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Ich war nervös. Untertreibung. Ich war unheimlich fürchterlich hyper super aufgeregt.

Antrag Nummer 93 war ein von innen ausgeschnittenes Buch gewesen, in dem ein wirklich geschmackloser Plastikring steckte. Elaine hatte es ihm unterjubelt, wodurch sie sich viel Ärger eingehandelt hatte. Behauptete sie zumindest. Scheinbar war Noah nun auch sauer auf sie, weil sie bei meinem »grotesken Spiel« mitmachte. Doch spätestens als er das nächste Paket erhielt, wusste ich, dass es auch für ihn kein Spiel war.

Die Botschaft im Überraschungs-Ei war Nummer 94 gewesen. Antrag 95 erhielt er am selben Abend, als bei einem von Aris Eishockey-Spielen eine Durchsage gemacht wurde, die Noah sicherlich an seinen eigenen Antrag erinnert haben musste.

Aus innerer Unruhe legte ich mit dem Tempo zu, was Nathalie nur mit einem Naserümpfen bedachte. Ihre Beziehung zu Colin hingegen verlief so langsam, wie ich es von ihr nicht gewohnt war.

Ich fand das gut, machte ich mir noch immer Sorgen um eine mögliche Schwangerschaft oder eine plötzliche Ehe oder einem abrupten Ende der Beziehung.
Doch es irritiere mich, wie wenig Nathalie wie Nathalie war.

Da das Babysitten auf Elias so gut geklappt hatte, durfte ich jetzt öfter auf ihn aufpassen, was mir etwas Extra-Geld einbrachte. Zwar hatte Daniel mir angeboten, in seiner Bar auszuhelfen, doch das wollte ich nicht. Aus guten Gründen ...

Gestern Abend hatte Noah im Studentencafé ein Waffelmenü erhalten, bei dem eine meiner Karten dabei lag. Sicherlich hatte er nach mir gesucht, mich jedoch nicht gefunden. Weil ich nicht dort gewesen war. Das Risiko, gefunden zu werden, war mir noch zu hoch.

Doch die Freundin von Carla, die Noah in aller Öffentlichkeit einen Antrag gemacht hatte, hatte ich beobachtete. In der Stadt hatte ich mich versteckt genug gefunden, um leise lachen zu können, als Noah griesgrämig den Antrag abgelehnt hatte, obwohl Paula sich jede Mühe gegeben hatte, ihm von Gegenteil zu überzeugen.

Antrag Nummer 98 war wieder eine von Elaines blöden Ideen gewesen. Eine Art des singenden Telegrams, das in der Bar auftreten würde, in die die beiden gehen würden. Dass ihr das vermutlich gerade wieder Stress mit Noah einbrachte, hatte sie abgeschmettert.

»Er kriegt dafür eine Entschuldigung«, hatte sie erklärt und sich über die Lippen geleckt.

Ich hasste sie.

Daher aber meine Aufregung. Wir waren beim 99. Mal angelangt. Nur noch dieses Mal trennte mich vom Finale. Vom großen hundersten Heiratsantrag.

100.

Ich war noch so jung und hatte dermaßen viele Heiratsanträge durchgespielt. Sie erhalten und gehalten. Als wäre die Liebe nur ein Spiel. Nichts wert. Vermutlich hatte Nathalie immer Recht behalten. Wir hatten die Liebe aufs Korn genommen und uns über sie lustig gemacht. Ich auf alle Fälle.

Nicht dass ich es bereute. Nein. Keinen einzigen Antrag bereute ich, denn sie standen ja trotzdem irgendwie für die Liebe.

Doch bevor ich mich aufs Finale einlassen konnte, musste ich noch eine wichtige Sache erledigen.


Ich klingelte an Daniels Tür und wartete, dass er mich hineinließ. Oben angekommen küsste er mich auf die Wange.

»Tut mir leid, dass du so lange warten musstest. Ich sollte dir dringend einen Schlüssel nachmachen lassen.«

Oh Junge. Das würde schwerer werden, als ich dachte. Aber das sollten Trennungen wohl sein.

Da draußen trotz des anhaltenden schlechten Wetters warme Temperaturen herrschten, hatte ich nichts zum Ablegen und folgte Daniel in seine Küche, wo es schon wieder herrlich duftete. Musste dieser Typ eigentlich so perfekt sein? Wieso konnte ich nicht ihn lieben? Die absolut beste Wahl?

Er war reich, himmelhergott!

»So schweigsam heute?«, fragte er und kam auf mich zu. Meinem Gesicht durfte es nicht schwer abzulesen sein, weswegen ich wirklich hier war. Auch wenn ich bisher kein einziges Wort herausgebracht hatte. Ich konnte einfach nicht. Im Herzen brechen war ich nicht gut.

Dabei hatte ich mir überlegt, was ich sagen musste. Keine der blöden Floskeln, auch wenn sie sehr wohl zutrafen. Denn es lag nicht an Daniel. Er hatte sich stets jede Mühe gemacht, mich unterstützt und geliebt und mir immer den Rücken gestärkt.

Ich war es, die einfach nicht dasselbe empfand und vermutlich auch nie empfinden konnte. Das passierte im Leben nun einmal, nicht jeder ist für jeden geschaffen und auch wenn es am Anfang so perfekt aussah, musste es das ja nicht für die Ewigkeit bleiben. Menschen änderten sich, ebenso Gefühle.

Er hatte etwas Besseres verdient. Eine Frau, die ihm das zurückgeben konnte, was er zu verschenken hatte. Die ihn verstand und auf die Palme brachte und ihm ihre Welt schenken wollte, ohne erst jedes Mal überlegen zu müssen, ob er das Risiko wert war, hineingelassen zu werden.

Ohne es zu wollen, hatte ich angefangen zu weinen und Daniel, mein wunderschöner, verständnisvoller Daniel, kam weiter zu mir und nahm mich in die Arme.

»Sh«, flüsterte er und strich mir über den Hinterkopf, was mich noch mehr zum Schluchzen brachte.

Ich wollte Schluss machen, verdammt! Stattdessen ruinierte ich sein hellblaues Shirt mit meiner Mascara.

»Schneewittchen, es ist in Ordnung. Ich hätte es wissen müssen.«

»Es tut mir so leid«, brachte ich heraus und hielt ihn fest. Oder eher hielt er mich fest. »Ich wollte so sehr, dass du es bist. Ich wollte so sehr ...«

»Wir bekommen aber nicht immer das, was wir wollen.« Seine Stimme bebte in seinem Brustkorb und einen Moment ließ ich noch zu, dass er mich so festhielt. In seinem Arm. Wo mir nichts passieren konnte.

Ich verließ seine Wohnung genau wie ich gekommen war und vielleicht war das genau das letzte Zeichen, das ich gebraucht hatte. Während Daniel Unmengen an Sachen in unserem Haus hinterlassen hatte – von seiner Lieblingstasse, einigen Shirts, zu Büchern und DVDs – hatte ich nichts bei ihm hinterlegt. Ich hatte mir stets die Option freigehalten, schnell abzuhauen und so sollte eine Beziehung nicht laufen. Sie sollte ein Fundament haben, auf dem man aufsetzen konnte.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt