Kapitel 14

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"Endlich seid ihr da. Darauf habe ich schon lange gewartet."

Mein Herz setzte einige Schläge aus, als ich die Stimme vernahm. Ich kannte diese Stimme. Nach meiner Ankunft in Silent Hill hatte ich sie zum ersten Mal gehört, danach nicht mehr. Bis jetzt. Obwohl ich keine besonders große Angst vor der Person hatte, zu der die Stimme gehörte, dauerte es einen Moment, bis ich mich umdrehte. Zuerst musste ich den Schock überwinden, der mir versetzt wurde. Dann drehte ich mich ganz langsam um. Aus meinen Augenwinkeln konnte ich erkennen, wie Louis es mir gleich tat. 

Eine Gänsehaut überkam mich, als ich sie erblickte. Die alte Frau stand wieder vor mir. Die alte Frau, die mich damals vor einem Sohn warnte, der Rache nehmen würde. Ich fragte mich immer noch, wen sie damit meinte. Sie hatte mich damals völlig überwältigt und verwirrt. Außerdem dachte ich mir, ich hätte mir die Frau nur eingebildet, doch nun wurde mir bewiesen, dass sie wirklich real war. Noch immer wusste ich nicht, was ich von ihr halten sollte. Einerseits wirkte sie wie eine alte, verwirrte Dame. Andererseits sah sie durch ihre merkwürdig blasse Haut, den übermäßig vielen Falten und dem komischen modrigen Geruch aus wie etwas nicht lebendiges.

Aber da ich nicht an Geister oder ähnliches glaubte, verdrängte ich diesen Gedanken in die hinterste Ecke meines Gehirns. Stattdessen versuchte ich mir einzureden, dass sie nur eine sehr alte Frau war, die ein wenig verwirrt und merkwürdig war. Doch so wirklich klappen wollte es irgendwie nicht, egal wie hart ich es versuchte. Louis' Aussage darüber, dass er in Silent Hill schon seltsame Dinge beobachtet hatte, von denen er ebenfalls nie geglaubt hatte, dass sie existieren, war zum großen Teil für mein Scheitern verantwortlich.

"Darf ich fragen, wer Sie sind?", hörte ich eine Stimme neben mir vorsichtig fragen. Louis musterte die Frau unsicher und wartete interessiert auf eine Antwort der alten Dame. Er schien ihr noch nicht begegnet zu sein, also gehörte sie anscheinend nicht zu den seltsamen Dingen, die er in Silent Hill bislang  gesehen hatte. Diese Tatsache beruhigte mich etwas, doch das bedeutete nicht, dass diese Dame noch merkwürdiger war.

Erneut erklang ein röchelndes Lachen von der Frau, welches jedoch in ein Husten überging. Die Dame beugte sich vor und keuchte, versuchte verzweifelt ihr Husten zu stoppen. Als sie es endlich geschafft hatte, stellte sie sich wieder gerade hin.

"Mein Name spielt keine Rolle; er ist unwichtig.", sprach sie schnell, wobei es schwer viel sie zu verstehen, da sie nicht mehr so viele Zähne im Mund hatte,"Ich bin hier, um euch einiges mitzuteilen. Ich habe lange darauf gewartet, euch beide anzutreffen. Schade, dass Liam nicht hier ist."

Verwirrt sah ich sie an. Was wollte sie von uns? 

"Wir haben nicht viel Zeit. Aber ich schlage vor, dass ihr euch lieber hinsetzt.", sagte sie und zeigte auf einen Tisch in der Ecke des Restaurants, der noch stand. Nickend lief ich zu dem Tisch und schnappte mir einen der am Boden liegenden noch heilen Stühle. Louis tat es mir gleich und setzte sich neben mich an den Tisch. Die alte Frau setzte sich gegenüber von uns hin und faltete ihre knochigen Hände auf dem Tisch. Dabei fiel mir auf, dass ihre Fingernägel nicht mehr vorhanden warne, stattdessen konnte ich dort blutige Hautfetzen sehen. Angewidert kräuselte ich meine Nase und wendete meinen Blick ab. Aus den Augenwinkeln konnte ich sehen, dass Louis es ebenfalls bemerkte und sich räusperte. Dann fing die Dame an zu sprechen.

"Ich weiß nicht so recht, wo ich beginnen soll, da ich keine Ahnung habe wie viel ihr schon wisst. Aber an euren fragenden Gesichtsausdrücken kann ich mir denken, dass ihr nicht viel wisst.", sagte sie mit einem Lächeln auf den Lippen, doch dieses verschwand schnell wieder.

"Nun ja. April, ich denke, Liam hat dir schon so einiges über die Sache mit seinem Vater erzählt. Ich gehe auch davon aus, dass du weißt, was mit ihm geschehen ist, oder Louis?", fragte die Dame und fuhr erst fort, als Louis nickte. "Auch Liam wurde ebenfalls Opfer der Experiemente der Forscher, wie ihr ja wisst. Aber es gibt etwas, was du nicht weißt, April. Es gibt da einen Grund, wieso die Forscher jetzt so hinter dir her sind und Liam her sind."

Gespannt wartete ich darauf, dass die Frau fortfuhr. Sie hatte mein Interesse wirklich geweckt. Ich wollte unbedingt wissen, wieso die Forscher so sehr hinter mir her waren. Ich erhoffte mir auch endlich zu erfahren, wieso ich gerade in Silent Hill gelandet war.

"Du fragst dich wahrscheinlich, wieso diese merkwürdigen Dinge geschahen, die dich hier hin gebracht haben. Der Weg, der auf deinem Navigationsgerät angezeigt wurde, der plötzliche Ausfall deines Motors und die Schritte hinter dir. Das alles waren keine Zufälle. Jemand hat dich hierhin gelockt und dafür gesorgt, dass all diese Dinge geschehen, um dir schreckliche Sachen anzutun. Dieser jemand will sich rächen. Rächen für etwas, was Liam einem engen Verwandten der Person angetan hat."

Geschockt sah ich die Frau an. Jemand wollte sich also an mir rächen für Dinge, die Liam einer anderen Person angetan hat. Nur was hatte ich mit der ganzen Sache zu tun? Und was hatte Liam dieser Person angetan? 

Während ich weiter grübelte vernahm ich, wie Louis sich neben mir deutlich angespannt hatte. Er fummelte nervös mit seinen Finger an der Tischkante herum und wich den Blicken der Frau aus. Louis schien sich sichtlich unwohl zu fühlen und trug damit nicht gerade der Besserung meiner Verwirrtheit bei. 

"Es geht aber noch weiter.", sprach die alte Frau und sah weiterhin nur Louis an. "Du willst sicherlich wissen, was Liam getan hat. Ich kann dir nicht viel erzählen, da ich selbst keine Details weiß. Jedoch weiß ich, dass Liam damals, vor vielleicht 20 Jahren, gegen weitere Experimente der Forscher angekämpft hatte. Er lieferte sich ein wildes Gefecht ihnen, bei dem Waffen benutzt wurden. So kam es, dass ein Schuss aus Liams Waffe eine Frau traf, die daraufhin starb. Ihr Mann war so sauer, dass er schwor, sich an Liam zu rächen, weil dieser ihm seine geliebte Ehefrau genommen hatte. Nun ja, diese Frau  hat auch einen Sohn, der heute immer noch lebt. Natürlich möchte er sich ebenfalls an Liam rächen, genau wie sein Vater. Er hat dich nach Silent Hill geholt, warum gerade dich, dass weiß ich nicht. Und hier endet mein Wissen. Ich habe weder eine Ahnung davon,  wieso er dich nach Silent Hill geholt, noch weiß ich, wie seine Rache aussehen wird. Aber ich hoffe, du verstehst nun meine Warnung vor einem Sohn, der Rache nehmen will."

Total überwältigt und geschockt von der Erzählung der Dame entwich kein Laut meinen Lippen. Das war einfach zu viel für mich. Die Erkenntnis, dass Liam eine Frau getötet hatte und dessen Sohn jetzt hinter mir her war, sorgte dafür, dass mir Tränen über die Wangen liefen. Wieso hatte Liam mir davon nichts erzählt? Wieso gerade ich? Wer war der Sohn? Fragen über Fragen schwirrten durch meinen Kopf und bereiteten mir Kopfschmerzen. Jetzt wollte ich Liam umso schneller finden, damit ich ihn  zur Rede stellen konnte. Ich wollte wissen, wieso er mir alles verheimlicht hatte und ob er mehr wusste als die Frau.

Entschlossen erhob ich mich und wischte mir die Tränen von den Wangen. "Komm Louis, lass uns Liam suchen gehen. Vielen Dank für ihre Hilfe.", brachte ich heraus und sah die Frau dankend an. Diese beendete den Blickkontakt mit Louis, der die Frau immer noch komplett angespannt an sah. Sein  Blick wirkte wütend, was ich mir nicht wirklich erklären konnte, doch es spielte jetzt auch keine Rolle.

Nach weiteren Sekunden, in denen Louis die Frau mit dem selben Gesichtsausdruck betrachtete, stand er auf und stimmte mir zu.

"Komm.", sagte er,"Wir gehen jetzt zu seiner Wohnung, vielleicht ist er ja da."

Er warf der Frau noch einen letzten undeutbaren Blick zu, bevor er das Restaurant verließ und davor ungeduldig auf mich wartete. Ich wollte ihm folgen, doch die Frau griff mit ihren krummen Fingern nach meinem Arm und hielt mich etwas zu fest zurück. Ich zischte kurz auf, da ihr Griff weh tat.

"Du solltest nicht jedem blind vertrauen.", flüsterte sie mir zu und  ließ endlich von mir ab. Verwirrt rieb ich mir den Arm und verließ nach einigen Minuten, in denen ich die alte Dame fragend an sah, ebenfalls das Restaurant.

Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen und einige eurer Fragen wurden beantwortet. Wahrscheinlich habt ihr jetzt aber auch wieder neue Fragen:) Keine Sorge, Liam taucht auch bald wieder auf. 

Widmung geht an @1D_mybiglove

Über Votes und Kommentare würde ich mich freuen. 

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