Prioritäten

70 3 0
                                    

Du gehörst mir. Worte, die Edward nicht fremd waren und auch nicht selten gehört waren. Es hatte immer mal wieder Situationen gegeben, in der die besitzergreifende Ader seines Schöpfers so stark hervorgetreten war. Bisher hatte er auch hingenommen, ohne es in Frage zu stellen oder dagegen zu sprechen. Ein Teil von ihm hatte es stets genossen und auch jetzt fühlte er, wie es sein totes Herz ein wenig erwärmte.

„Nicht mehr", flüsterte er und ließ gleichzeitig bereitwillig zu, wie Carlisle seine Lippen federleicht über seine Schulter wandern ließ. Neckend, sanft, erwärmend. „Ich liebe Bella." Was die reine Wahrheit war.

Und trotzdem lässt du mich walten, wie ich will. Eine sehr wahre Tatsache. Er sollte jeden von sich stoßen, der ihn so berührte, und nicht Bella war. Lässt mich Fragen stellen, die dir sonst niemand stellen würde. Carlisle wollte die Narben am liebsten entfernen, mit Gewalt, denn für seinen Schöpfer waren das Markierungen von Fremden. Unberechtigten Nomaden. Sanft ließ dieser die Vorderzähne über die zweite neue Narbe gleiten, ohne jeden Druck, und es fühlte sich außergewöhnlich gut an. Vor allem dafür, dass es mit recht schlechten Erinnerungen verbunden war. Gegen den angenehmen Schauder, der ihm über den Rücken lief, hatte er auch nichts.

„Weil ich dich eben auch liebe", murmelte er und schloss genießerisch die Augen, „Du bist nicht Bella." Es gab so vieles, was sein Schöpfer von seiner Frau unterschied. Diese sanfte, aber vollkommene Zuwendung, die er hier genoss, war ihm immer die liebste gewesen. Aber seitens Bella nie wirklich geschehen. Gedankenlose Gesten, wie beim Streicheln einer Katze, waren nun einmal was anderes, als das hier.

„Lieb' dich auch. Genau deswegen kannst du mir nicht weitere dieser Ängste antun. Irgendwann kommen wir nicht mehr rechtzeitig." Er hörte diese Ängste deutlich und es lag ihm nichts ferner, als Carlisle diese Angst zu nehmen. Diese Zuwendung galt schließlich nicht nur zur Beruhigung seiner selbst, sein Schöpfer genoss jeden seiner noch so kleinen Reaktionen. Aber er wollte Carlisle ein wenig dessen abnehmen, was der empfunden hatte.

Ein Grund mehr, keinen über Andersons Pläne mit ihm im Detail zu informieren. Ein weiteres Rumpeln aus dem Wohnzimmer ignorierte er, als er sich umdrehte und seinen funktionsfähigen Arm um Carlisles Brust schlang. Sein Schöpfer seufzte tief, erwiderte die Umarmung und lehnte die Stirn an seine.

Für einen Moment überkam ihn den Wunsch, ihn zu küssen. Deutlich zu machen, dass er zumindest auf diese Weise allein seinem Schöpfer gehörte. Das kein Mann dieser Welt ihn je auf diese Weise berühren durfte. Er wollte ihm zeigen, dass er lebte und selbst die psychische Belastung nur banal erschien. Ihm war zu viel Böses begegnet, als dass er das nicht von sich schieben könnte.

Ähnliche Wünsche hörte er auch aus Carlisles Gedanken. Sie beide widerstanden dem Wunsch.

„Ich habe lieber das erlebt, als euer Leben aufs Spiel zu setzen, indem ich es nicht wenigstens versuche." Er hielt seine Stimme so leise, dass niemand im Wohnzimmer zuhören konnte. Weder seine Frau noch seine Mutter musste das hören. „Er hat mit der Überlegung gespielt, uns ein wenig zu unterstützen." Die leichte Abscheu in seiner Stimme hatte nichts mit dem Gedanken an sich zu tun – sicherlich brauchte es nicht viel Überzeugungskraft seitens seines Schöpfers – aber die Einmischung widerte ihn an.

„Inwiefern?" Eigentlich dachte sich Carlisle seinen Teil schon und traf es auch ziemlich gut. Ihm entging es nicht, wie angespannt sein Schöpfer war.

„Er hätte dich dazu gebracht, deine Bedenken über Bord zu werfen und mich zu verführen. Hat er öfter gemacht, vor allem bei einer Clankonstellation wie der unseren. Wir hätten miteinander geschlafen und anschließend hätte Esme dich getötet. Zwischendurch hätte er Bella getötet. Es hätte ihm Spaß gemacht, zuzusehen. Hat überlegt, ob er mitmacht. Ich konnte nicht mit dem Gedanken leben, dass uns das widerfährt."

Opfer für die FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt