achtundzwanzig

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Die nächsten Stunden verbrachte ich an Amys Bett, hielt ihre Hand und versuchte uns beide an all das schöne zu erinnern, was wir nicht verlieren wollten. Vielleicht sprach ich auch nur für mich, aber ich wollte nicht, dass sie es verlor. „Weißt du noch, als du bei uns eingezogen bist? Du warst dieses kleine hilflose Kind aber alles in dir war so stark, dass du irgendwie doch noch weitergemacht hast... Und als wir das erste mal ans Meer gefahren sind. Wir saßen stundenlang im Sand und haben auf die Wellen gestarrt. Du hast gesagt, du hättest das Gefühl, dass die Wellen all die Wut sind, die du nicht ausdrücken kannst, sie hätten die Kraft du nicht spürst. Ich hab dir versprochen, dass du sie hast und das du sie irgendwann auch spüren wirst. Und davon bin ich noch immer überzeugt. Und all die Wunden können heilen."

Ich atmete tief ein und aus, nahm einen Schluck Kaffee und zog an meiner Zigarette. „Seit wann rauchst du wieder?", fragte Harry und setzte sich neben mich. Wir saßen auf einer viel zu kalten Bank vor dem Krankenhaus und Harry reichte mir einen Muffin. „Du musst was essen." Ich schüttelte den Kopf. „Sprich." „Was soll ich sagen?", fragte ich lachend. „Was willst du hören? Ich weiß nicht, wie es weitergehen soll. Sie war in der Klinik, sie geht zur Therapie, ich versuche ihr alles zu geben, was sie braucht. Aber es reicht nicht. Ich kann sie nicht halten, und ich kann sie nicht retten und ich..." Ich verstummte und nahm noch einen Zug. „Was?" Ich schüttelte meinen Kopf. „Manchmal glaub ich, es wär besser, wenn sie bei jemand anderem wohnen würde. Ich hab versagt." Ich nahm einen letzten Zug und warf den Rest auf die Straße. Wär Harry nicht da gewesen, hätte ich wahrscheinlich eine nach der anderen geraucht. Auch wenn ich aufgehört hatte, tat es gut. Wie eine kleine Auszeit, ein kleines bisschen Ruhe. „Du hast nicht versagt. Und das weißt du." „Sie ist unglücklich, ich bin unglücklich und nichts geht voran. Woran liegt es denn dann?" Harry schaute mich komisch an, doch sagte nichts. Ich nahm einen großen Schluck Kaffee, stand auf und sagte: „Ich geh nochmal zu ihr." „Kann ich dich was fragen?", fragte Harry. Ich nickte. „Willst du, dass sie es schafft?" Ich brach in Tränen aus und Harry drückte mich an sich. „Du hast Angst, Louis, das ist normal.. Aber Amy wird es gut gehen. Und dir auch."

„Weißt du noch, als wir unseren ‚Smiley Daddy Day' zusammen verbracht haben? Ich hab dir skaten beigebracht und ich hatte endlich das Gefühl, dass ich dich erreichen kann. Du hast mir von früher erzählt und wir saßen auf einem Dach und haben den Sonnenuntergang beobachtet." Ich strich sanft über Amys Hand. Ihr Zustand war weiterhin kritisch.

„Dann sind wir durch die dunklen Straßen gelaufen und du warst so begeistert davon, wie groß London ist. Dann hast du irgendwann Tom und Lisa kennengelernt. Und dann auch Ben. Für einige Zeit warst du so unbeschwert... Du hast so viele tolle Dinge erreicht und ich weiß du siehst nicht immer den Grund, aber irgendwer hat mal gesagt, dass es einen Grund dafür gibt, dass die stärksten Menschen die schwersten Wege haben."

Der Arzt betrat das dunkle Zimmer. „Wie geht es Ihnen?", fragte er mich. Ich zuckte nur mit den Achseln, ich wusste es einfach nicht. „Ich verstehe, dass das schwer für Sie ist. Aber sie müssen jetzt genauso stark sein, wie Amy." Er setzte sich neben Amys Bett und versuchte mit ihr zu reden, überprüfte die verschiedenen Geräte und machte sich Notizen. „Sie ist ansprechbar und ihre Werte sind etwas stabiler. Wenn das so weitergeht, hat sie gute Chancen." Ich nickte lächelnd und der Arzt verließ den Raum. „Hey," flüsterte Amy. Ich lächelte sanft und setzte mich zu ihr. „Wie fühlst du dich?" „Weiß ich nicht." Ich strich mit meinem Finger über ihren Handrücken. „Das musst du auch nicht..." Für einige Zeit schwiegen wir. Ich wusste nichts zu sagen, was soll man denn sagen? Ich war so aufgewühlt zwischen Verzweiflung und Erleichterung und Wut.

Eine Stund später saß ich noch immer schweigend an ihrem Bett. Harry öffnete die Tür einen Spalt weit und fragte: „Kann ich reinkommen?" Ich nickte und er schloss die Tür hinter sich, nahm sich einen Stuhl und setzte sich neben mich. „Wie ist die Lage?", fragte er und reichte mir einen Kaffee. „Ich weiß es nicht, ehrlich gesagt.", antwortete ich und lächelte schwach. Der Kaffee war sehr heiß und irgendwie tat der kurze Schmerz gut. Amy öffnete die Augen und sah mich an. „Ich will nach Hause," flüsterte sie. „Ich will gesund werden." Ich nickte. „Okay," sagte ich und nahm ihre Hand, noch immer nickend. „Okay, dann schaffen wir das. Aber dann bleib bitte bei der Entscheidung."

Amy P.o.V.

Nach ein paar Tagen ging es mir deutlich besser, ich sollte jedoch noch zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben. An einem Nachmittag saß ich in meinem Bett und laß ein Buch, als eine Frau in mein Zimmer kam. „Du bist Amy, richtig?" Ich nickte. „Ich bin Dr. Barrie, eine Jugendpsychiaterin hier im Krankenhaus. Ich würde mich gerne mit dir unterhalten. Darf ich mich setzen?" Ich nickte erneut und sie zog einen Stuhl neben das Bett und setzte sich. Ich schloss mein Buch und starrte auf meine Hände. „Wollen wir uns vielleicht woanders hinsetzen? Oder spazieren gehen?" „Okay," sagte ich leise. Dr. Barrie stand auf und sagte: „Dann komm mit." Ich zog schnell meinen Pulli über und folgte ihr aus dem Zimmer. „Amy und ich gehen ein bisschen raus", sagte sie zu einer Krankenschwester. „Alles klar, dann bis gleich", erwiderte diese. Wir gingen von der Station, die Treppen runter und die langen Flure entlang, bis zum Ausgang. „Du bist 17, richtig?" Ich nickte. „Du siehst regelmäßig einen Therapeuten, oder?" „Ja," sagte ich. „Willst du mir erzählen, was da vor ein paar Tagen passiert ist oder willst du über was anderes reden?" „Früher oder später muss ich das doch sowieso, oder?" Sie lachte. „Ich glaube, da führt kein Weg dran vorbei, nein. Aber es ist deine Entscheidung, wann du es tust." Eine Weile schwiegen wir. „Ich war zuhause, alleine und hab mir alte Fotos angeguckt. Von... früher." Ich schluckte. „Und ich war plötzlich so verloren. Meine Hände haben nicht mehr aufgehört zu zittern und ich... ich hab mich so geschämt." „Wofür hast du dich geschämt?" „Einfach... ich zu sein, irgendwie." Wir liefen durch den kleinen Park am Krankenhaus. Einige Patienten saßen draußen und genoßen ein letztes bisschen Sonne vor dem Abend. „Was an dir ist denn so schlimm, dass du dich dafür schämen musst?" „Das... was aus mir geworden ist, irgendwie. Ich komm mit nichts klar, ich kann nichtmal meinen Alltag leben, wie ein normaler Mensch." „Und dafür schämst du dich?" Ich nickte langsam. „Was für Fotos von früher waren das, die du dir angeguckt hast?" „Von meiner Familie. Aus dem Urlaub." „Und das hat Scham in dir ausgelöst. Hast du eine Idee warum?" Ich schüttelte den Kopf. „Wirklich nicht?" Ich spürte, dass sich Tränen in meinen Augen bildeten. Ich öffnete meinen Mund, wollte etwas sagen, doch ich wusste nicht was. Und ich wusste nicht wie. Also weinte ich.



xx

ich hoffe, das liest noch jemand, Freunde der Sonne. 

Das nächste kapitel kommt in ein paar Tagen. :)

passt auf euch auf.  

Team Tomlinson [III]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt