47. Mal

2.7K 235 12
                                    

»Wie habt ihr zwei Heiratsanträge in nicht einmal drei Tagen abgefertigt?«, fragte Carla am Telefon und ich legte den Kayal weg, den ich zum dritten Mal in der Hand gehalten hatte. Meine Finger zitterten so sehr, dass ich es nicht schaffte, eine gerade Linie zu ziehen.

Dabei gab es keinen Grund, nervös zu sein. Es war eine Silvesterparty. Am Geburtstag meines ... Was auch immer Daniel war. Ich hatte schon auf Partys ins neue Jahr gefeiert und auch wenn dieses Mal Carla nicht da war, würde ich mich zu amüsieren wissen. Immerhin waren Noah, Kai und Ari auch mit dabei. Meine Stammgruppe, meine Clique. Es konnte nichts schief gehen. Ich würde Spaß haben.

Wieso klang ich aber so, als müsste ich mir selbst gut zureden?

»Er hat vorgestern Abend angerufen und mich gefragt, ob ich mit ihm auswandere und ihn heirate, damit er von Leonie wegkommt.«

Bei der Erinnerung an dieses Telefonat musste ich wieder grinsen. Jetzt, da seine Familie von Noahs schrägem Hobby wusste, versteckte er es nicht mehr. Und Leonie, seine siebzehnjährige Schwester, war von dieser Beschäftigung besonders angetan. Sie drängte Noah seit dem Weihnachtsmarkt-Debakel um ein Dabei sein, wenn es wieder ernst wurde.

»Und ich hab ihm eine SMS geschickt.«

Carla schnalzte laut mit der Zunge. »Dass ihr das mitzählt, ist eigentlich Betrug.«

»Bist du Schiedsrichterin?«, fragte ich spottend und drückte wieder auf die Lautsprechertaste, um diesen zu beenden. Mit dem Handy am Ohr lief ich in Nathalies Zimmer hinüber, um mir ihre Schuhe auszuleihen. »Ihm ging es in letzter Zeit nicht gut. Er liebt die Anträge. Also mache ich ihm den Gefallen.«

»Ja, aber ...«

»Nichts aber, Carla!«, sagte ich ernst und blieb stehen. Obwohl meine Freundin mich nicht sehen konnte, schüttelte ich den Kopf. »Hör auf, diesen Spaß mit Logik zu bekämpfen. Es ist nicht logisch, dass wir uns Heiratsanträge machen. Es ist auch nicht logisch, dass wir SMS und Anrufe werten. Es ist schon gar nicht logisch, dass wir daraus einen Wettkampf gemacht haben. Aber es macht uns Spaß. Und solange das gegeben ist, werde ich damit weitermachen.«

»Und wenn Daniel was dagegen hat?«

Autsch.

Ich hatte zwar Daniel davon erzählt, aber sollten die Dinge wider Erwarten ernster zwischen uns werden, wusste ich nicht, ob er das noch so gut finden würde.

Welcher Mann würde es schon gutheißen, wenn die Freundin von einem Anderen einen Heiratsantrag bekam? Doch all das war nur theoretisch, solange ich nicht mit Daniel über unser Zusammensein gesprochen hatte. Ein Date machte noch lange keine Beziehung.

Ich wusste nicht einmal, ob ich für etwas Festes bereit war. Ich hatte bisher immer meine Unabhängigkeit geliebt. Hier ein Date, da eine Kurzzeitbeziehung. Nichts was ernst war. Auch wenn ich allmählich in ein Alter kam, in dem sich die meisten Frauen keine solchen Späße mehr erlaubten.

»Alyssa?«, kam eine gedämpfte Frauenstimme von unten, die ich nicht als die von Nathalie identifizierte. Was nur eines heißen konnte.

»Carla, Yvette ist hier!«

»Na klar.« Carlas Stimme triefte nur so vor Sarkasmus und sie seufzte. »Ich versaure hier alleine und du hast die coolste Frau der Erde bei dir.«

»Ich ruf dich nachher nochmal im Auto an. Hab dich lieb«, brachte ich schnell heraus, bevor ich die Treppen hinunter rannte und aufpassen musste, nicht über Bob zu stolpern.

Unten stand, wie erwartet, Yvette Labonté in einem eng geschnittenem roten Abendkleid, das knapp über ihren Knien endete und ihr eigentlich nicht stehen sollte, es aber tat. De facto stand Yvette alles, was sie sich anzog. Wie von magischer Hand.

»Yvi!«, kreischte ich wie der Teenager, der ich nicht mehr war. Für Yvette war ich das jedoch mit großem Vergnügen.

»Meine kleine princesse

Obwohl die Frau Ende Dreißig noch nie in Frankreich gelebt hatte, tat sie gerne so als ob. Sie meinte dazu stets, dass sie ihrem Namen und ihrer Herkunft entsprechen musste und niemand wollte ihr das streitig machen. Denn einer Yvette Labonté widersprach man nicht.

»Wie ich sehe, hast du mein heutiges Date schon getroffen«, lachte Nathalie und friemelte an ihrem rechten Ohr herum, um ihren Ohrring zu befestigen. Auch sie hatte sich schick gemacht und ein elegantes bodenlanges Abendkleid angezogen. Die Haare trug sie in einem komplizierten Knoten auf dem Kopf und ich konnte nur staunen, was für ein Talent meine Schwester für Frisuren und Make-Up an den Tag legte. Wofür ich stundenlang übte und es am Ende doch eher schlecht als recht hinbekam, brauchte Natahlie Minuten.

»Wieso hast du nicht gesagt, dass Yvette kommt! Dann wäre ich hiergeblieben!«, schmollte ich und umarmte die beste Freundin von Nathalie erneut.

Schon in meiner frühsten Kindheit hatte ich die Tage geliebt, wenn ich bei Nathalie war. Damals teilten die beiden Freundinnen sich kurzzeitig ein Apartment, weil Nathalie von ihrem ersten Ehemann getrennt lebte. Ich hatte die Französin sofort in mein Herz geschlossen, was auf Gegenseitigkeit beruhte.

Yvette hatte nie geheiratet und ihre zwei Söhne alleine großgezogen. Nun, so groß sie eben jetzt waren. Luc, ihr Ältester, war gerade einmal fünfzehn. Philipp sieben Jahre alt. Beide hatten denselben Vater, auch wenn Yvette sich andere Geschichten anhören musste. Nach der Geburt von Philipp war sie jedoch nach Saarbrücken gezogen, um näher an ihrer zurückgezogenen Familie zu sein.

»Hierbleiben?«, fragte Yvette und hielt mich an den Schultern auf Armlänge entfernt, um mich zu betrachten. »Damit du den schnuckeligen Kerl verpasst? Non.«

»Wo geht ihr heuteAbend hin?« Ich machte mich von Yvette los und zog mir im Stehen die Schuhe an, die ich von Nathalie stibitzt hatte. Wenn diese mitbekam, dass es ihre Schuhe waren, so sagte sie wenigstens nichts.

»Jor...«

»Jordan?«, unterbrach ich meine Cousine sofort und wirbelte zu ihr herum. Meine Haare flogen mir ins Gesicht und blieben an meinem Lippenstift hängen, weswegen ich erst prusten musste, ehe ich weitersprach. »Du gehst auf eine Feier von deinem Exmann

»Noch ist er nicht mein Exmann«, verteidigte Nathalie sich und Yvette räusperte sich lauthals. »Okay, okay. Uns fehlen nur noch die Unterschriften. Aber diese Party habe ich zum Teil mitgeplant. Meine Chefin wird kommen, meine Mitarbeiter, die halbe Führungsebene der Stadt. Es ist ein großes Event, wir werden ihm gar nicht über den Weg laufen.«

Yvette verdrehte die Augen, was mich zum Schmunzeln brachte. Vermutlich dachten wir beide dasselbe. Dass es genauso sein würde, wie bei Nathalies anderen Ehen. Sie würde Jordan sehen und ihm verzeihen. Sie würden Versöhnung feiern, zu viel trinken und miteinander schlafen. Und eine Woche später lagen die Papiere im Briefkasten. Es war bei den vergangenen zwei Scheidungen dasselbe gewesen und würde auch jetzt nicht anders laufen. Wir kannten Nathalie und ihren Hang, überall die große Liebe zu sehen.

»Deswegen ist Yvi doch dabei«, rechtfertigte Nathalie sich lautstark und verengte die Augen, um mich böse anzusehen. »Sie wird mich davon abhalten, etwas Dummes zu tun. Aber was stehen wir hier noch herum? Wir müssen uns beeilen!«

»Aber ...«, fing ich an, realisierte aber, dass es keinen Sinn machte. Ich hatte noch eine Dreiviertelstunde, ehe die Jungs auftauchten. In der Zeit musste ich mich fertig schminken und noch mindestens dreimal pinkeln gehen. Öffentliche Toiletten auf Partys waren nichts, was ich sehen wollte. Nathalie war zudem alt genug, um zu wissen, was sie tat.

Hoffte ich.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt