71. Mal

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Ich hatte Noah an seiner FH aufgelauert und ihm einen Antrag gemacht. Aus dem Stand. Er hatte mich nur seufzend angesehen und war an mir vorbeigelaufen, ohne ein Wort zu sagen.

Einige Tage später war ich in seinem Fitnessstudio, das er laut Ari neuerdings besuchte, aufgetaucht und hatte mich auf ein Laufband neben ihn gestellt. Meine Kondition war nach wie vor mies, besonders, da ich morgens niemanden mehr hatte, der mit mir laufen ging.
Leila hatte überraschend Urlaub genommen und Nathalie sprach noch immer nicht mit mir.

Als ich die Frage gestellt hatte, war Noah vom Band gesprungen, hatte mich finster angesehen und war zu den Umkleiden gelaufen. Das dritte und vierte Mal, dass Noah mich ignorierte, fanden beide an einem Tag statt. Am Morgen direkt vor seinem Wohnhaus, wo seine Schwester Leonie in einen Jubelschrei ausbrach und am Abend, als er in einer der Bibliotheken der Stadt lernen wollte. Jedes Mal schwieg er und ich gab dennoch nicht auf.

Beim fünften Versuch, dem 70. insgesamt, stand ich sogar in seinem Zimmer, als er aufwachte. Ich glaubte, dass er so am einfachsten aus der Reserve zu locken war, doch mehr als ein Stöhnen entglitt ihm nicht.

Kein Wort. Keine einzige Silbe.

Es war zum Verrückt werden. Nicht einmal sauer wurde er. Er war einfach ... resignierend. Als würden die Anträge ihm nichts mehr bedeuten.
Als würde ich ihm nichts mehr bedeuten.

***

»Niemals habe ich zusammen mit jemand vom anderen Geschlecht einen Porno gesehen.«

Die Runde stöhnte und auch ich musste einen Schluck von meinem Glas nehmen. »Never have I ever« war ein Partyspiel, das ich bisher nur aus amerikanischen Serien und Filmen kannte. Dabei waren die Spielregeln so verflucht leicht. Einer der Spieler fing mit einer Behauptung an und jeder Spieler, der diese Sache schon einmal getan hatte, war verpflichtet, einen Schluck aus dem randvollen Glas zu trinken.

»Hast du?«, fragte Daniel, der in der Chill-Out-Lounge vom Lotus neben mir saß und grinste.

»Möchtest du die Antwort auf diese Frage wirklich hören?« Ich beugte mich zu ihm, um ihn zu küssen und bemerkte mein leichtes Schwanken. Hilfe.

Dabei war das hier genau das, was ich nach den vergangenen Tagen brauchte. Nach den vergangenen Wochen. Daniel und Carla waren ohnehin die einzigen Menschen in meinem Leben, die noch mit mir sprachen. Die nicht von meiner schrägen Art vergrault worden waren. Oder von meinem Wahnsinn. Oder von was auch immer. Je nachdem, wen man fragte, bekam man vermutlich andere Antworten.
Emma hielt mich für verrückt. Nathalie hielt mich für verlogen. Noah hasste mich.

Hasste mich.
Mich.
Hass.

Skip erhob sein Glas als Nächster. »Niemals habe ich beim Sex einen falschen Namen gestöhnt.«

Erstaunlich viele Gläser wanderten an die Lippen von den anderen »Gäste«. Als Daniel mich am Nachmittag angerufen hatte, um mich auf eine spontane Betriebsfeier einzuladen, hatte ich mit allem gerechnet. Nur nicht mit einem Trinkspiel und ausgelassenen Mitarbeitern, die keine Probleme hatten, solche intimen Details vor ihrem Chef heraushängen zu lassen. Daniel hatte aber diese Ausstrahlung, die ihn immer wie einen Kumpel wirken ließ und nicht wie einen Boss.

»Skip, trink«, sagte Daniel und auch er hob das Glas an seine Lippen. Es war eindeutig interessant, auf diese lockere Weise mehr über Daniel herauszufinden. Er war ja doch eher der verschlossene Typ, wenn es um intime Details ging.
»Du hast bei der einen Rothaarigen den Namen von Caleb gestöhnt.«

Skip lief sichtbar rot an, trank und stellte das Glas geräuschvoll auf den Tisch vor sich.

Die meisten der Anwesenden kannte ich nicht. Nicht einmal vom Namen her. Aber sie hatten Alkohol.

»Niemals habe ich beim Schauen eines Disney-Films geweint«, warf eine Blondine ein, die ich allerdings sehr wohl kannte. Sie war eine Stamm-Kellnerin namens Bella. Ich hatte sie schon öfter gesehen und mich mit der Kauffrau in Ausbildung unterhalten. Sie war nett und leicht prüde. Kein Wunder, dass solch eine Frage von ihr kam.

Wie erwartet tranken nur Bella und ich, die anderen drei Mädels in der Runde sahen nicht so aus, als hätten sie jemals einen Kinderfilm gesehen. Und die Jungs würden sich ohnehin nicht die Blöße geben.

»Niemals habe ich gerade davon geträumt, mit meiner Freundin zu verschwinden, um ihr ein ganz anderes Spiel zu zeigen«, raunte Daniel in mein Ohr und sorgte somit für wohlige Schauer auf meinem Rücken. Schmunzelnd wandte ich meinen Kopf zu ihm um, fasste in seine dunkle Haarmähne und zog seinen Kopf näher an meinen heran.

Mein Magen rebellierte angenehm, als seine Zähne zögerlich an meinen Lippen zogen und am liebsten wäre ich in diesem Moment auf seinen Schoß gesprungen und hätte die anderen ignoriert.

Es war nicht das erste Mal, dass Daniel es schaffte, mich nur mit Blicken und flüchtigen Berührungen unter Strom zu setzen. Manchmal kam es mir so vor, als würde schon ein Gedanke an ihn reichen, um mich zu elektrisieren. Alles an ihm machte mich an und gerade in letzter Zeit fand ich Trost bei ihm.

»Niemals habe ich meinen Freund nach Hause gebracht«, sagte ich aus diesem Grund laut und erhob mich von der gemütlichen Couch. Ich griff nach Daniels Hand und die wissenden Blicke der anderen reichten mir, um rot anzulaufen. Seit wann war ich denn so sexbesessen, dass ich selbst eine unterhaltsame Party verließ? Vermutlich seitdem ich sonst so einsam war.

Kaum waren wir die Wendeltreppe hinuntergestiegen, presste Daniel mich gegen eine der Wände und fuhr mit seinen Händen unter meine Bluse. Kurz darauf lagen wir in einem der Zimmer, die so prachtvolle Blumennamen besaßen und dessen Bestehen mich ja schon immer interessiert hatte. Nicht dass ich in diesem Augenblick viel Zeit dazu hatte, darüber nachzudenken, wieso Daniel in seinem Club Zimmer mit Betten hatte.

»Wehe du stöhnst jetzt einen anderen Namen.«

Ich musste lachen, was mir jedoch schnell verging. Solange ich in Daniels Armen lag, hörte die Außenwelt auf zu existieren. Es war alles friedlich, aufregend, aphrodisierend. Wann immer ich bei Daniel war, gab es nur mich und ihn, sodass jedes unserer Treffen intensiver war als das vorherige. Ich liebte den Sex mit ihm. Liebte es, mich mit ihm zu unterhalten. Aber ich liebte nicht ihn. Das hatte ich nie.

Scheiße.

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