Kapitel 7

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Gespannt wartete ich auf Liams Antwort. Seit einigen Minuten starrte dieser nun schon ins Leere und schien darüber nachzudenken, was er mir sagen sollte und ob er es mir überhaupt erzählen sollte.

"Wenn du willst, dass ich dir helfen soll, dann musst du mir die Frage beantworten. Ich weiß, dass es nicht einfach ist darüber zu reden, aber du kannst mir vertrauen.", sagte ich, damit er endlich eine Antwort gab. Geduld zählte nicht zu meinen Stärken und wir hatten nicht ewig Zeit.

Liam wendete seinen Blick zu mir und sah jetzt wieder anwesend aus. Kaum merklich nickte er, fuhr sich kurz seufzend durch die Haare und lehnte sich neben mich an den Sarg. Ich hoffte, er beeilte sich mit seiner Erzählung, denn ich wollte nicht länger in dieser kleinen Hütte sein, besonders nicht in Gesellschaft einer Leiche.

"Als ich bereits einige Tage in Silent Hill war, kam ein Mann zu dem Haus, in dem ich mich aufhielt. Ich war froh, endlich wieder mit jemanden reden zu können. Er war nett, gab mir Essen und erzählte mir einiges über diese Stadt. Ich vertraute ihm und zählte ihn zu meinen Freunden. Der Mann, Jonathan, erzählte mir auch, er hätte eine Ausweg aus dieser Stadt gefunden. Naiv wie ich war glaubte ich ihm und ließ ihn mich dorthin führen. Doch es war eine Falle. Er führte mich zu dem Experimentierlabor, wo bereits mehrere weitere Menschen auf mich warteten. Ich konnte nicht mehr fliehen. Sie haben mich auf einer Liege festgebunden."

Wut auf Jonathan machte sich in mir breit. Dieser Mann hatte Liam reingelegt und ihn zu den Forschern gebracht. Er hatte ihn quasi in die Hölle geführt.

"Und was haben sie dann mit dir angestellt?", fragte ich Liam vorsichtig.

"Grausame Dinge. Zuerst haben sie mir verschiedene Flüssigkeiten in mein Blut gepumpt, die meine Haut fürchterlich brennen ließen und höllische Schmerzen verursachten. Dann haben sie getestet, wie viel Volt mein Herz überstehen kann. Mein gesamter Körper stand viele Stunden lang unter Strom. Als der Schmerz dann langsam abgeklungen war, haben sie mir verschieden Viren injiziert, um den Krankheitsablauf herauszufinden. Aber das schlimmste kommt erst noch."

Liam stoppte mit dem Erzählen und sah verträumt an die Wand, die sich vor uns befand. Er schien erneut abwesend und völlig in Gedanken versunken zu sein, als würde er an die Zeit zurück denken. Es nahm ihn anscheinend immer noch mit, obwohl dieser Vorfall nun schon viele Jahre her ist. Und da wären wir bei einer der Fragen, die er mir noch beantworten musste.

Ich erinnerte mich noch genau daran, dass Liam sagte, sein Vater sei 1939 in die Stadt gefahren. Zu dem Zeitpunkt war Liam zwölf Jahre alt. Ein paar Jahre später begann er seinen Vater in Silent Hill zu suchen. Liam müsste jetzt also schon über siebzig Jahre alt sein. So sah er aber definitiv nicht aus und so verhielt er sich auch nicht. Wie konnte das sein?

Mein Gedanken driffteten ab und spekulierten, wie Liam so jung sein konnte. War er ein Vampir? Ein Geist? Oder war er unsterblich? Okay, ein Vampir war er sicherlich nicht, denn er hatte keine scharfen Zähne und dürstete nicht nach Blut. Außerdem glaubte ich nicht an Vampire. Für einen Geist sah er zu lebendig aus. Also, was war Liam dann?

Mein Mund öffnete sich, bereit Liam die Frage zu stellen, als dieser bereits begann zu sprechen. Ich schloss meinen Mund wieder und lauschte Liam. Vielleicht beantwortete er die Frage von alleine.

"Sie haben mir einige Zellen entnommen. Lange fragte ich mich wieso, bis sie mir einige Tage später diese erneut einpflanzten. Aber sie waren nicht mehr dieselben. Jonathan erklärte mir, dass sie die Zellen genetisch verändert hätten. Sie haben mir künstliche DNA zugefügt, die der Grund dafür ist, dass ich jetzt noch so jung bin. Diese DNA stoppt das Altern, mehr weiß ich nicht über sie. Die Forscher haben mich danach einfach gehen lassen, aber leider konnte ich mich nicht mehr an ihnen rächen. Jetzt bin ich seit langer Zeit einundzwanzig Jahre alt und werde es auch noch länger sein."

Liam beendete seinen Bericht mit Wut in den Augen, die nun direkt in meine blickten. Doch da war noch etwas anderes in seinen Augen, dass ich nicht zuordnen konnte. Es kam mir so vor, als verschwiege er mir wichtige Details, doch ich war zu geschockt, um ihn darauf anzusprechen. Die neuen Erkenntnisse waren für mich nur schwer zu begreifen. Zwar war ich nie gut in Biologie, doch ich war mir sicher, dass ich noch nie von alterungsstoppender DNA gehört hatte. Diese Forscher müssen also wahre Genies sein, auch wenn man ihre Entdeckung nicht gerade als wunderbar bezeichnen konnte.

"Das....", ich unterbrach mich und schluckte heftig," Das ist krank. Ich kann dich verstehen. Und ich werde dir helfen, dich an ihnen zu rächen. Doch warum haben sie dich einfach so gehen lassen? Ich meine, du hättest ihnen ja etwas antun können oder zur Polizei gehen können. Und wieso bist du nicht abgehauen aus Silent Hill?"

"Nun ja, dass weiß ich selber nicht so genau. Aber eine einzige Person kann gegen eine Horde irrer Forscher nicht ausrichten. Außerdem gibt es keine Polizei mehr in Silent Hill, also fiel die Option weg. Abhauen? Glaub mir, wenn es so einfach wäre, aus Silent Hill zu fliehen, dann wäre ich schon lange weg. Aber das ist es nicht. In dem dichten Nebel, der vor der Stadt auf den Straßen herscht, findet man sich nicht zurecht. Besonders nicht, wenn man keinen fahrbaren Untersatz hat. Und selbst damit findet man nicht so einfach einen Weg in die Zivilisation."

Frustriert und aufgebracht stieß Liam sich von dem Sarg ab und lief in der kleinen Hütte auf und ab. Er schien sich beruhigen zu wollen. In den letzten Jahren - und es waren immerhin nicht gerade wenig - hatte sich anscheinend so einiges bei ihm angestaut. Er wirkte fast verzweifelt, so als wüsste er nicht, wie er die Gefühle rauslassen sollte. Und da entschied ich mich, dass zu tun, was mir in solchen Situationen immer half.

'Das wirst du noch bereuen, April.', dachte ich,'Irgendwann wirst du es bereuen.'

Seufzend stieß ich mich ebenfalls vom Sarg ab und war in wenigen Schritten bei Liam. Mit meinen Händen stoppte ich ihn und zog ihn an mich. Sanft legte ich meine Arme um seinen Bauch und lehnte meinen Kopf gegen seine warme Brust. Liam war völlig überrascht von meiner Geste. Zuerst blieb er still wie eine Statur, doch dann legte er seine Arme um mich und stützte seinen Kopf auf meinem. Er war, als ob Liam auftaute. Als legte er alle Emotionen, die sich in den Jahren angestaut hatten, in diese Umarmung.

Mein Körper wurde während der Umarmung von einem Gefühl überhäuft, dass sich unglaublich anfühlte. Wärme und ein Gefühl der Geborgenheit machten sich in mir breit. Ich genoß diese Minuten wirklich und mir kam es so vor, als tat Liam dies auch. Doch dann war alles schnell wieder vorbei. Liam murmelte unverständliche Wörter, räusperte sich kurz und entfernte seine Arme von mir. Dann schob er mich sanft von sich weg und sah mir noch ein letztes mal in die Augen, bevor er sich zur Tür umdrehte. Das wunderbare Gefühl verschwand wieder und augenblicklich spürte ich die Kälte der Hütte wieder.

"Komm. Du siehst müde aus. Wir sollten uns einen Schlafplatz suchen.", sagte er und öffnete die Tür, die aus der Hütte führte. Ein letztes mal blickte ich mich zu der Leiche um, dann folgte ich Liam in die kühle Nachluft von Silent Hill.

Wieder ein neues Kapitel. Mir war langweilig, deshalb dachte ich :"Wieso nicht?". Ich würde mich über Votes und Kommentare natürlich freuen.

Widmung geht an @hemmosheart

Silent Hill  // Liam PayneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt