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Die Straßenlaternen erhellten die stockdunklen Wege, die sich wie ein Spinnennetz durch die Stadt ausstreckten. 

Ich warf James einen flüchtigen Blick zu der mir in Todesstille Schritt für Schritt folgte. Er starrte auf den Boden und hatte die Hände in die Taschen gesteckt. Warum er so abwesend war, blieb mir ein Geheimnis. 

"Was ist?", fragte er und drehte seinen Kopf zu mir, woraufhin ich rasch den Blick abwandte. 

"Nichts.", entgegnete ich knapp und blickte auf die Wohnung vor uns empor. "Danke fürs Begleiten."

"Immer doch." James warf mir die Haare über die Schultern und lächelte leicht. "Diese Wunde solltest du lieber bedecken." 

"Ja... Genau.", stotterte ich und hielt den Finger der Klingel entgegen, doch konnte mich nicht überwinden es dagegen zu drücken. "James, bleibst du noch ein wenig bei mir?"

"Du kannst nicht genug von mir bekommen, was?" In seiner Stimme lag eine Art Ironie; komisch, wie der sonderbare Schein der Sonne im strömenden Regen.

Ich zwang mir ein Lächeln auf die Lippen und drückte letzendlich auf die Klingel. 

Mrs. Morgan war völlig kreidebleich als sie mich sah. "Alia!", schrie sie und nahm mich in die Arme. "Wo warst du denn nur?" 

Ich erwiderte ihre Umarmung und atmete tief ein. "Heute ist viel passiert. Ich möchte jetzt einfach nur in mein Zimmer."

Sie sah mich ungläubig an und rieb mir den Arm. "Alles in Ordnung?" 

"Irgendwie schon." Ich blickte James erleichtert an und marschierte mit ihm in mein Zimmer, wessen Tür ich sofort abschloss. 

Ich steckte mir die Haare hoch und schmiss mich ins Bett. "Du meintest doch dass du mir helfen wirst den Mörder meiner Familie zu treffen... Wie lautet dein Plan?"

James setzte sich neben mich aufs Bett und deckte mich zu. "Das wirst du morgen erfahren.", ließ er mich wissen und machte Anstalten aufzustehen, da griff ich nach seiner Hand und verhinderte dies. 

"Bleib.", stieß ich nur schwer hervor; überstürzt in Verlegenheit. 

"Möchtest du diese Nacht wirklich mit einem Untoten verbringen?", fragte er spöttisch und legte sich neben mich hin. 

"Du wirkst lebendiger als ich.", meinte ich und legte den Kopf auf seine Brust. Er war so kalt; doch sein Herz hämmerte dermaßen schnell als wäre er den ganzen Weg hierher gelaufen. Er lebte nicht, sein Körper lag im Sarg; sein Herz hatte aufgehört zu schlagen, dennoch lag er neben mir in dieser lebenden Gestalt. Was war er nur?

James lachte laut und verschränkte seine Hand mit meiner. "Wenn ich einschlafe kann ich nicht länger meine Existenz verheimlichen. Hast du die Tür auch ordentlich abgeschlossen? Nicht dass sie dich am frühen Morgen mit einem fremden Jungen im Bett sehen." 

Ich musste einfach Grinsen. "Keine Sorge. Niemand kommt hier rein." 

* * *

Im frühen Morgen James neben mir liegen zu sehen, hatte ich nicht erwartet. Ich war mit der Angst eingeschlafen, er würde jeden Moment aufstehen, doch das war er nicht; er war bei mir.

Seine schwarzen Haare wurden kein bisschen aufgewühlt; er wirkte wie eine Puppe im Schaufenster. Seine Brust stieg und sank regelmäßig. Es war zum Lachen. Dieser Junge sollte tot sein?

Ich zeichnete mit dem Zeigefinger die Kurve seiner Augenbraue nach. Mein Finger streifte über seine Wangenknochen, bis zu seinen aufgeschwollenen Lippen, wo ich am liebsten meine entgegen pressen würde.

Seine Wimpern zuckten leicht, woraufhin ich mich rasch zurück legte. "Alia?", hörte ich ihn fragen, doch rührte mich nicht; die Augen fest geschlossen.

"Wir wollten doch jemanden besuchen gehen.", erinnerte er mich und strich mir übers Haar. Wenige Minuten später seufzte er und stupste mir auf die Nase. "Ich weiß dass du nicht schläfst."

"Woher willst du das denn wissen?"

"Deine Augenlider verraten dich."

Ich setzte mich aufrecht hin und starrte auf seine Schultern. "Gehen wir?"

* * *

"Sie werden mich doch von den Überwachungskameras sehen.", warnte ich James und sah mich skeptisch im engen Korridor um.
"Nicht wenn jemand sie alle ausgeschaltet hat."

"James... Wie?"

Ich brauchte keine Antwort mehr. Hinter den Gitterstäben sah ich ihn: den Mörder meiner Familie.

"Oh, ich habe Besuch? Fühlt euch wie zuhause.", sagte der Mann und starrte mich mit einem breiten Grinsen an.

"Euch"?

"Er kann dich..?", stammelte ich hervor, musste jedoch nicht weiter sprechen, als James für mich weiter sprach. "Er gehört zu den Menschen die ihren Verstand verloren haben."

"Das ist aber unhöflich.", beschwerte sich der Mann und zog die Brauen einander.

"Hör zu.", zischte ich. "Du wirst mir jetzt all meine Fragen beantworten und wenn du sie ehrlich beantwortest, helf ich dir hier raus."

Seine Augen leuchteten förmlich auf. "Ich bin ganz Ohr."

"Warum hast du die Hutson Familie ermordet?"

"Die 'was'?", fragte er und rückte etwas näher gegen die Stäbe; James zerrte mich sofort ein Stück zurück. "Die Hutson Familie.", wiederholte er an meiner Stelle.

"Oh, die meinst du. Nun ja, wenn man ein Haus ausrauben will muss man darauf achten das alle schlafen und da Tod der tiefste Schlaf ist...", erzählte der Mann, als würde er uns eine ganz gewöhnliche Sache erklären.

"Die Zungen... Warum hast du sie abgetrennt?" Meine Hände hatten schon längst begonnen zu zittern; die Wut übernahm mich langsam.

"Damit sie niemanden sagen können dass ich sie umgebracht habe. Ich hatte vergessen meine Maske aufzutragen...", der Mann kam nicht weiter; James hatte die Hand durch die Gitter gesteckt und zerrte ihn am Kragen. "Schweig.", dröhnte er.

Obwohl James seinen Griff schon längst gelöst hatte, versuchte der Mann nach Luft zu schnappen, doch die röte wandte ihm nicht aus dem Gesicht. Er starrte James wie gebannt an. Das Rot wurde zu einem leichten lila. Sie lösten keineswegs den Blickkontakt und letzendlich sackte der Mann reglos zu Boden.

"James...", hauchte ich; schockiert von seiner Tat, die er nur mit seinen Augen vollbracht hatte. "Du hast ihn..."

"Befreit? Ja. Seine Seele hat sehr unter dem Gehirn gelitten dass ihn seine Taten nicht richtig wählen ließ. Jetzt ist alles vorbei."

"Er ist tot." Mein Blick war noch immer auf die Leiche gerichtet. Unwillig fielen mir Tränen über die Wangen, nicht weil ich Mitleid mit dem Mörder hatte, sondern wegen der Angst die mich übernahm.

Ich hörte ein leises "Gern geschehen." was mich dazu zwang James fragend anzusehen, der es gar nicht in meine Richtung sagte.

Das war der Moment, der mir klar machte dass er kein Mensch war. Zum ersten mal konnte ich tatsächlich glauben dass er nicht mehr lebte und ließ los.

Das ErwachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt