Entscheidungen

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Sich unwohl zu fühlen war für Edward gerade nicht einmal ansatzweise die richtige Beschreibung. Ihn überliefen Schauder, wenn er nur an Anderson dachte und noch mehr, wenn er darüber nachdachte. Er hatte versucht, niemals nur schwarz weiß zu sehen und die Menschen nicht nur nach ihren Taten zu beurteilen, sondern auch nach der Vergangenheit. Jeder konnte gut und böse sein.

Anderson hatte ihm bewiesen, dass es manchmal einfach nicht möglich war. Das Grauen in Person, da war selbst Aiolos oder Caius ein sanftes Blümchen dagegen. Für gewöhnlich verstand er alles, konnte es mindestens im Ansatz nachvollziehen, aber der Nomade war die Ausnahme von der Regel. Ihm fehlte es an jedem Funken Verständnis.

Er war froh, dass es zumindest mit Anderson vorbei war. Er lauschte dessen Gedanken, wie konsequent und rigoros Carlisle den Rest des Körper zerfetzte. Die methodische Art und Weise könnte dem gleichen, was er zu manchen Tagen im Operationssaal gesehen hatte. Zielgerichtet, konsequent und schnell. Selbst wenn er Zugriff auf Carlisles Gedanken hätte, würde er nichts erkennen, als das aktuelle Handeln. Er hätte sich Anderson sehr gerne selbst angenommen, aber auch sein Schöpfer - so friedfertig normal - konnte einen guten Frustabbau gebrauchen.

„Wie tief bist du gegangen?", durchbrach Eleazar schließlich ihr Schweigen. Diese Neugierde kannte er bereits von Carlisle und es war das, was seinen Clanführer mit dem der Denali so eng verbunden hatte. Der Wissensdurst war nicht zu befriedigen.

„Nicht so tief, wie ich es gerne hätte. Für jemand, der keine eigene Beeinflussung fürchtete, hatte er einen recht starken Willen", erklärte er und zuckte unbedacht mit den Schultern. Immer noch keine gute Idee. „Ich hätte mehr Ruhe gebraucht, um in diese letzte Ebene einzusteigen. Dafür brauche ich aber Jaspers Hilfe und eindeutig mehr Übung." Außerdem war ein Übungsobjekt von Nöten. Die Gedankenwelt von Vampiren unterschied sich zu sehr von der eines Menschen, als dass er mit ahnungslosen Menschen machen könnte. Aus seiner Familie würde sich bestimmt keiner opfern. Außer vielleicht Carlisle und darauf konnte er gerade gut verzichten.

Denn ein Teil von ihm war recht erleichtert, dass Bellas Schild Carlisle konstant umspannte und ihn außen vor ließ. So musste er sich nicht anhören, was der dachte und diese unsinnigen Schuldgedanken anhören. Sie hatten seit Esmes Verwandlung nicht über den Tag gesprochen und er hätte gar nicht damit anfangen sollen.

„Wieso hast du nach seinem Alter gefragt?"

„Eigene Neugierde", murmelte er ausweichend, „Ich mag es zu wissen, mit wem ich es zu tun habe."

„Das Alter ist dabei aber nicht unbedingt aussagekräftig."

„Schwierig zu erklären, aber ich versuche es." An und für sich hatte es keinen Sinn gehabt, sich nach persönlicheren Dingen zu erkunden. Aber das hier war auch persönlich gewesen. „Auch wenn man als Vampir anders denkt, ist vieles einfach schneller als beim Menschen. Fragt man nach den Eltern, denkt man zumindest im Unterbewusstsein an sie, egal, welchen Hass man ihnen gegenüber empfindet. In Anbetracht dessen, dass Anderson schon eine Jahrhunderte auf dem Buckel hat, war es schwachsinnig den Schöpfer anzusprechen." Außerdem hätte der Nomade nur vergleichend gedacht. Dem Mann war ein egoistischer Schöpfer entgegen getreten, ganz im Gegensatz zu ihm, und er hatte den Verdacht, dass Andersons Hass auf ihn daraus entstand. Selbst unter dem Einfluss hatte Carlisle eine deutliche Haltung ihm gegenüber eingenommen.

„Auch wenn er sich wirklich nicht daran gemacht hat, sein tatsächliches Alter zu berechnen, dachte er zurück und überschlug die ungefähren Jahre, die er erlebt hat. Im Prinzip ein Crashkurs über seine Vergangenheit, ohne Details, sondern nur eine Reihe von wichtigen Ereignissen, die immer weiter zurückgehen. Irgendwann stoppt das und anhand dessen kann man eine ungefähre Zeit zuordnen. Ich kenne damit sein grobes Alter und habe einen groben Überblick über seine Taten."

Opfer für die FamilieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt