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Noah machte mir einen Antrag in der Nähe des Schwimmbades, in dem wir unsere Sommer verbracht hatten, als wir noch gemeinsam zur Schule gingen. Es war ein kleiner Kiosk und ich hatte nur eine Geschenkkarte kaufen wollen, ehe wir uns mit Kai und seiner neusten Flamme trafen.

Mit ernstem Gesicht hatte Noah sich hingekniet, neben zwei alten Frauen und ihrem keifenden Hund. Hatte sich eine Geschichte ausgedacht, über meinen letzten Freund, der mich geschlagen hatte und dass er die bessere Partie war und wieso ich das nicht sehen konnte. Auch dieses Mal hatte er wieder die Samtschatulle dabei und als er sie öffnete, blitzte mir der Ring entgegen, der eindeutig nicht nach Modeschmuck aussah, wie Noah behauptet hatte.

Die Besitzerin war so glücklich über uns, dass sie ein Foto schoss, es umgehend ausdruckte und uns unterschreiben ließ. Sie schenkte uns einige Tafeln Schokolade und Kaugummi, dazu eine Flasche Sekt.

Dennoch fühlte es sich seltsam an. Emotionslos.

Beim Hinaustreten betrachtete ich den Ring genauer, hielt ihn mir vors Gesicht und drehte ihn. Zugegeben, ich hatte nicht viel Ahnung von Schmuck, konnte Weißgold nicht von Roségold unterscheiden, keinen Saphir von einem Rubin. Ich wusste nicht, wieso welcher Stein mehr Karat hatte als andere und woran das zu erkennen war. Aber ich wusste, wann ich einen billigen Ring aus der Massenproduktion vor mir hatte und wann es sich um etwas Kostbares handelte.

Ich besaß viele Ringe und Ketten von preisgünstigeren Modeschmuckläden, wenigstens diesen Unterschied erkannte ich.

»Willst du mir jetzt sagen, woher du diesen Ring hast und ihn in deiner Tasche mit dir herumträgst?«, fragte ich und hielt Noah einen Straßenzug weiter das Schmuckstück entgegen, damit er es wieder einpacken konnte.

Wie erwartet rollte Noah mit den Augen und druckste etwas über Prioritären herum und dass wir zu spät kamen und Kai und seine neue Freundin sicher schon knutschend am Eingang des Kinos saßen. Dieses Mal ließ ich jedoch nicht locker.

»Dass ich mitkomme, war doch spontan. Trägst du den Ring auch mit dir herum, wenn du mit Elaine unterwegs bist?«

»Wieso sollte ich?«, erwiderte er und steckte seine Hände in die Hosentaschen. »Glaubst du, ich mache allen Mädchen, die ich kenne, Anträge?«

»Weiß ich es?«

Oh. Ich wurde schon wieder zickig. Nach einer kurzen Stille fügte ich hinzu: »Ich versuche doch nur zu verstehen, wieso du plötzlich einen echten Verlobungsring mit dir herum trägst. Das finde ich seltsam, tut mir leid.«

Vermutlich war es der sanftere Tonfall meiner Stimme oder die Fragestellung, doch Noah ließ die Schultern hängen und seufzte. »Ich habe ihn im Keller bei den alten Sachen meiner Mutter gefunden. Ich weiß, dass sie vor meinem Vater schon einmal verlobt war, also nehme ich an, dass dieser Ring ihrer ersten Verlobung zuzuschreiben ist.«

Mir wurde es klamm, was nicht an den frostigen Temperaturen lag. Obwohl es mit großen Schritten auf März zuging, wollte der Winter es uns noch einmal so richtig zeigen. »Und wieso hast du ihn dabei?«

»Weil ich es schön finde, einer hübschen Frau einen schönen Ring anzustecken.« Noah blieb mitten auf dem Fußgängerweg stehen und legte den Kopf in den Nacken, um zum trüben Himmel hinauf zu starren.

Ich wusste nicht so recht, was ich sagen sollte. Ob ich überhaupt etwas sagen sollte. Es war ja nicht so, als hätte Noah mir hier gerade seine unsterbliche Liebe gebeichtet. Es hatte mich auch noch nie gestört, wenn Noah etwas liebevoller mit mir umgegangen war, als meine Freunde. Das war nun einmal, wie wir miteinander lebten. Doch durch all die Anträge war mein Gehirn etwas ... verdreht worden. All die romantischen Ansprachen ließen mich immer wieder zweifeln, ob Noah nicht doch mehr für mich empfand, als er immer zugab.

»Du bist echt sehr leichtgläubig, oder?«

»Hm?« Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder Noah zu, der ein Lächeln aufgelegt hatte.

»Ich habe den Ring bei mir, weil es echter aussieht. Wir wurden schon mehrfach gefragt, wo dein Ring ist. Ich weiß nicht, was du davon hältst, aber ich möchte nicht gern angezeigt werden, weil wir den Leuten vorspielen, dass wir uns verloben. Was sagst du?«

Ich öffnete den Mund, um ihn einen Blödmann zu nennen. Wollte ihn boxen und das Thema wieder vergessen. Endgültig. Was stattdessen über meine Lippen kam, war etwas anderes und ich bereute es umgehend.

»Liebst du mich?« Ich fasste an seine Arme, weil ich Angst hatte, dass er sonst schnaubend weiterlaufen würde. Vielleicht auch, um mich selbst daran zu hindern. »Und spiel mir nichts vor, lüg mich nicht an. Noah Hinze, liebst du mich? Nicht als Schwester oder beste Freundin, sondern richtig?«

Bitte sag nein, bitte sag nein, bitte sag nein.
Bitte sag ja. Sag dass du mich liebst.

»Du bist meine Schwester«, war seine Antwort und der Klumpen in meinem Magen schwoll zu unbekannter Größe an. »Und wenn du glaubst, dass ich dich heiraten will, weil ich einen dämlichen Ring mit mir herumschleppe, dann irrst du dich.«

»Gut«, sagte ich langsam und atmete laut hörbar auf, damit Noah mir meine Erleichterung abkaufte.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt