sich von den letzten zwei Besuchen in meinen Kopf eingebrannt. Aber wir steuerten nicht direkt auf die Eingangstore zu, stattdessen zog Leo mich beiseite, bevor die Kontrolleure an der ersten Sicherheitsschleuse uns sehen konnten. "Hier entlang! Ich muss anders in das Gebäude rein! Wenn die die Information durchgeben, dass zwei Kinder dabei waren und nur eins dann bei dir ist, dann sind sie alarmiert! Viele arbeiten nicht an den Genforschungsprojekten mit. Sie wissen nicht einmal davon und denken, ihr Job wäre hundert Prozent sauber, aber wenn jemand unbefugt herumstreunt, geht die Nachricht sofort an den Chef und von da aus an die beteiligten Forscher! Das dürfen wir nicht riskieren!"

"G-gut, du hast wohl Recht", antwortete ich leicht überfordert und ließ mich von ihm mitziehen. Das gesamte Gelände war umzäunt und in der Ferne sah ich bereits die nächste Schleuse, als der Neko plötzlich stoppte und sich kurz die Pfoten rieb. "Perfekt! Siehst du den Lüftungsschacht dort? Die führen alle in den Kontrollraum, von dem die gesamte Technik gesteuert wird!", erklärte er mir und zeigte auf ein dichtes Gestrüpp, das sich im Laufe der Jahre an einer Engstelle zwischen Zaun und Hauswand breit gemacht hatte. Ich musste mich ein wenig bücken, aber dann entdeckte ich es auch. Wahrscheinlich hätte ich es übersehen, selbst wenn ich so klein wie er gewesen wäre. Leo hatte echt gute Augen! Vielleicht ein wenig zu gut für meinen Geschmack. "Aber... hier draußen warst du doch nie, oder?", fragte ich ihn skeptisch. Ab und zu wirkte der Kleine auf mich, als würde er noch immer etwas wichtiges vor mir verbergen, das er mir nicht mitteilen wollte, aus welchem Grund auch immer. Er war weniger Stegi, als ich bisher angenommen hatte, dachte ich unwillkürlich. Mein Freund war kein Geheimniskrämer.

Der Neko legte seine Ohren an und schüttelte den Kopf: "War ich nicht! Wirklich nicht! Aber ich bin in den Laboren tatsächlich weiter herumgekommen, als ich sollte. Die Forscher hat es nicht so stark gekümmert, da sie auf die Wirkung des Phenamzepans gesetzt hatten, doch einmal bin ich bis in den Kontrollraum gekommen und hab die Schächte in der Decke gesehen. Vertraut mir bitte, ich weiß, was ich tue!"

Nagut, es blieb mir wohl nichts anderes übrig, so unglaubwürdig mir diese Geschichte auch erschien. Mit gemischten Gefühlen sah ich ihm zu, wie er sich eher unbehände am Maschendraht nach oben hangelte und dort nochmals stoppte. "Denk dran, du musst in den Raum mit den großen Server-Towern und ans Schaltpult! Wichtig sind nur fünf Knöpfe: zuerst der große, rechteckige unten links auf dem mittleren Kontrollpad, dann ein recht kleiner, roter im Zentrum. Linkes Pad, der einzige grüne, dann der direkt rechts daneben und zum Schluss auf dem rechten Pad der größte, auf dem "Release" steht! Merk dir die Reihenfolge, alles andere kann zu schweren Fehlern führen!"

"M-moment, warte! Links unten, rechteckig, mittleres Pad, dann k-klein und...?", wiederholte ich mit schwirrendem Kopf. Weiter wusste ich die Reihenfolge schon gar nicht mehr und Leos drängende Gestik machte das ganze Chaos in meinen Gedanken nicht besser! Er nickte hastig: "Genau! Wenn du drinnen bist, wirst du das schon hinkriegen! Ich muss jetzt los, bevor wir noch Aufmerksamkeit erregen! Bring das zuende, Timmi! Das ist mein größter Wunsch!"

"Halt mal Leo! Woher weißt du das alles? Wie können wir uns sicher sein, dass du uns die Wahrheit sagst?!", stieß ich noch hervor, doch mit einem Satz war der Neko auch schon in dem Gebüsch verschwunden, bohrte seine Krallen in die Köpfe der vier Schrauben, die das Lüftungsgitter auf dem dunklen Schacht hielten, und drehte sie in Rekordgeschwindigkeit locker. "Mach dir darum keine Sorgen! Ich bin auf eurer Seite, versprochen! Jetzt geht schon, wir hören uns später wieder!", verabschiedete er sich hastig, dann verschluckte ihn auch schon der finstere Tunnel und ließ mich mit mehr Fragen als jemals zuvor zurück. Konnten wir ihm wirklich trauen? Oder lockte er uns am Ende doch in eine Falle?

"Timmi? Er hat Recht, wir müssen weiter! Ich glaube, die von der Kontrolle haben uns eben gesehen und die werden bestimmt ungemütlich, wenn wir hier weiter einfach nur rumstehen!", erinnerte mein Freund mich mit unbehaglicher Stimme und riss mich aus meiner Starre. Richtig, wir mussten weiter! Ins Innere der Firma und nach den Laboren suchen! Egal ob Falle oder nicht, wenn es auch nur die leiseste Möglichkeit gab, um Stegi zu retten, dann wollte ich sie nutzen! Koste es was es wolle!

Garfield - Zwei Jungs, ein Kater und ein verworrenes Schicksal (#Stexpert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt