35. Family

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Es fühlt sich kurz so an, als wäre die Zeit um mich herum stehen geblieben. Ich starre den Mann mit einer Mischung aus Entsetzen und Panik an, während er gelangweilt zurückblickt. Mein Denken will nicht länger richtig funktionieren, ich bekomme einfach keine logischen Sätze mehr hin und kann nur an Flucht denken.
Die Menschen um mich herum scheinen sich nicht zu bewegen, kein Geräusch ist zu hören und selbst mein Herz hat aufgehört zu schlagen.
Und dann dreht sich die Erde wieder weiter. Der Kontrolleur räuspert sich ungeduldig, das Kind, welches wenige Meter von mir entfernt mit seiner Mutter sitzt, schreit weiter und der alte Herr links von mir blättert seine Zeitung um.
Ich atme zittrig ein und schließe für einen Atemzug die Augen. Dann hebe ich langsam die Hände an den Mundschutz und ergreife ihn schon mit den Fingerspitzen, als ich nochmal stocke. „Ist.. das denn wirklich nötig?" Ich versuche ruhig zu klingen, bloß nicht auffällig zu wirken.
„Ja, haben sie etwa ein Problem damit?" Sofort schüttle ich hektisch den Kopf. „N-nein, nein, ich habe nur.. ich b-bin nur.. leicht erkältet und will niemanden anstecken." Bringe ich stockend hervor und versuche dem misstrauischem Blick meines Gegenübers stand zu halten.
„In den paar Sekunden wird schon nichts passieren. Jetzt nehmen sie bitte den Mundschutz ab." Verzweifelt suche ich nach irgendeiner anderen, besseren Ausrede, um ihn davon zu überzeugen, dass ich die Maske nicht abnehmen muss, aber mein Kopf ist wie leer gepustet.
Es vergehen einige weitere Sekunden, der Mann zieht die Augenbrauen hoch und holt ein Walkie Talkie aus seiner Tasche. „Ihnen ist klar, dass ihr Verhalten sehr auffällig ist?" Meine Augen weiten sich und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal eine solche Panik verspürt habe. Sie verschlingt alle anderen Gefühle, bringt mich dazu, heftig zu zittern und lässt meinen ganzen Körper eine seltsame Taubheit verspüren.
„Ich gebe ihnen eine letzte Chance, ihr Gesicht freiwillig zu zeigen, sonst muss ich annehmen, sie haben etwas zu verbergen und werde Verstärkung rufen." Wie paralysiert schüttle ich den Kopf und hebe die Arme ein weiteres Mal an.
Ungeschickt löse ich die Maske hinter meinen Ohren und ziehe sie dann langsam ab. Während ich die Hand, in der sich das schwarze Stück Stoff jetzt befindet sinken lasse, halte ich den Blick gesenkt, doch als sich der Kontrolleur abermals räuspert, sehe ich schließlich auf.

Seine dunklen Augen mustern mich kurz, dann das Bild auf dem Ausweis und dann wieder mich. „Gut, das passt. Sehen sie, war doch nicht so schwer." Er hält mir die Karte entgegen und hat den Hauch eines Lächelns, welches mehr gespielt als echt aussieht, auf den Lippen.
Ich spüre bei seinen Worten so eine Erleichterung, dass ich das Gefühl habe, jeden Moment abzuheben und davon zu fliegen, so leicht fühlt sich alles plötzlich an.
„D-dankeschön." Hauche ich mit schwacher Stimme und nehme den Ausweis entgegen. Eilig stecke ich ihn zurück in die Tasche und greife dann sofort nach der Maske, um mein Gesicht wieder verbergen zu können.
„Warten Sie mal kurz." Abrupt stocke ich ihn der Bewegung und blinzle zu dem Mann hoch. Erneut spüre ich diese Angst in mir aufsteigen, als er mich aus zusammengekniffenen Augen ansieht und ein Stück näher kommt.
Bitte, bitte, bitte lass ihn mich nicht doch noch erkannt haben. Bitte, lass ihn einfach wieder gehen. Bitte lass mich nicht auffliegen. Bitte lass mich meine Familie heute wieder sehen und einfach glücklich wie zuvor mit ihnen leben.
„Sie kommen mir etwas bekannt vor. Vielleicht aus dem Fernsehen? Waren sie mal in einer dieser Idol Shows?" Ich schüttle den Kopf und er presst nachdenklich die Lippen zusammen. Plötzlich beugt er sich dicht zu mir, so dicht, dass ich seine Körperwärme spüren kann und den leichten Pfefferminzgeruch, der von ihm ausgeht, in der Nase habe.
„Was ist das da, hinter ihrer Brille? Ist das eine Narbe?" Mein Körper versteift sich. Alles in mir zieht sich zusammen. In meinem Kopf spielt sich die Szene ab, in der ich die Narbe unter meinem Auge das erste Mal gesehen habe. Nachdem Block B mir angekündigt hatte, mich jetzt als eine Art „Sklaven" zu halten und ich bei Jihoon übernachten musste. Am Morgen sind wir im Bad gewesen und ich habe in den Spiegel gesehen. Entgegen blickte mir damals ein abgemagerter, blasser Junge mit tiefen Augenringen und einer noch nicht ganz verheilten Wunde auf dem Wangenknochen, die ein „b" darstellte. Die Wunde ist inzwischen eine weißlich schimmernde Narbe, die sich etwas von meiner Haut abhebt und die eigentlich dem Zweck dienen sollte, jedem zu zeigen, dass Block B sich nimmt, was sie wollen und damit macht, was sie wollen.
Ich habe mich in den letzten Monaten nicht mehr großartig daran gestört, doch jetzt gerade verfluche ich dieses Zeichen mehr als alles Andere auf der Welt.

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