Opfer für die Familie

Falschinformation

Edward wünschte sich eine größere Waldfläche, um agieren zu können. Aber sie hatten ihre Chancen abgewogen. Eine direkte Verfolgungsjagd umginge Marion mit großer Wahrscheinlichkeit. Außerdem würde der eine ihrer größten Schwächen, ihre Vorzeigeregel, sicher zu seinem Vorteil nutzen – sie jagten keine Menschen, sie fielen unter ihnen nicht auf und riskierten auch nicht ihr Leben.

Alice hatte seine Idee aufgegriffen und Carlisle sie ausgeführt. Marion hielt sich an die Menschen, die dieser tagtäglich um sich herum hatte. Menschen, die so unwissend waren und ihrem Clanführer in dem größten Maß wichtig waren, wie es für Menschen möglich war. Kollegen, die nicht durch ihre Natur gefährdet werden sollten und gleichzeitig genau dadurch genutzt worden waren.

In der Öffentlichkeit kamen sie nicht an ihn heran. Eine Verfolgung brachte nichts. Und warten war keine Option.

Jahrzehnte hatten Jasper, Alice und er damit verbracht ihre Gaben zu erforschen. Sie zu einem hocheffizienten sechsten Sinn zu machen und den bestmöglichen Vorteil daraus zu ziehen. Zu dritt beherrschten sie die Gegenwart, etwas, dass Aro nicht grundlos begehrte.

Was sich aber einfach anhörte bedurfte einer großen mentalen Anstrengung und einer perfekten Zusammenarbeit. Das Handy auf dem Boden, wasserdicht und mit gutem Empfang, gehörte zu den besten Erfindungen der Menschheit. Ohne das wäre das hier nicht so einfach möglich.

„Ich habe Angst, dass wir versagen."

Alices Satz drückte aus, was sie alle drei spürten. In den letzten Monaten waren sowohl er als auch seine Schwester von der vertrauten Begabung im Stich gelassen worden. Marion hatte Alice erfolgreich umgangen, geduldig und strategisch. Bella hatte das Vertrauen in seine Gabe geschwächt.

Allein Jasper war zuversichtlich, ruhig und gelassen. Für den ehemaligen Soldaten war das eine Situation, wie der sie schon hunderte Male erlebt, durchlebt und vor allem überlebt hatte.

Vor der Familie hatten sie dieselbe Sicherheit gespielt, wie sein Bruder sie präsentierte. Der leiseste Hauch an Selbstzweifel hätten seine Überzeugungsversuche zunichte gemacht. Nicht nur Carlisle war zweiflerisch gewesen, auch Bella hatte ihn kaum ziehen lassen wollen. Von Renesmees geringer Begeisterung wollte er gar nicht erst anfangen.

„Werden wir nicht", murmelte er. Unter sich, nur für sie drei, war es eine andere Welt. Sie waren einander immer ehrlich, hatten die Schwächen sowie die vollkommenen Stärken offenbart. Die Grenzen gemeinsam erkundet, sich gegenseitig bestärkt, sich Vertrauen geschenkt. Ihre Last ihrer Gaben war nur für jene verständlich, die auch eine Gabe teilten. Selbst Carlisle konnte das Verständnis dafür nicht aufbringen, nicht in Gänze.

„Konzentriert euch", ermahnte Jasper sie leise und schon spürte er, wie Ruhe seinen Geist umspielte, „Das wird keine Sache von Minuten."

Sie hatten einen Ort gewählt, der ihnen den größten Spielraum gab. Der Wharton State Forest war nicht weit weg von ihrem zuhause. Bei der ersten Auskundschaftung am gestrigen Morgen zwecks menschlicher Aktivität zur Nacht hatten ein paar bekannte Gedankenstimmen aus der Stadt ergeben. Jetzt war es ruhig, zumindest was den Wald selbst anging.

Für Menschen war es hier dunkel. Er wusste, schlüge er die Augen auf, sähe er den klaren Nachthimmel, der ihm mehr als genug Licht spendete.

„Seid ihr bereit?"

Das Zusammenspiel zwischen ihm und Alice hatte sich perfektioniert. Seine Schwester musste nicht in die Gegenwart zurückkehren, um die Visionen mitzuteilen. Er war ihr Dolmetscher. Die schnellste und effizienteste Art.

„Noch nicht." Bisher hatte er jede seiner Möglichkeiten nur im Einzelnen genutzt. Entweder war er zum Sprachrohr seiner Schwester geworden oder er drang in die Gedanken der Masse ein, um Informationen herauszufinden. Beides zugleich war eine mentale Herausforderung, von der er nicht wusste, ob er sie wirklich gänzlich stemmen konnte. Auch die Denkkapazitäten eines Vampires waren beschränkt.