38. Chatch me if you can

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Es ist still und dunkel um mich herum. Ich kann meinen eigenen, leisen Atem hören und obwohl ich versuche ihn so flach wie möglich zu halten, damit er praktisch kein Geräusch erzeugt, kommt er mir viel zu laut vor. Alles kommt mir in letzter Zeit zu laut vor. Am schlimmsten ist es nachts. Wenn jeder schläft und man eine Stecknadel auf den Boden fallen hören könnte.
Dann kann ich meinen Herzschlag wahrnehmen, das Ticken der Uhr, weswegen ich sie schon aus meinem Zimmer verbannt habe, mein atmen und die Schritte meines Vaters, wenn er um diese Uhrzeit noch arbeitet. Deswegen hasse ich die Nacht. Weil es zu laut ist. Doch das ist nicht der einzige Grund. Mein Hass auf die Dunkelheit wird noch von der Einsamkeit die mit ihr ein herkommt verstärkt. Eigentlich fühle ich mich immer alleine und verlassen, seit ich nicht mehr bei Block B bin. Doch tagsüber kann ich das noch etwas ausblenden. Tagsüber kann ich wenigstens so tun, als wäre ich nicht einsam. Dann kann ich mit den Angestellten reden und manchmal sogar raus gehen. Allerdings darf ich nicht ohne Begleitung hinaus, weil man Angst hat, ich könnte wieder entführt werden oder jemand könnte eine Art Attentat auf mich verüben.
In meinen Ohren hört sich das wie ein Vorwand an. Ein Vorwand, damit mein Vater mich immer überwachen kann. Immer einen seiner Leute bei mir hat, die mich beobachten und ihm berichtet, was ich tue, mit wem ich spreche und wie ich mich verhalte.
Und trotz all dieser Bewachung haben sie noch nichts von meinen tiefsten, verborgensten Gedanken mitbekommen. Natürlich haben sie das nicht. Ich habe gelernt meisterhaft zu lügen und mein wahres Ich zu verstecken. Keiner sieht, dass mein Blick immer öfter an den großen, glänzenden Küchenmessern hängen bleibt und ich mir ausmale, was man damit noch so alles tun könnte, außer Brot und Gemüse zu zerkleinern.
Ich verstecke, was aus mir geworden ist. Verstecke den wachsenden Wahnsinn. Ich weiß, dass es nun nicht mehr lange dauern wird, bis ich von ihm verschlugen werde. Der Tag an dem das passieren wird, an dem ich endgültig den Verstand verliere rückt näher. Vielleicht könnte ich das Ganze noch etwas herauszögern, wenn ich mehr Hoffnung hätte, dass meine Familie mich aus dieser Hölle retten wird, doch diese Hoffnung ist inzwischen fast vollständig verschwunden. Kein Wunder, nachdem ich ein halbes Jahre hier zugebracht habe. Ein halbes Jahr, das mir wie eine Ewigkeit vorkommt. Die Aussicht, den Rest meines Lebens so leiden zu müssen, kommt mir weitaus schlimmer vor, als sich irgendwann einfach fallen zu lassen und dem Wahnsinn die Kontrolle zu geben. Also warte ich einfach ab und wenn es so weit ist, werde ich widerstandslos aufgeben und tun, was auch immer mein kaputter Verstand dann von mir verlangen wird.

Ohne, dass ich es bemerkt habe, hat sich ein leichtes Lächeln auf meine ausgedörrten Lippen gelegt. Dies passiert viel zu leicht, wenn ich an daran denke, loszulassen. Eigentlich sollte ich Angst davor haben, doch stattdessen bringt es mich dazu meine Einsamkeit für einen Moment zu vergessen, keine der viel zu lauten Geräusche mehr zu hören und einfach ein winziges Stück Freiheit zu fühlen.
Doch diese Sekunden der Ruhe sind jetzt vorbei und ich finde mich in meiner persönlichen Hölle wieder, als ich aus meinen Gedanken auftauche und meine schweren Lider öffne, um von purer Dunkelheit empfangen zu werden.
Ein Seufzen entkommt mir, dröhnt nahezu in meinen Ohren. Ich brauche etwas, bis ich meinen Körper dazu bringen kann, sich aufzurichten, wobei ein ungut klingendes Knacksen den Raum erfüllt. Ich verziehe das Gesicht und setze vorsichtig meine Füße auf den kalten Boden. Das Aufstehen fällt mir schwer. Ich bin schwach und ich weiß auch, warum das so ist. Man sieht es mir an, wenn man nur darauf achtet. Ich bin vollkommen abgemagert. Ich sehe schlimmer aus, als eines dieser skelettartigen Models, die sie ständig im Fernsehen zeigen.
Das liegt daran, dass ich kaum noch esse. Bei den Mahlzeiten kriege ich häufig so gut wie nichts runter und wenn ich doch mal etwas mehr schlucke, wird mir sofort schlecht. Allerdings bemerkt niemand diese Tatsache, da ich meinen Körper hinter weiten Klamotten verstecke und essen tue ich eh immer allein. Mein Vater speist im Büro, die Angestellten unter sich.
Der zweite Grund, aus dem ich so kraftlos bin, ist mein enormer Schlafmangel. Ich kriege kaum mehr als drei bis vier Stunden jede Nacht. Es ist mir einfach zu laut und außerdem kommen mit dem Schlaf auch die Träume. Träume meiner Familie. Ich hasse diese Träume. Ich hasse sie, weil sie nicht real sind. Weil ich nicht wirklich bei ihnen bin und es vermutlich nie wieder sein werde.

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