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»... Ich brauche dich an meiner Seite, Knuddelbär und möchte dich fragen, ob du mein für immer angetrauter Abendstern werden willst.«
»Soll bedeuten, Arielle?«
»Noah, mein Liebster. Willst du mich heiraten?«

»Das«, sagte Nathalie und hielt sich lachend den Bauch fest, »war das witzigste«, wieder pausierte sie kurz und holte Luft, »was ich je gehört habe.«

»Knuddelbär?«, fragte Carla, die ebenfalls ihr Lachen nicht zurückhalten konnte. »Das ist so absurd blöd, dass ich es fast schon wieder romantisch finde.«

Eine Woche lang würde diese, zugegeben, schlechte Performance von mir im MusicR Radiokanal zu hören sein. Zu unregelmäßigen Zeiten.

Ich konnte gar nicht sagen, wie dankbar ich Harald, einem der Radiomoderatoren war. Oder Nathalie, die den Kontakt zu dem charismatischen Mann Ende Fünfzig hergestellt hatte.

Irgendwann würde Noah diesen Werbespot-artigen Clip hören. Das wusste ich, weil es der Radiosender war, der im Süßwarenladen seiner Eltern gespielt wurde. Und wenn nicht er es hörte, dann jemand, der ihm nahestand. Vielleicht würde sich das Thema sogar herumsprechen. So oder so wusste ich, dass er diesen Heiratsantrag mitbekommen würde.

»Darf ich etwas sagen?«, fragte Carla, kurze Zeit später, als ich gerade dabei war, Zettelschnipsel aus Zeitungen auszuschneiden. Obwohl ich diese Idee ja für gruslig empfunden hatte, war Carla Feuer und Flamme, Buchstaben zu suchen und auf einen Papierbogen zukleben.

Das »Willst du«, prangte schon auf dem Blatt.

»Du wirst doch sowieso etwas sagen«, erwiderte ich etwas zu gereizt und streckte anschließend die Zunge heraus. Niemals hätte ich es für möglich gehalten, doch ich hatte tatsächlich Spaß hierbei. Bei all der Planerei und der Ausführung.

»Ich bin froh, dass du uns die Wahrheit gesagt hast.«

Ich schaute von meiner Zeitung auf und sah in das von Emotionen erfüllte Gesicht meiner besten Freundin. Vielleicht hatten diese Anträge noch einen anderen Zweck, als nur Noah zurück zu bekommen.

Vielleicht würden sie auch dafür sorgen, dass ich mich mehr mit Carla verbunden fühlte. Es war wünschenswert. Immerhin war sie an meiner Seite geblieben, als ich es für unmöglich gehalten hatte.

»Carla, du wirst immer meine beste Freundin bleiben«, sagte ich und spürte den Kloß im Hals. Verdammte Hormone einer Frau!

Auch Carla schien mehr als bloß berührt zu sein und nickte mit offensichtlichen Tränen in den Augen.
»Ich weiß. Und ich will auch, dass Noah wieder zu uns gehört. Ich will nur nicht, dass du verletzt wirst.«

Er würde mich nicht abweisen. Nicht mehr, da war ich mir einfach sicher. Noah liebte mich, er brauchte mich. Wir waren zwei Seiten eines Medaillons, das hatte er selbst gesagt. Man vergaß die eine Hälfte nicht, nur weil sie schmutzig geworden war. Es war immer noch ein kostbares Stück, das zusammengehörte.

***

Bereits am nächsten Morgen schaffte ich es, den Umschlag in Noahs Briefkasten zu schmuggeln. In meinen Augen war es zwar noch immer ein beängstigenden »Stalker-Brief« - eine Bezeichnung von Nathalie – aber solange er tat, was er sollte ...

»Willst du meine Schwertlilie sein? A.«

Allein das Ausschneiden und Aufkleben dieses Satzes hatte uns Stunden gekostet. Das kreative Arbeiten hatte jedoch auch dazu geführt, dass wir Zeit hatten, uns über die nächsten Schritte zu unterhalten, sodass ich recht schnell eine Liste mit den bald benötigten »Utensilien« erstellt hatte.

Noch am selben Abend bat Daniel mich um ein Versöhnungsabendessen, das ich ablehnte. Jeder hatte seine schwachen Momente und das wollte ich ihm auch nicht aberkennen. Doch es gab Grenzen, die selbst Daniel nicht zu überschreiten hatte. Dass meine Aktionen für Außenstehende verrückt aussahen, mochte ja sein, aber Daniel kannte mich und hätte wissen müssen, wie wichtig es mir war.

Jedoch blieb er hartnäckig, kam vorbei, ließ mir Blumen da und Nathalie nannte ihn bloß noch »Stalker-Freund«, was ich nicht zum Lachen fand.

Jeden Tag wurde das Wetter schöner und die Temperaturen kletterten unaufhörlich höher und höher. Vielleicht waren es die allseits bekannten Frühlingsgefühle, die mich dazu brachten, Daniel nach zwei Wochen wieder in mein Leben zu lassen. Vielleicht war ich auch einfach ein Arsch, der wusste, dass sie ihn brauchte.

Denn zusammen mit Daniel und Skip schaffte ich es, mich in einen von Noahs Vorlesungssälen zu schleichen.

»Das erinnert mich an eine Abenteuerreise«, erklärte Skip, der sich eigentlich eher dazu gemogelt hatte. Er war nur mitgekommen, weil er zufällig überhört hatte, wie Daniel und ich darüber sprachen und er war sofort Feuer und Flamme für die Idee.

»Steh Schmiere, du Abenteurer«, trug Daniel ihm auf und folgte mir die vielen Stufen zu dem Lehrerpult hinunter. Ich nahm mir den einfachen Holzstuhl, stellte ihn unter das riesige whiteboard und kletterte darauf, um es hochzuschieben. Daniel reichte mir das erste Kreidestück und ich fing mit dem Schreiben an.

»Noah Hinze! Du Romeo zu meiner Juliette! Du Tristan zu meiner Isolde! Du Mr. Darcy zu meiner Elizabeth Bennet! Du Edward zu meiner Bella!«

»Das ist schon zum Kotzen.« Daniel erschauderte, was mich zum Grinsen brachte. Natürlich war es widerlich kitschig, das war ja mein Begehren dabei.

»Willst du mich heiraten? - A. #99Mal«

Ich stieg von dem Stuhl herunter, küsste Daniel auf den Mund und rannte zu Skip, der schon ungeduldig von einem Fuß auf den anderen getapst war. Um das Gelingen unserer Aufgabe zu feiern, machten wir einen Abstecher ins Lotus und verbrachten Stunden oben in der Lounge.

Ich schlief an diesem Abend in meinem eigenen Bett ein, was Daniel leicht verstimmt hatte, und träumte von all den Anträgen, die noch folgen sollten. Und zum ersten Mal seit einer langen Zeit wachte ich nicht mitten in der Nacht auf und war von Erinnerungen gequält.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt