"Das sollte ich dich wohl fragen." In seiner Stimme spielte etwas lauerndes mit; es schleichte mir wie eine Schlange in den Sinn und raubte es.
Meine Hände hatten schon längst begonnen zu zittern. Ich konnte nicht länger meinen Atem einstellen.
Renn. Renn. Renn einfach weg.
"Vater...", stieß Sam warnend aus. "Hör auf ihr Angst einzujagen."
Der Polizist brach in Gelächter zusammen. "Tut mir leid. Ist nunmal eine Angewohnheit."
Ich biss die Zähne zusammen und atmete tief ein; der Sauerstoff brannte förmlich in meinen Lungen. "Woher kennen Sie ihn."
Er lächelte leicht nachdenklich und legte den Kopf schief. "Wir waren Klassenkameraden."
Aufgeregt riss ich die Augen auf. "Ihr... Ihr wart Freunde?"
"Ach, nicht doch." Sam's Vater sackte auf einen Stuhl ein und legte die Zeichnung auf den Tisch. Er konnte seinen Blick einfach nicht davon wenden. "Ich habe ihn gehasst, so wie jeder andere Schüler unserer Schule auch."
"Warum denn das?" Ich setzte mich neben ihn und blickte neugierig drein. Erst jetzt fiel mir auf wie sehr meine Fersen schmerzten.
"Er war ein Egoist, der nie wirklich mit irgendjemanden gesprochen hat. Seine Arroganz war unerträglich, daher hatte er auch nie Freundschaften schließen können, was ihn eigentlich keineswegs gestört hat. Die Einsamkeit war sein Reich und er liebte es, unerreichbar zu sein.", erzählte Sam's Vater völlig in Gedanken versunken. Ich war mir nicht einmal sicher, ob er überhaupt mit mir sprach oder in einem Albtraum verfangen war und seine Erinnerungen aussprach.
"Dad, was machst du da für'n Drama draus? Wir haben's kapiert. Er war ein eingebildetes Stück Scheiße... Wen interessiert das?" Sam kippte gelangweilt mit dem Stuhl vor und zurück, was ich verhinderte, indem ich mit der Hand den Rücken des Stuhls stützte. "Mich.", kam es zischend von mir.
Die Blicke der beiden richteten sich auf mich. Sowohl Sam als auch sein Vater waren verwirrt, nein, sogar verwundert.
Mir wurde sofort klar wie komisch sich das angehört haben musste, daher versuchte ich meine Wörter einzuräumen. "Also, ich würde gern mehr über ihn erfahren."
Ein Lächeln umspielte die Lippen des Polizisten. "Woher kennst du ihn eigentlich? Ich weiß, er hätte das Potenzial als Model zu arbeiten, doch soweit ich weiß, hat er das nie getan und es gibt auch keine Bilder von ihm."
"Das ist es ja. Ich kenn ihn nicht. Er ist nur ein ausgedachter Charakter den ich gerne zeichne."
"Ausgedacht?"
"Ja, so ziemlich.", erwiderte ich und musste schmunzeln.
"Du bist ein sonderbares Mädchen, Kleines.", gab er lachend zu und drehte seinen Stuhl in meine Richtung, sodass er seinen Kopf keine neunzig Grad drehen musste, um mich anzusehen. "Na schön. Was möchtest du denn über James wissen?"
"Was ich über ihn wissen will? Wo... wo lebt er denn jetzt?" Ich wusste nicht warum, aber dass ich Antworten auf meine Fragen erhalten würde, über die ich mir schon so lange den Kopf zerbrach, wirkte so unrealistisch.
Das Lächeln auf seinem Gesicht erlosch. "Er ist schon seit Jahren tot."
"Tot..?" Bestürzt zogen sich meine Augenbrauen zusammen. "Nein, er..."
Das kann nicht sein.
"Was ist denn?", fragte Sam aufdringlich.
Ich sah auf meinen Schoß hinab und stach mir die Finger gegen meine Schenkel. War das sein Geist, mit dem ich sprach? Oder war ich tatsächlich verrückt geworden?
"Er ist doch noch so jung..."
"Ja.", bestätigte der Polizist. "Er hat schon mit achtzehn Jahren sein Leben verloren. Sein Herz war nunmal sehr schwach, doch niemand hätte erwartet, dass er tatsächlich so früh sterben würde."
"Wart ihr bei seiner Beerdigung dabei? Ich meine, als Klasse."
Er legte die Hand unters Kinn und warf noch einen Blick auf die Zeichnung. "Nein, niemand war dort. Nicht einmal seine Eltern."
Keins von dem stimmte. James konnte unmöglich solch ein schlechter Mensch gewesen sein, zu dessen Beerdigung nicht einmal seine Eltern kamen. Ich kannte den wahren James zwar nicht, aber ich kannte seine Seele, die in meinen Träumen ruhte.
"Gut." Ich stand auf und nahm die Zeichnung vom Tisch. "Dann geh ich ihn eben besuchen."
"Du bist echt nicht normal.", behauptete Sam leicht verängstigt.
"Hab ich denn was falsches gesagt?" Ich wandt mich zu seinem Vater und sah ihn bittend an. "Können Sie mir zeigen, wo sein Grab ist?"
* * *
"Hat ihn denn wirklich keiner gemocht?", wollte ich wissen, weil all das, was er mir erzählte keinen Sinn ergab.
Sam's Vater verstärkte seinen Griff um das Lenkrad und seufzte. Er schien irgendwie verärgert zu sein. "Doch, doch. Er hatte viele Verehrerinnen, die ihm wie sein eigener Schatten folgten, aber er hat sich nie für sie interessiert."
Ich sank im Sitz des Autos noch ein wenig ein. Mir fielen fast die Lider zu. "Heißt das, er hat sich noch nie in jemanden verliebt?"
Der Polizist lachte, als er das Auto parkte und sich zurück lehnte. "Er war verliebt, sehr sogar. Seine Augen sahen niemand anderen als dieses eine Mädchen, aber..."
"...aber was?"
Er sah mich mit leeren Augen an, dessen Braun in den Iriden fast schon zu einem Grau verfärbt schienen. "Weißt du... James war kein normaler Junge. Wie gesagt, er lebte in seiner eigenen Welt und nicht in der Realität..."
"Würden Sie bitte zum Punkt kommen?"
Sam's Vater kratzte sich nervös am Hinterkopf. "Er liebte ein Mädchen, das eigentlich nie existiert hat."
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Das Erwachen
Paranormal"Ist es wirklich so auffällig dass ich Menschen nicht leiden kann?" "Nein, überhaupt nicht. Du siehst sie bloß so an als ob du ne Zitrone gegessen hättest.", meinte er und fing die Klinge auf, welche sich kurzzeitig in der Luft gedreht hatte. Mein...