Selbst für einen Vampir konnte sich die Zeit mal ziehen und, wie Carlisle feststellen musste, heute war einer dieser Tage. Die Minuten vergingen nur zäh. Die eindeutig ungeklärten Spannungen zwischen Edward und Bella, der unausgesprochene Konflikt zwischen Edward und Alice, die offensichtliche Uneinigkeit von Alice und Jasper ließen die anfänglich annehmbare Stimmung doch ins Bodenlose sinken. Sein Gefährte hatte sich den liebsten Platz ausgesucht, der dieser nun einmal hatte, und hatte sich in sein Büro verzogen. Bella saß mit ihnen im Wohnzimmer und starrte wütend vor sich hin.
So viel zur Vermeidung von Konflikten.
„Mach doch was", raunte Esme ihm zu. Die Mutter wollte das hier genauso wenig, wie er, und trotzdem wussten sie beide nicht, was sie dagegen machen sollten. Er mischte sich nicht in Ehekonflikte ein, aber er wusste, worum es bei Edward und Bella ging und hasste es, in gewisser Weise der Verursacher zu sein.
Wenn er mit Bella sprach, konnte es falsch rüberkommen. Ließ er aber weiter zu, dass die beiden sich anschwiegen, würde es nur noch mehr eskalieren.
„Du hast doch den Vorschlag geäußert, mit ihr zu sprechen", murmelte er ebenso leise zurück, „Vielleicht ist das doch eine ganz gute Idee." Auf Mütter, seien sie nun leiblich oder nicht, hörte man meist mehr und er war heute erst mit Bella aneinandergeraten. Ein zweites Mal wäre ebenfalls nicht förderlich.
Schmunzelnd blickte Esme von ihrer Alibi-Beschäftigung auf. Kaum einer konzentrierte sich auf das, was der vorgab zu tun. Er hörte, wie Emmett und Rosalie sich draußen unterhielten. Nahe genug, damit er sicher war, dass die beiden lebten. Zwar war er bei diesen gewesen und hatte angeboten, selbst auf Anderson aufzupassen, aber beide hatten verneint. Seine Hoffnung, Abstand zu gewinnen, war wohl ersichtlich gewesen und beide wollten selbst Abstand halten.
„Wenn du mir sagst, was Bella so wütend macht, kann ich vielleicht was machen."
„Das weiß ich ehrlich gesagt nicht so genau", er könnte raten, aber er war diesbezüglich genauso weit wie Edward selbst, „Ich glaube, sie weiß es selbst nicht einmal so wirklich. Ich hätte mich zurückhalten müssen." Die letzten beiden Male, als Edward sich Vampiren gestellt hatte, war Bella selbst mit Beschäftigung behaftet gewesen. Also war ihr nicht wirklich aufgefallen, dass er seinem Gefährten nicht von der Seite wich, solange er nicht anderweitig beschäftigt gewesen war und auch meist recht nahe gewesen war.
„Dann sei mal froh, dass sie euren kleinen Flirt nicht mitbekommen hatte", murmelte Esme, „Dann wäre sie sicherlich noch schlechter gelaunt."
„Was meinst du?"
„Stell dich nicht blöd. Nicht nur du hast ein gewisses Bedürfnis nach Nähe, auch wenn ich meines etwas besser beherrsche als du."
„Du hast gelauscht?"
„Ich habe nur darauf geachtet, dass ihr nicht anfangt unnötig zu streiten. Solch eine Situation hat nämlich stets Potenzial dazu."
Also ja, sie hatte gelauscht. „Verzeih mir."
„Ich habe dir keinen Vorwurf gemacht, oder?" Hatte sie tatsächlich nicht, aber an ihrer Stelle hätte er sich selbst schon lange damit konfrontiert. Es überraschte ihn selbst, dass er sich dazu hat hinreißen lassen. Manchmal hatten sie diese leichten Flirts gehabt, aber mehr, um einander zu necken, als mit ernsthafter Absicht dahinter. Nur waren zumindest heute seine Absichten sehr ernsthaft gewesen. Ihm wäre nicht lieber gewesen, als Edward zu verdeutlichen, dass hinter einem Vampirbiss nicht nur Schmerz stecken musste. Die Narben zu ersetzen, zu zeigen, wem der Mann zumindest bis zu einem gewissen Grad gehörte.
„Nein", antwortete er schließlich ruhig, „Wird der noch kommen?" Lächelnd nahm Esme seine Hand und schüttelte dann seufzend den Kopf.
„Es war sogar, von dem was ich wirklich mitbekommen konnte, ein wenig süß. Du hast ihn also angezogen?" Jetzt konnte er doch nicht anders als breit grinsen. Es mag absurd klingen, aber es hat so manche dieser Situationen gegeben. Etwas, was er durchaus genossen und mit Bedauern hat gehen lassen.
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Opfer für die Familie
FanfictionAls sie sich fanden, fehlte es ihnen an Zeit. Als sie Zeit hatten, fehlte es ihnen an Freiraum. Carlisles und Edward Beziehung war schon immer besonders gewesen. Hundert Jahre nach Edwards Verwandlung, lassen sie Revue passieren, was ihre Beziehung...