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»Carla, wenn ich dir etwas erzähle, versprichst du mir, es niemanden zu erzählen?«

Meine beste Freundin sah mich schräg von der Seite an, wühlte in ihrer Handtasche herum und zog eine Pausenbrottüte hervor, aus der sie ein belegtes Brötchen zog.
Nachdem die Osterferien vergangen waren, hatten wir alle Hände voll zu tun, um für die nahenden Prüfungen zu lernen. Bald das Fachabitur in der Tasche zu haben, fühlte sich surreal an. Die vergangenen drei Jahre waren so schnell vorbeigezogen, dass ich kaum wusste, wie mir geschehen war. So viel war passiert, ich hatte so viel gelernt. Nicht nur Schulzeug, sondern auch im Leben.

Gleichzeitig hatte ich nicht das Gefühl, überhaupt gewachsen zu sein.
Es war ein wirklich seltsames Gefühl.

»In der wie vielten Woche bist du?«
»Was?«

Schulterzuckend biss Carla von ihrem Brötchen ab und ließ sich auf der Tischkante nieder. Es war ein vergeudeter Tag, da die meisten Lehrer mit den Prüfungen der unteren Jahrgänge beschäftigt waren. Sodass Carla sich abermals in mein Klassenzimmer »verlaufen« hatte und einfach blieb. Katja ließ sich jedoch nicht von ihrem Platz vertreiben, sodass Carla einfach den Tisch als Sitzplatz benutzte. Kümmerte ohnehin niemanden.

»Ich will wissen, wann ich Patentante werde.«

Ich schlug ihr auf das Bein. »Ich bin nicht schwanger!«

»Au!«, jaulte Carla sofort los und rieb sich die Stelle. »Die Hormone machen dich aggressiv, Liebes.«

Gerade als ich zu einem »Ich bin nicht schwanger, verdammt!«, ansetzen wollte, wurden die Türen aufgerissen.

»Alessandra Stiesing!«, sagte Noah grinsend und stand mit ausgebreiteten Armen im Türrahmen. Eine böse Vorahnung beschlich mich.

Was war mit der Regel »Nicht an familiären Orten« geschehen? Warf Noah sie über Bord, nur weil es hier um mich ging?

»Ich habe dich endlich gefunden!«

Carla grinste dreckig und warf mir einen eindeutigen Blick zu, gepaart mit Augenbrauenwackeln. Ich hingegen sprang vom Stuhl auf und riss somit die Aufmerksamkeit meiner Mitschülerinnen auf mich. Genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich bezwecken wollte.

Verdammt.

»Noah«, sagte ich langsam und schritt mit einem Lächeln auf ihn zu. »Lass uns doch hinaus gehen.«

Hinter Noah erschien mit einem Mal Kai, mit roten Wangen und außer Puste. Kein Wunder, wir befanden uns im vierten Stockwerk und der Aufzug konnte nur mit einem Schlüssel geöffnet werden.

»Wage es ja nicht, diesem Mistkerl dein Ja-Wort zu geben!«

»Was?«, fragte ich und blieb überrascht stehen. »Kai?«

»Ich liebe dich, Alyssa!«, rief Kai aus und drängte sich an Noah vorbei in den Raum. »Und ich kann nicht tatenlos zusehen, wie du diesen Idioten heiratest!«

Wurde das hier jetzt ein Wettbewerb? Wie in einer ganz billigen DailySoap?

»Nimm mich!«, rief Noah und wandte sich an meine kichernden Mitschüler, die alle gebannt auf die Szene starrten. Ein paar von ihnen kannten Noah, andere wirkten desinteressiert.

Dumpf kam mir dieses Schauspiel bekannt vor, erinnerte mich an zahllose Szenen in kitschigen Teenager-Filmen, an Serien. Aber Noah war ja schon immer der dramatische Part unserer Beziehung gewesen.

»Hast du nicht diesen Bar-Typen?«, meinte Katja von ihrem Platz aus und feilte sich weiter ihre Fingernägel. »So schnelllebig bist du also?«

Ich ignorierte den Reinruf meiner so geschätzten Mitschülerin. Solch eine Negativität brauchte ich nicht in meinem Leben. Oder so.

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