1. Mal

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Wenn ich eines noch mehr verabscheute als Schnee, dann waren es die ekelhaft warmen Temperaturen.
38°C im Schatten war für die Mitte Deutschlands eine Zumutung. Besonders wenn ich tagsüber in einem stickigen Klassenzimmer saß und mir anhören musste, was eine Didaktik war. Was wir ja nicht schon dreimal besprochen hatten.

Der einzige Lichtblick des Tages war nur das nachmittägliche Treffen mit Noah, Carla und Kai in der Eisdiele am Main.

Wir kannten den Besitzer, der uns stets eine Kugel mehr aufdrückte, ohne uns dafür bezahlen zu lassen. Und woanders konnte man die heißen Abende auch nicht verbringen.

»Ich hasse es, dass ihr für vier Wochen nach Holland geht!« Ich löffelte die letzten Reste aus meinem Becher und schaute Carla vorwurfsvoll an. Wie so oft hatten die Jungs sich in »Männergespräche« vertieft, sodass uns Frauen Zeit für andere Themen blieben. Weitaus intellektuelle Themen.

»Ich habe dir angeboten, mitzufahren.«

Prompt streckte ich ihr die Zunge heraus. »Nur wenn du dafür Clarissa hier lässt.«

Mehr als ein Augenrollen erhielt ich allerdings auch nicht als Antwort. Die Beziehung zwischen den Zwillingen war schon immer auffallend gut gewesen. Sie verstanden sich besser als so manch andere Schwestern und sie unternahmen viel miteinander, wenn es ihre Zeit zuließ. Dass es ganz natürlich war, dass die beiden zusammen in den Urlaub fuhren, kam mir nicht einmal seltsam vor. Auch wenn es mich verletzte. Ich hatte gehofft, diesen Sommer nicht allein bleiben zu müssen.

»Willst du echt die ganzen Sommerferien hier absitzen und dir anhören, wie Nathalie und Hannes es miteinander treiben?«

Diesmal stöhnte ich und stellte den leeren Pappbecher beiseite. Es lief nicht mehr gut zwischen Nathalie und ihrem Mann. Was ich Carla nicht auf die Nase band. Noch nicht. Erst wenn es offiziell war. Zu oft hatte ich schon Gerüchte breitgetreten, die meiner besten Freundin vor Nathalie herausgerutscht waren. Das wollte ich nicht noch einmal passieren lassen, meine Cousine war schon sauer genug auf mich.

»Ich fahre vielleicht ein Wochenende an den See. Nicht wahr, Noah?« Spitzbübisch grinsend wandte ich meinen Kopf zu der gegenüberliegenden Tischseite, wo Noah und Kai wild gestikulierend diskutierten. Vermutlich über Fußball, über die neuen Spieler, Trainer, Rasensorten oder wusste der Himmel was. Wer je behauptet hatte, dass Frauen mehr quasselten als Männer, hatte nicht mit Noah und Kai gerechnet.

»Hm?«, sagte Noah, jedoch ohne aufzusehen.

»Manchmal frage ich mich ja schon, wieso er noch mein bester Freund ist«, erklärte ich laut, noch immer feixend und auf Reaktion hoffend. Doch auch diesmal war Noah zu vertieft in sein Gespräch.

Ihm machte die Hitze nicht einmal etwas aus. Seine Haare lagen noch perfekt, sein T-Shirt wies keinen Schweißfleck auf, wie bei vielen anderen Männern an den anderen Tischen. Dabei hatte er erheblich mehr Kleidung an als wir anderen zusammengerechnet.

»Was haltet ihr von einer Party am letzten Schultag?«, warf Carla in die Runde und trank geräuschvoll den letzten Rest ihres Milchshakes. Nur versuchte sie nicht Noahs Aufmerksamkeit zu bekommen, sondern Kais.

Ich weiß, es war ein Klischee, dass sich die besten Freunde eines Paares – sei es ein freundschaftliches Paar oder mehr – ineinander verliebten. Doch die Wahrheit sah ähnlich aus. Denn mit der vielen Zeit, die man miteinander verbrachte, entstanden zwangsläufig Gefühle. Nicht immer. Aber häufig genug.

Doch egal wie oft ich versucht hatte, Carla und Kai zu verkuppeln, nie fruchtete es. Vor kurzem bat Carla mich dann, es gänzlich sein zu lassen. Die vielen Enttäuschungen waren wohl zu viel geworden.

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