Kapitel 6

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Nach dem Nachmittagsunterricht machte ich mich auf dem Weg nach Hause. Noch immer hatte ich ein Lächeln in meinem Gesicht, welches so schnell auch nicht mehr verschwand. Emilio ging mir einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich war so fasziniert von seiner Reaktion, dass es solche Menschen überhaupt noch gab? Ich erinnerte mich noch an letztes Jahr, als ich einen Jungen über Whatsapp angeschrieben hatte und er mir nur dumme Sachen zurückgeschrieben hatte. Seitdem war ich in solchen Dingen etwas vorsichtiger.

Fröhlich pfeifend betrat ich das herrlich kühle Haus. Ich streifte meine Turnschuhe auf unseren geblümten Fußabtreter ab und stellte sie anschließend fein säuberlich ins Schuhregal. Ich tabste auf Zehenspitzen in die Küche und warf einen Blick auf unseren Wochenplan. Ich hoffte, dass ich für die letzten Tage nicht eingeteilt war, denn ich hatte es total vergessen, dass es ihn noch gab. Erleichtert stieß ich die Luft aus und ging an den Kühlschrank. Mein Bauch hatte sich schon wieder auf dem Heimweg gemeldet, obwohl ich erst in der Schule etwas gegessen hatte. Ich schnappte mir kurzerhand einen Apfel, ließ etwas warmes Wassser darüber laufen und biss dann herzhaft hinein. Er schmeckte leicht säuerlich und ich liebte diesen Geschmack von ganzem Herzen. Gemächlich stapfte ich die Holztreppe unseres Hauses hoch und betrat mein Zimmer. Ich ließ meinen Rucksack neben den Schreibtisch gleiten und ließ mich auf mein weiches Bett fallen. Meine offenen, leicht gelockten Haare fielen in kleinen Stränen um meinen Kopf. Man atmete glücklich tief ein und wieder aus und aß dann den Apfel zuende.

Ein leisen Piepen riss mich aus meinen Gedanken. Oder eher aus meinem Schlaf? Ich war wahrscheinlich während meinen Grübeleien eingenickt und richtete mich nun verschlafen auf. Völlig verpeilt suchte ich mein Smartphone und fand es nach kurzem Suchen in einer der Seitentaschen meines Schulrucksackes. Ich entsperrte es und erkannte das Nachrichtensymbol von Muchwrite. Mit wildem Herzklopfen öffnete ich die Schreibapp und lud meine neuen Nachrichten. Ich hatte gleich drei Nachrichten, aus zwei Chats. Der eine war von Sheeplove und die andere war zu meiner unendlich großen Freude von Emilio. Mein Herz begann schneller zu schlagen und meiner Meinung nach auch doppelt so laut. Doch das war mir egal, er konnte es schlecht hören. Also war alles gut. Ich klickte auf unseren Chat und laß hochkonzentriert die wenigen Worte, die er geschrieben hatte.

~Hallo Hündchen0101~

~Ist alles okay? Du schreibst nicht mehr?!~

Schnell tippte ich eine Antwort:

<Hey Emilio, ich hatte nochmal kurz Unterricht...>

Süß, wie er mich einfach mit meinem Muchwritenamen anspricht! Wie er wohl aussah? Groß oder klein? Dick oder dünn? Hoffentlich war er nicht fast zwei Meter groß, dagegen schaute ich dann aus wie ein Hamster gegenüber einem Kaninchen. Aber wieso interessierte mich das eigentlich, fragte ich mich und schlug mit der flachen Hand gegen meine Stirn. Ich werde ihn doch sowieso nicht persönlich kennenlernen. Warum machte ich mir dann überhaupt Gedanken?

Das Piepen einer neuen Nachricht unterbrach meine Überlegungen.

~Ach so...die Schule...~

Beim Lesen dieser Nachricht musste ich schmunzeln. Wenn die Angaben zu seiner Person stimmten, dann war er 20 Jahre alt und wohnte ganz weit im Norden. Im Gegensatz zu mir, denn ich wohnte eher südlich. Auf jeden Fall musste er dann schon mit der Schule fertig sein und wusste wie sehr die nerven konnte.

<Ja...>

Plötzlich schoss mir ein großartiger Gedanke durch meinen Kopf. Ich wollte ihn besser kennenlernen. Und was eignet da sich vorerst nicht besser, als zu telefonieren? Ich würde ihm dann sogar meine Handynummer geben, auch wenn ich sonst damit sehr vorsichtig umging. Er war ja schon ein erwachsener Mann. Aber etwas wirklich schlimmes konnte er kaum damit anstellen, außer mich dauernd anzurufen, aber dann gab es immer noch die Möglichkeit das Handy auszuschalten oder sich eine neue Nummer zu besorgen. Und wenn ich ehrlich war, schätzte ich ihn nicht so ein. Er wird garantiert vernünftig damit umgehen, da war ich mir sicher. Woher diese Zuversicht kam war mir unbekannt, doch ich kümmerte mich nicht weiter darum. Jetzt lag es an meiner Überzeugungskraft, ob es überhaupt dazu kam.

<Sag mal, wollen wir vielleicht mal telefonieren? Dann könnten wir uns auch besser kennen lernen, natürlich nur, wenn du möchtest?!>

Ich zappelte unruhig auf meinem Bett hin und her. Ich hoffte so sehr, dass er einverstanden war. Aber wenn nicht, dann musste ich es akzeptieren, auch wenn ich nicht wollte.

~Können wir gerne mal machen~

Kam wenige Minuten später auch schon seine Antwort.

"Yesss", schrie ich und sprang vor Freunde von meinem Bett auf und sprang vergnügt durchs Zimmer.

Kurze Zeit später hatte ich mich wieder im Griff und schnappte mir erneut mein Handy.

<Cool und wann?>

Fragte ich und starrte wartend auf mein Smartphone, doch es kam keine Nachricht mehr von ihm. Hatte ich ihn jetzt verkrault? Hoffentlich nicht. Wahrscheinlich war er nur in der Arbeit und schrieb deshalb nicht. Ja, so musste es sein.

Ich legte mein Handy beiseite und entschloss mich meinen Hausaufgaben zu widmen. Wir mussten in Deutsch eine Gedichtsanalyse als Übung schreiben, da wir darüber in wenigen Wochen auch einen Test schreiben werden. Seufzend setzte ich mich auf den Schreibtischstuhl und kramte nach meinem Deutschheft suchend in meiner Schultasche herum. Schließlich fand ich es und schlug eine leere Seite auf. Dann laß ich das Gedicht zunächst durch und machte mich dann an die Analyse. Welches Reimschema liegt vor? Mhm...ein Kreuzreim. Jetzt das Versmaß...wahrscheinlich sowieso nur wieder ein vierhebiger Jambus, dachte ich und schrieb es kurzerhand gleich hin. Jetzt fehlte nur noch die Sprachanalyse und dann war es geschafft.

Gute zwei Stunden später schlug ich mein Heft zu und lehnte mich völlig verspannt zurück und streckte mich.

Schnell packte ich meine Schulsachen wieder in den Rucksack und ging dann auf meinen Balkon. Ich stützte mich mit meinen Händen auf das Geländer und ließ meinen Blick schweifen.

Es schien immer noch die Sonne und kein Wölkchen war zu sehen. Aus der Ferne konnte man Kinder schreien hören und unser Nachbar mähte den Rasen. Hatte er das nicht vor ein paar Tagen schon getan? Naja, war seine Sache, seufzte ich und entschied mich nun nochmal nachzusehen, ob Emilio mir schon geschrieben hatte.

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