Kapitel 28

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Der Schock über die neuen Erkenntnisse saß noch immer in meinen Knochen, als wir uns circa eine Stunde später einen Weg durch das dichte Gestrüpp des Waldes bahnten. Während Louis und Liam sich flüsternd über etwas unterhielten, war ich in meinen Gedanken versunken, wie schon so oft in letzter Zeit.

In unseren Lungen hatte sich ein giftiges Gas abgesetzt, dass uns immer schwächer machen würde und schließlich zu unserem Tod führen würde, wenn wir in den nächsten Stunden kein Krankenhaus aufsuchten. Das hieß für uns drei, dass wir unter extremen Druck standen. Wir mussten so schnell wie möglich aus Silent Hill entkommen und das würde verdammt schwer werden. Doch wir mussten es einfach schaffen. Jetzt, wo wir so kurz vor unserem Ziel waren, wäre es eine Tragödie, wenn unser ganzer Plan platzen und man uns erwischen würde. Das durften wir nicht zulassen. Auch wenn wir wenig Zeit hatten für unseren Fluchtplan, durften wir uns nicht hetzen. Ein Fehler, sei er noch so klein, konnte unseren Tod bedeuten.

Wir hatten fast den Stadtrand erreicht, als ich hinter mir ein Knacken vernahm. Augenblicklich blieb ich stehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, dann schlug es blitzschnell weiter. Auch Louis und Liam waren stehengeblieben. Sie nahmen eine angespannte Haltung ein und sahen sich um. Ich traute mich nicht auch nur einen winzigen Millimeter zu bewegen, also wartete ich auf eine Reaktion der beide. Doch Liam schüttelte den Kopf, zuckte mit seinen Schultern und machte ein Zeichen, dass wir weiterlaufen sollten. Mein Herz machte vor Erleichterung einen Sprung und ich folgte wieder Louis und Liam. Völlige Stille war wieder eingekehrt. Ich hörte nur meinen flachen Atem und das leise Knacksen der Zweige, über die wir liefen. Mein Atem bildete kleine Wölkchen in der Luft, da es nicht besonders warm war.

Fröstelnd verschränkte ich die Arme vor der Brust und klapperte mit den Zähnen. Es war, als wurde die Temperatur immer niedriger, was eigentlich unmöglich war. Doch ich schätzte, dass "unmöglich" und "Silent Hill" nicht wirklich zusammen passten. In den letzten Tagen war mir immer mehr bewusst geworden, wie gefährlich diese Stadt wirklich war. Besser gesagt, wie gefährlich die Menschen in dieser Stadt wirklich waren.

Erneut riss mich ein lautes Knacken aus den Gedanken. Erschrocken blieb ich stehen und starrte Liam und Louis an, die einige Schritte entfernt von mir standen und sich bereits umgedreht hatten. Mit weit aufgerissenen Augen schauten sie an mir vorbei. Vollkommen erstarrt standen sie da, der Schock war nicht zu übersehen. Ihre Reaktion auf das, was sich hinter mir befinden musste, machte mir zugegebenermaßen große Angst. Mein Herz raste wie wild und mein Atem wurde hastiger.

"April, komm her. Dreh dich nicht um.", sprach Liam eindringlich und streckte seine Hand aus. Seine Augen ruhten jetzt auf mir und versuchten mich zu ihm zu locken. Trotz meiner Angst vor dem, was sich hinter mir verbarg, drehte ich mich langsam um. Meine Neugier war einfach zu groß. Liams' Hand packte mich schnell an meinem Handgelenk, doch er konnte nicht mehr verhindern, dass ich ein Bild sah, welches ich wahrscheinlich nie wieder vergessen würde.

Ein entsetztes Keuchen entwich mir, als meine Augen auf die leblose Gestalt trafen, die mit einem Seil um der Kehle an einem Ast eines Baumes hing. Der Körper drehte sich langsam hin und her bei der leichten Brise, die wehte. Schlaff baumelten die dünnen, knochigen Arme an den Seiten des völlig ausgemagerten Körpers hinab. Der Kopf war zur Seite leicht zur Seite gekippt und die leeren Augenhöhlen starrten uns an. Der Körper war mit Wunden übersät und nur spärlich von Kleiderfetzen bedeckt. Zahlreiche Fliegen umschwirrten die Gestalt und ließen sich auf dem getrockneten Blut nieder, das fast die gesamte Haut bedeckte. Maden krochen aus den tiefen Wunden und suchten sich wieder einen Weg in den Körper durch die Nasenlöcher oder durch den Mund, der teilweise mit Fäden verschlossen war.

Es war ein grausiger Anblick, der dafür sorgte, dass sich mein Magen umdrehte. Binnen Sekunden beugte ich mich über den nächsten Busch und würgte. Lediglich Gallenflüssigkeit kam aus meiner Kehle, da mein Magen leer war durch die mangelnde Nahrungsmittelaufnahme der letzten Tage. Eine Hand legte sich auf meinen Rücken und streichelte sanft darüber, während eine andere Hand meine Haare zurückhielt.

Silent Hill  // Liam PayneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt