12. Kapitel

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Es war bereits Nachmittag, als Harry und ich gemeinsam durch Mullingar liefen. Der Weg zu dem alten Spielplatz kam mir so vertraut vor, als würde ich gestern erst hier entlang gelaufen sein. Es war ein gutes Gefühl, wieder zu Hause zu sein. Ich hatte nach den vielen Reisen schon ganz vergessen wie schön meine Heimat doch war.

"Hier ist es", sagte ich schließlich und deutete auf einen von Büschen umrahmten Platz. Harry folgte meinem Blick. Mit schnellen Schritten lief ich hinüber zu der großen Birke. Meine Finger fuhren über das helle Holz. "Was genau tust du da?", hörte ich Harrys verwirrte Stimme hinter mir, doch suchte ich unbeirrt weiter den Stamm ab. Da hatte ich gefunden, wonach ich gesucht hatte. "Da", klärte ich Harry auf und deutete auf zwei Buchstaben, die ich vor knapp fünf Jahren in das Holz geritzt hatte.

"N.H.", las er vor und warf mir ein Grinsen zu. "Niall und Harry?"
"Horan!", verbesserte ich ihn und konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen. "Niall Horan"
"Meinetwegen", lachte Harry und begutachtete den Schriftzug in der Baumrinde. "Was…", fing er gerade an zu sagen, als ein Lied meine Ohren erreichte. Verwirrt blickte ich mich um, bis ich realisierte, dass es aus Harrys Jackentasche kam. Ich erkannte es sofort. Es war End of the day, jenes Lied, bei dem wir uns das erste Mal geküsst hatten.

"End of the day?", fragte ich, während Harry in seiner Jackentasche kramte. "Zufall?" Ich grinste. Harry tat es mir gleich, doch als er sein Handy endlich gefunden hatte und einen Blick auf das Display warf, erlosch es. "Harry?", fragte ich etwas unsicher und versuchte ein Blick auf das Handy zu erhaschen. Jedoch warf er mir einen entschuldigenden Blick zu und lief dann ein paar Schritte über die Wiese.

Kurz vor den zwei Schaukeln blieb er stehen, lehnte sich an den Holzpfosten und nahm den Anruf an.
Ich verstand nicht was er sagte, doch in seinen Augen konnte ich eine Anspannung erkennen. Schließlich hörte ich ihn "Auf Wiedersehen" sagen, ehe er auf mich zu kam.

"Wer war das?", fragte ich, wobei ich mich um einen beifälligen Tonfall bemühte. Zögernd fuhr sich Harry durch die Haare. Ich konnte ihn seinen inneren Gewissenskonflikt förmlich ansehen. Einen Moment standen wir still da. Abwartend sah ich zu ihm auf. "Doktor Grey", murmelte Harry schließlich und fuhr sich abermals durch die Haare, wobei seine Locken gleichmäßig nach hinten fielen.

Schnell blickte ich wieder in sein Gesicht. "Wer ist Doktor Grey?", fragte ich leise. "Ist es wegen dem Unfall? Ist dir doch etwas schlimmeres zu gestoßen? Musst du Medikamente nehmen oder…?"
Die Worte sprudelten aus mir heraus, ohne das ich sie davon abhalten konnte. Bilder erschienen in meinem Kopf. Bilder, von denen ich überhaupt nichts wissen wollte.

Immer wenn ich das Gefühl hatte, alles geklärt zu haben, tauchte ein neues Problem auf. Ich dachte nach diesem Morgen seien alle Fragen geklärt, aber da hatte ich mich wohl getäuscht.
"Niall, ich wollte dich damit nicht belasten. Deshalb bin ich auch zu Liam gegangen", meinte Harry und trat von einem Fuß auf den anderen.
"Was ist los, Harry?", fragte ich erschrocken. Der Gedanke, dass Liam und Harry beim Arzt gewesen waren, gefiel mir überhaupt nicht.
Harry atmete geräuschvoll aus. "Doktor Grey ist mein Therapeut"

Mit Umwegen bei dir (Narry) Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt