40. Mal

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»Als ich sagte, dass du Spaß haben sollst, meinte ich doch nicht so!«, klagte Carla am kommenden Morgen und beugte sich weiter über ihre Tasse Kaffee.

Ach ja. »Sagt die, die mit in die Wohnung eines Fremden ist. Wieso bin ich schlimmer?«

»Weil«, setzte Carla an und unterbrach sich selbst mit einem Stöhnen. Da ich um die Anfälligkeiten für morgendliche Kater bei Carla wusste, ging ich zum Kühlschrank und holte den Frischkäse heraus. Zusammen mit dem Brot und der Nutella stellte ich es vor mich auf die Küchentheke und schmierte ein deftiges Frischkäse-Nutella-Brot für Carla. Der Muntermacher nach einer durchzechten Nacht.

War ich nicht eine gute Freundin? Dabei war ich selbst erst kurz nach vier Uhr am Morgen nach Hause gestolpert und hatte direkt mit Kaffee angefangen. Nathalie hatte mich einige Stunden später schmunzelnd angesehen und war mit Bob joggen gegangen. Carla war kurz danach bei uns aufgetaucht, um ihre Tasche zu holen und um zu duschen. Kein Mädchen kehrte gerne mit Kopfschmerzen und nach einer durchzechten Nacht in die Wohnung der Eltern zurück.

Hatte ich mir sagen lassen.

»Weil?«
»Weil ich nicht mit ... dem Mann geschlafen habe.«

Leise lachte ich und biss in mein eigenes Brot. »Meine Güte, du bist so prüde! Casual sex ist das beste, wenn man es richtig anstellt. Und Gott, Daniel ist begnadet, wenn ...«

»Stopp!«, unterbrach Carla mich umgehend und verzog das Gesicht. »Ich will das nicht hören.«

»Prüde«, wiederholte ich, beließ es jedoch dabei. Gedanklich überarbeitete ich den Terminkalender für das Wochenende, überlegte, wann ich das Lernen für die Soziologie-Prüfung einbauen sollte und wann Zeit für eine neue Serie war. Wobei das Verhältnis zwischen den beiden Dingen deutlich für die neue Serie ausfiel.

»Carla!«, funkte Nathalies sonst so melodische Stimme in die Schweigsamkeit dazwischen. Es wurden oft Anmerkungen über Nathalies ausgesprochen schöne und sanfte Stimme gemacht, über ihr Talent, zu singen, und wieso sie die Theaterspielerei aufgegeben hatte. Da Nathalie aber schon immer mehr Interesse daran besaß, Menschen aufzuschneiden, - würg - statt sie mit Singen und Schauspielern zu beglücken, hatte sie studiert.

Was ich ja bemerkenswert fand. Ich hätte mich nicht so entschieden. Jeder Tag, dem ich dem Abschluss und dem Beenden der Schulkarriere näher kam, war ein guter Tag.

»Ich wusste gar nicht, dass du heute herkommen wolltest.«

Bob rannte an uns allen vorbei zu seinem Trinknapf und auch Nathalies erster Weg führte zum Wasser im Kühlschrank. Einzelne Haarsträhnen hingen ihr verklebt im Gesicht und am Hals und die Thermokleidung roch unangenehm. Früher war ich mit ihr gelaufen, auch wenn das schon länger her war. Daher fand ich ihren verschwitzten Anblick eher tröstlich als abstoßend.

»Nat, geh duschen!«, raunte ich dennoch. Ich konnte vieles an meiner Cousine nicht verstehen. Der Sport so früh am Morgen war eins dieser Dinge.
Ich hatte abendliche Laufrunden bevorzugt, wenn die Nacht ihre Fühler ausstreckte und die Leute zur Ruhe kamen. Es hatte auch mich immer beruhigt. Der Welt beim Aufwachen zuzusehen war hingegen Nathalies Liebe.

»Gleich. Erstmal muss mein Kreislauf und meine Herzfrequenz sich beruhigen.« Ein strahlendes Lächeln folgte, ehe ihr auffiel, dass Carla noch immer schwieg. »Alles okay, Herzchen?«

»Mhm«, machte Carla jedoch nur und schloss die Augen. Ich konnte das sehr gut nachvollziehen. Auch ich war müde, wenn auch nicht ganz so körperlich angegriffen. »Wirst du deinen Barkeeper denn auch wiedersehen?«

Ich hätte gern einen Spiegel in der Küche gehabt, denn die Hitze, die mir in die Wangen schoss, musste auch für die anderen sichtbar sein. Zumindest stellte ich mir das vor.

Selbst mein Alter half nicht dabei, mich bei solchen Gesprächsthemen nicht zu schämen. Jedenfalls vor meiner Cousine, die mehr als interessiert die Wasserflasche wegstellte. Und grinste. Mit diesem verschmitzten Gesichtsausdruck, den ich ebenfalls so an ihr hasste.

»Was für einenBarkeeper?«

»Ich habe jetzt neuerdings ein Alkoholproblem«, sagte ich und versuchte eine ernste Miene aufzusetzen. Ich legte sogar die Hände vor mir zusammen und senkte andächtig den Blick. »Ich wollte nicht früher mit dir darüber reden.«

»Unsinn.« Nathalie nahm sich einen Hocker und setzte sich mir gegenüber, das Kinn auf den Händen abgestützt. In ihre Augen trat ein Funkeln, das ich nur selten an ihr sah. Meistens dann, wenn sie einen neuen Freund hatte. Der später ihr Ehe-, und Exmann wurde. »Ist er süß?«

Stöhn.

»Solltest du dich nicht mehr um meine Sicherheit sorgen? Und mich fragen, ob ich den Mann kenne? Du bist immerhin mein Vormund!«

»Unsinn«, winkte Nathalie umgehend mit einer Handbewegung ab. »Du bist 22, du brauchst keine Vormundschaft mehr. Aber ich habe das Wort Verhütung gehört, was mich zu der Frage bringt, wieso du mit einem Barkeeper schläfst.«

Carla machte ein leises Stöhngeräusch und hielt noch immer die Augen geschlossen. Blöde Kuh. Dabei hatte sie mir das erst eingebrockt.

»Weil der Türsteher eine Freundin hat«, erklärte ich. »Außerdem haben wir nicht miteinander geschlafen.« Ich packte Carla am Arm, die sofort protestierte, auch wenn ihre Armbewegung nicht sehr koordiniert war. »Ich bringe sie jetzt besser nach Hause und hole meinen Wagen.«

Wenn Nathalie noch etwas hatte sagen wollen, so beließ sie es bei einem »Bis später, ihr Süßen«.

Es gab nun eben Dinge, über die ich nicht mit ihr sprechen wollte. Es stimmte, was Carla oft genug anmerkte. Nathalie und ich standen uns enger als die meisten Cousinen, was vielleicht daran lag, dass wir nicht miteinander auskommen müssten. Doch wir wollten es. Weil wir einander liebten und respektierten. Das war die Art der Beziehung, die wir hatten und ich wollte sie nicht verlieren. Aber mit einer Frau Ende Dreißig über einen beinahe One-Night-Stand in einer geschlossenen Bar zu sprechen, das hielt unser enges Band dann doch nicht aus. Es war schon genug belastet worden, als ich das halbe Auslandsjahr gemacht hatte.

Und nicht im Ausland gelandet war.

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