Kapitel 8

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Die Stimmung während dem Essen war wie immer. Alle schwiegen vor sich hin, keiner sagte ein Wort. Das war bei uns irgendwie zur Normalität geworden.

Nach dem Essen ging ich wieder hoch in mein Zimmer und suchte mein Handy. Das war mal wieder typisch. Ich ließ es irgendwo liegen und wusste dann nicht mehr wo. Das passierte mir wirklich andauernd.

Doch nach wenigen Minuten fand ich es und loggte mich schnell ein. Während ich auf neue Nachrichten wartete, sah ich mich in meinem Zimmer um. Sehr groß war es nicht gerade, aber sehr gemütlich. Endlich meldete mein Smartphone eine neue Nachricht. Bitte lass sie von Emilio sein,hoffte ich. Vorsichtig schaute ich auf das Display und ließ mich enttäuscht aufs Bett fallen.

Es war nur eine Nachricht von Amelie in unserer gemeinsamen Gruppe mit Marie und Alina.

~Ihr erratet nicht was passiert ist...~

Schrieb sie.

Wollte ich überhaupt wissen, dachte ich etwas genervt. Ich hatte mich so auf eine Nachricht von Emilio gefreut und jetzt war es nur sie, aber ich antwortete ihr dennoch.

<Was ist denn passiert?>

~Er hat mich geküsst~

<Wer?>

~Finn natürlich, wer sonst? Hörst du mir eigentlich nie zu?~

<Doch, doch, sorry, war mit meinen Gedanken woanders...>

~Ist schon okay :)~

<Danke, ich bin einfach so aufgeregt wegen morgen>

~Was ist da?~

<Da haben wir uns zum telefonieren verabredet>

~Krass~

<Mhm>

~Videoanruf oder normal?~

<Ich schätze mal normal>

~Okay, dann bis morgen, muss jetzt off~

<Bis morgen>

Seufzend legte ich mein Handy beiseite und ließ mich umfallen. Keine Nachricht von Emilio. Aber was sollte er mir auch schreiben? Es gab doch nichts mehr zu klären, oder? Doch Moment mal, wir hatten keine Uhrzeit ausgemacht und Handynummern hatten wir auch nicht ausgetauscht. Mit diesen Gedanken saß ich senkrecht im Bett und beschloss, ihm nochmal zu schreiben.

<Hey, wann telefonieren wir morgen>

Wenige Minuten später kam auch schon die Antwort. Saß er etwa die ganze Zeit am Handy, oder was? Naja egal, Hauptsache er antwortete.

~So 19 oder 20 Uhr vielleicht?~

<Okay, wir müssten aber noch Nummern austauschen>

~Schick mir deine, ich ruf dich dann an~

Schnell tippte ich meine Nummer und sendete sie ihm. War das wirklich so gut, dass ich einem wildfremden Mann meine Handynummer gab, kamen mir erneut Zweifel, aber ich schob sie sofort wieder beiseite.

Ich schaute mir noch ein wenig den Stoff für den nächsten Tag an und machte mich dann bettfertig.

Im Bett dachte ich noch lange über Emilio und insbesondere über unser bevorstehendes Telefonat am nächsten Abend nach. Wie er wohl sein wird? Also nett auf jeden Fall. Aber hat er eine tiefe Stimme oder eher eine hohe? So viele Fragen schwirrten durch meinen Kopf. Zu viele Fragen. Die konnte ich ihm unmöglich alle stellen. Dann hielt er mich gleich für total bescheuert.

Am nächsten Morgen wachte ich schon eine Stunde früher auf, als sonst. Lag vermutlich an der Aufregung, denn ich konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Ich hatte keinen Hunger, dennoch zwang ich mich eine Kleinigkeit zu essen.

Eine Stunde später machte ich mich auf den Weg zur Schule. Ich holte mein Fahrrad aus der Garage und schwang mich auf den Sattel. Heute konnte ich mir ausnahmsweise einmal Zeit lassen und so fuhr ich gemächlich in Richtung Schule. Dort angekommen stellte ich mein Rad ab und ging langsam die dunklen Steinstufen zu unserem Klassenzimmer hoch. Ich sah komischerweise die ganze Zeit nur auf den Boden, bis ich auf einmal ein Geräusch direkt vor mir wahrnahm. Sofort hob ich den Kopf und erblickte Amelie und Finn. Knutschend. Das konnte doch wohl nicht wahr sein. Mussten sie direkt vor unserem Klassenzimmer ihren Speichel austauschen? Neben meinem Ärger stieg auch ein unwohles Gefühl in mir auf. Mir wurde zunehmend schlecht von diesem Anblick. Ich dachte, dass meine Gefühle zu ihm nun endlich vorbei waren, da ich jetzt Gefühle für Emilio hatte, aber jedesmal aufs Neue erweckte er Gefühle in mir und ich konnte nichts dagegen tun. Rein gar nichts. Auch wenn ich es wollte. Ich stand immer noch unbeweglich da und konnte mich nicht vom Fleck bewegen. Die beiden waren so mit sich beschäftigt, sodass sie mich gar nicht wahrgenommen hatten.

"Emilia?", hörte ich plötzlich eine Stimme neben meinen Ohr.

Erschrocken drehte ich mich um.

"Du bist ja kreidebleich", bemerkte Marie mit Entsetzen, nahm mich am Arm und führte mich zur nächsten Damentoilette.

"Kommst du immer noch nicht damit klar, wenn sie sich küssen?", wollte sie besorgt von mir wissen.

Ich schüttelte den Kopf und ließ mich zu Boden gleiten. Ich war zu schwach zum Stehen. Ich bedeckte mein Gesicht mit meinen Händen und schluchzte auf.

"Ist es so schlimm?", fragte Marie bestürzt.

Ich brachte nur ein zaghaftes Nicken zustande, doch das genügte ihr. Sie zog ihr Smartphone aus ihrer Hosentasche und schrieb irgendjemanden über Whatsapp. Wenige Minuten später öffnete sich die Tür und Alina kam herein.

"Hab alles geklärt, du kannst Zuhause anrufen und dich abholen lassen. Du kannst in deinem Zustand unmöglich da bleiben", erklärte sie.

Ich sah sie überrascht und zugleich geschockt an.

"Meine Eltern sind heute zu einer Geschäftsreise aufgebrochen, die sind nicht Zuhause", erwiderte ich mit leiser Stimme.

"Mist!", fluchte Marie, aber beherrschte sich gleich wieder.

"Und dein Bruder?", hakte Alina weiter nach.

"Der müsste Zuhause sein", antwortete ich langsam.

"Dann ruf ihn an", bestimmte Marie.

Ich nickte zustimmend, zog mein Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer. Bereits nach dem dritten Klingeln hob er ab.

"Was gibt's Schwesterherz?", begrüßte er mich gut gelaunt.

"Kannst du mich abholen?", fragte ich mit belegter Stimme.

"Wo genau bist du?", erkundigte er sich sofort.

"Im dritten Stock, in der Damentoilette", schluchzte ich.

"Ich bin gleich da", meinte er und legte auf.

Keine zehn Minuten später klopfte es behutsam an der Tür. Marie öffnete sie einen Spalt und ließ, als sie meinen Bruder sah, ihn herein.

Er stellte keine Fragen, sondern half mir einfach nur auf und nahm mich in den Arm und führte mich zu seinem Auto. Meine Freundinnen verabschiedete sich vor dem Klassenzimmer von uns und gingen hinein. Zehn Minuten später kamen wir Zuhause an.

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