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Es gab Suppe als Vorspeise.

Ich liebte Suppen. Spätestens da hätte ich wohl merken müssen, dass etwas sehr merkwürdiges vor sich ging, mal von den Jungs abgesehen. Noch merkwürdiger als unsere sonstigen Treffen. Doch die Unterhaltungen waren nett, die Blicke der anderen Gäste erheiternd und ich liebte es, Zeit mit meinem besten Freund zu verbringen. Durch die Schule und die Uni waren wir beide in den letzten Monaten so eingespannt gewesen, dass es fast unmöglich erschien, sich regelmäßig zusehen. Natürlich trafen wir uns, allein der Anträge wegen. Aber manchmal bemerkte ich, dass etwas fehlte. Zwischen uns. Etwas war die vergangenen Wochen verloren gegangen.

Und dann fingen die Musiker an.

Erst war es nur ein Violinist, der schnell von einem zweiten begleitet wurde. Bis ein weiterer Mann mit einer Ziehharmoniker an unseren Tisch kam.

»Liebling?«, fragte ich und befand mich wieder in meiner Rolle. Man wollte ja professionell bleiben. Zudem war ich gespannt, was Noah alles geplant hatte, soviel Mühe und Vorbereitungen waren besonders aufregend.

Kai und Ari erhoben sich, grinsten breit und schienen ein Lachen zu unterdrücken. Ich bemerkte, wie die ersten Gäste aufstanden. Und Noah schwieg. Was seltsam und leicht beunruhigend war. Eigentlich machte er kein Tam-Tam daraus. Er liebte Spontanität und ich war die Denkerin unserer Beziehung. Ich machte mir die Gedanken, plante und überlegte. Vermutlich war ich aus diesem Grund erst fünfmal in den Genuss gekommen, Noah zu fragen. Er hingegen entschied sich in den meisten Fällen spontan, aus einem Treffen ein solches Treffen zu machen.

Ein Kellner erschien am Tisch und stellte einen Teller mit Spaghetti vor mich.
Was zur Hölle ...
Ein riesiges Fleischbällchen – wirklich enorm, eher schon eine Frikadelle als passend für Spaghetti – lag vor mir und mitten darin steckte ein Ring.

Ein Ring.

Noch nie hatten wir einen Ring benutzt, denn wir besaßen keinen, der wie ein Verlobungsring aussah. Außerdem hatte Noah immer gepredigt, dass wir es ja nicht übertreiben mussten, mit der falschen Liebesdarstellung. Zu sehr veräppeln wollte er die heilige Ehe auch nicht. Wir hatten die Schachtel, die wir nie öffneten. Mehr Requisiten brauchten wir nicht.

»Ophelia.«

»Ophelia?«, formte ich mit den Lippen und glaubte Blut zu schmecken, so fest biss ich mir auf die Innenseiten meiner Wangen. 

»Seitdem ich dich das erste Mal sah, wusste ich, dass wir einmal hier enden würden.«

»In einem Restaurant, umgeben von zweitklassigen Musikern? Entschuldigen Sie«, ich wandte mich an die drei Männer, die nicht aufhörten, eine Melodie zu spielen, die mir seltsam bekannt vorkam, ohne dass ich hätte sagen können woher.

Er stand von seinem Stuhl auf, bevor er weitersprach. »Nein, mein Liebling.« Und er ging auf die Knie. Vor mir. In diesem Restaurant. »Ich möchte dich etwas fragen.«

»Ja, du darfst mein Dessert haben.« Ich streckte ihm die Zungenspitze raus und wagte es, einen Blick nach oben zu werfen, zu Kai und Ari. Sie grinsten beide, standen aber sonst stillschweigend da. Stumme Marionetten von Noahs Theaterspiel. Einige Gäste renkten ihre Hälse, um das junge Glück zu beobachten.

Es war belebend. Urkomisch. Vertraut. Seltsam. Alles zugleich. Es war nichts Neues mehr, doch Noah machte es gerade zu etwas Neuartigem.

»Ich weiß, dass ich nicht so viel verdiene, wie dein Vater es gern hätte.« Noah machte eine dramatische Atempause. Erneut musste ich mit dem Drang kämpfen, ihn nicht sofort auszulachen. Er schaffte es jedes Mal, so dermaßen überzeugend zu spielen, dass selbst ich für einen kurzen Moment daran dachte, dass es die Wahrheit sein könnte. Dass er mich wirklich ... lieben könnte.

»Und ich weiß, dass du mehr verdienst, als ich dir bieten kann. Doch ich liebe dich. Ich will mein restliches Leben mit dir verbringen. Denn du bist die Schwertlilie in einem Meer aus Gänseblümchen.«

Stille.

Ichrunzelte leicht die Stirn. Sicherlich konnte das noch nicht alles gewesen sein. Oder? Wo blieb die Frage? Wo war der Moment, wenn er mir den Ring an den Finger steckte? Ich hocherfreut aufjauchzte?

Gerade öffnete ich den Mund, um einen scherzhaften Kommentar abzugeben, als Kai eine Sekt-Flasche entkorkte und in die Höhe hielt.

»Auf das frisch verlobte Paar!«, brüllte er viel zu laut und wir kniffen beide lachend die Augen zusammen. Die anderen Gäste des Restaurants sahen hingegen alles andere als erfreut aus, doch sie klatschten im Einklang. Eine Kellnerin, die ich zuvor noch nicht bemerkt hatte, kam mit einem Tablett Gläser an den Tisch heran.

»Für Sie«, sagte sie und während Noah das Glitzern in ihren Augen zu entgehen schien, bemerkte ich es sofort. Beobachtete die Frau, als sie die Gläser vom Tablett nahm und Kai die Flasche Sekt abnahm. Sie füllte die Gläser, lächelte noch einmal in Noahs Richtung und verschwand wieder nach hinten.

Wo auch immer er war, er schaffte es immer, dass die Frauen ihm hinterhersahen. Dabei war er die meiste Zeit zu beschäftigt, um sich für echte Beziehungen zu interessieren. Er sagte immer, dass die wahre Liebe auf ihn warten konnte. Und vielleicht hatte er damit recht. Doch es stand nicht im Einklang zu der Wunschvorstellung, die ich für ihn hegte. Er verdiente es, glücklich zu sein. Mit einer unglaublichen Frau an seiner Seite, die ihm all das schenkte, was er ebenfalls bereit war zu geben. Ich wünschte es ihm so sehr.

»Auf die Liebe meines Lebens«, sagte Noah eine Spur zu laut und hob sein Glas zum Toast.

»Auf viele fruchtbare Nächte!«, brüllte Ari dazu und ein Lachen ging durch das ganze Restaurant. Auch ich stimmte erneut mit ein, auch wenn ich den Trubel, den Noah veranstaltet hatte, noch immer nicht verstand. Den Aufwand, obwohl er ohnehin kaum Zeit hatte. Doch hier zu sitzen, etwas zu trinken, zu lachen, mich mit meinen besten Freunden zu unterhalten; es machte Spaß. Ich liebte es.

Aus diesem Grund hatte ich damals Noah den Vorschlag gemacht, die Anträge zu einem Ritual werden zu lassen. Es war eine Verbindung zwischen uns. Die Rettungsleine in stürmischen Zeiten.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt