Eine letzte Sache (I)

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Routine war das, was für Carlisle ein stabiler Alltag im Haus bedeutete. Zumeist hieß er sie willkommen, war es eine Zeit des Friedens und des Familienglücks – ohne Konflikte, Unstimmigkeiten und Sorgen.

Von acht bis achtzehn Uhr seine Schicht im Krankenhaus, abends dann ein bis zwei Stunden in der Familienrunde und dann Zeit mit seiner Frau allein oder las oder verbrachte die Zeit irgendwie sinnvoll. So war es bisher immer gewesen, all die Jahrzehnte über, und sie hatte sich heute nur in wenigen Dingen geändert.

„Ich muss dich um etwas bitten." Jonas wirkte zerknirscht und aufrichtig schuldbewusst. Carlisle ahnte bereits, worum ihn der Abteilungsleiter bitten wollte – und so, wie Edward weiter hinten die Miene verzog, wusste er es auch.

Seine Arbeitszeiten hatten sich entgegen der normalen Routine etwas verlängert, dafür war ihm sein Gefährte ein stetiger Begleiter geworden.

„Worum?"

„Na ja... Mark hat sich krankgemeldet...", begann Jonas verlegen, „Und damit hat Leon alle Hände voll zu tun. Dann bräuchten wir hier noch eine unterstützende Hand." Er hatte es geahnt. Wieso traf es eigentlich immer seine Vorhaben mit Edward? Wenn er einen Urlaub mit seiner Frau plante gab es nie Personalprobleme im Krankenhaus. „Wir kommen selbstverständlich für die Kosten auf, sollte eine Reise angestanden haben."

Hatte es. Zwei Wochen, in Gänze, nur für Edward und ihn – sie brauchten das. In seinen ehemaligen Alltag hatten sich zwar feste Stunden mit seinem Gefährten allein eingegliedert (und sollte dort auch hübsch bleiben), aber sie brauchten diese Ruhe. Fernab der Familienpflichten, wie in den guten alten Zeiten. Nur für sich.

„Gibt es keinen anderen?"

In der Kürze von knapp zwei Monaten fast vier Wochen Urlaub zu haben war ungewöhnlich, sicher, aber für die zwei Wochen an Weihnachten konnte er absolut nichts. Er hatte versucht dagegen zu protestieren und freiwillig war es auch nicht unbedingt gewesen. Also sollte man ihm nicht mit dieser Argumentation kommen.

„Ich kann Darren fragen", seufzte Jonas, während Edward in menschliche Hörweite kam.

Versuch es gar nicht erst wandte er sich mental an ihn, doch da war sein Gefährte schon neben den Abteilungsleiter getreten. „Personalmangel?"

„Nichts, was sich nicht stemmen ließe", murmelte der und lächelte ihn entschuldigend an, „Wenn ihr mich entschuldigt."

„Carlisle", murmelte Edward, unhörbar für Menschen, deutlich für ihn, „Es geht um Darrens Hochzeitstag." Warum konnte sein Gefährte nicht einfach mal egoistisch sein? Ein leichtes Lächeln glitt über Edwards Lippen. „Mich stört es nicht", fügte dieser hinzu, „Ich bin nicht davon ausgegangen, dass so viel Freizeit in kurzer Zeit möglich ist." Wirklich, ein wenig mehr Egoismus täte dem gut. Eindeutig!

„Ich kann dich aber nicht immer...", setzte er verbal an, doch Edward unterbrach ihn nur, „Machst du ja nicht. Du hast Nein gesagt. Ich sage nur, dass wir dem Menschen die Zeit gönnen sollen. Wir haben sie in Überfluss. Er nicht."

Seine Lieblingsargumentation, wenn er Edward in der Vergangenheit um eine Verschiebung ihrer Vorhaben gebeten hatte. Es war blöd, wenn die eigenen Worte gegen einen verwendet wurden.

„Warte Jonas", seufzte er, „Ich übernehme." Zufrieden grinste Edward ihn an. „Lass Darren seinen Urlaub haben. Ich hatte ja erst."

Begeisterung zeigte sich auf Jonas Gesicht. Er hatte erst Urlaub gehabt, aber wüsste der Abteilungsleiter wie viel er tatsächlich von diesem Urlaub gehabt hatte (nichts), würde der ihn nicht fragen. Gleichzeitig wüsste er nicht einmal, wie er dem die Geschehnisse erläutern sollte. Manchmal nervte die Distanz zu den Menschen doch ein wenig.

Opfer für die FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt