15. Kapitel

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"Ich und Höhenangst?", fragte Harry und griff nach der höhsten Sprosse, die er aus seinem Stand erwischen konnte. Elegant zog er sich nach oben und erreichte kurze Zeit später die kleine Luke. Ich reichte ihm meine Hand und zog ihn zu mir herauf.

Neugierig schaute Harry sich in dem Zimmer um. Der Dachboden sah noch immer aus, wie früher. Hinten standen haufenweise Kartons mit alten Fotos und Briefen, die mein Vater nicht wegwerfen wollte. Und rechts in der Ecke stand der kleine Hocker, auf dem ich immer Gitarre geübt hatte, wenn alle anderen schon geschlafen hatten. Ein paar Mal hatte es in meinem Zimmer versucht, doch spätestens beim zweiten Lied war Greg rein geplatzt und hatte mich wütend aus zwei verschlafenen Augen angesehen. Seitdem war der Dachboden mein eigenes kleines Studio geworden, welches ich fast täglich benutzt hatte.

"Echt gemütlich", riss mich Harry aus den Gedanken und lief zu der Schräge hinüber. Mit gesenkten Kopf entging er den niedrigen Balken. Lächelnd folgte ich ihm, wobei der Balken bei meiner Größe kein Problem darstellte.
"Wow", hauchte Harry und schaute aus dem Fenster in den Sternen übersäten Himmel. "Ja", stimmte ich ihm zu und genoss einen Moment den schönen Anblick, der uns geboten wurde.

"Ist das deine Gitarre?", brach Harry schließlich die Stille und deutete auf das Instrument neben dem Hocker.
"Ich habe lange nicht mehr auf ihr gespielt", murmelte ich und kniete mich auf dem Boden. Meine Finger fuhren über die Saiten, die mit einer dünnen Staubschicht überzogen waren.
"Dann wird es Zeit, das zu ändern", grinste Harry und ließ sich an der Wand gelehnt auf dem Boden nieder.
Unschlüssig sah ich an. Eine ungewohnte Aufregung suchte mich auf. Vor tausenden von Menschen zu spielen war ich gewohnt, nicht aber vor einem allein und schon gar nicht vor Harry.

Er warf mir auffordernde Blicke zu. Langsam nahm ich die Gitarre in die Hände und ließ mich auf den Hocker nieder. Aus irgendeinem Grund konnte ich spüren, dass ich lange nicht mehr auf ihr gespielt hatte. Sie fühlte sich so leblos an.
"Und was für ein Lied wünscht sich der Herr?", fragte ich grinsend, während ich begann die Gitarre zu stimmen.

"Mhm", gab Harry von sich und setzte diese eine bestimmte nachdenkliche Mimik auf. "Welches dir als erstes in den Kopf kommt", meinte er schließlich und begutachtete mich.
So viele Lieder hatte ich schon gesungen, doch nun schienen alle Texte aus meinen Gedächtnis gelöscht worden zu sein.

Plötzlich schoss mir ein Text durch den Kopf. Ich konnte mir nicht erklären, weshalb es ausgerechnet dieser war.  "Da gibt es eins", murmelte ich etwas verlegen. Mühsam versuchte ich nach den richtigen Worten zu suchen. "Es hat noch niemand außer mir gehört"
Nun hatte ich entgültig die Neugier in Harry geweckt. "Den Song habe ich, vor knapp einem halben Jahr, für dich geschrieben", sprach ich es schließlich aus. "Er heißt You and me"

"Für mich?", fragte Harry und warf mir einen undefinierbaren Blick zu.
Ich nickte leicht und legte meine Finger auf die Gitarrensaiten. "Nicht lachen", bat ich ihm, worauf er bestätigend seine Hände hob.

Ich atmete tief durch, sah hinüber zu Harry, der lächelnd zu mir auf blickte und begann die ersten Zeilen zu singen: "I've got a young heart. And it's wild and free. I don't know where it starts. But it ends with you and me
It's a hard road. As far as I can see.
I don't know where I'm going
But I'll get back to you and me"

Mit Umwegen bei dir (Narry) Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt