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Daniel dazu zu überzeugen, einen Nachmittag mit mir und meinen Freunden zu verbringen, stellte sich als schwieriger heraus als erwartet.
Nicht dass er kein Interesse hatte, ihm kam der Zeitpunkt nur nicht sehr passend vor.
Auch ich fand den Moment der »Gegenüberstellung« ungeeignet, aber unaufschiebbar.

Ich ahnte, ach was, ich wusste, dass ich es ein ums andere Mal verdrängen würde, bis ich mich selbst in Stücke zerriss. Leila und Carla hatten beide recht. Mein Leben war nur noch um diese beiden Männer zentriert, ließ alles andere zweitrangig erscheinen.

Es war Zeit, das zu ändern.

Die Tatsache, dass ich kein Kostüm besaß und es wenige Tage vor Fasching war, hielt mich nicht auf. Erst hatte ich überlegt, eines von Carlas vorbestellten Kostümen zu nehmen, die sie nicht wollte. Doch der Gedanke war schnell wieder verworfen, nachdem ich versucht hatte, mich in die Dinger reinzuzwängen.

»Du musst halt ...«, hatte Carla gesagt und den Mund verzogen, um nicht weiter zu sprechen. Besser so.

»Bis zum Wochenende zehn Kilo abnehmen? Ich bin der Schokolade verfallen, es ist nicht meine Schuld!«

Carla schaffte es jedoch jemanden aufzutreiben, der in einem Karnevalsgeschäft arbeitete und Zugriff auf die besonderen Kostüme hatte. Die Ausleihgebühr war zwar angestiegen, doch ich scherte mich nicht darum. Verwöhntes reiches Kind blieb reiches verwöhntes Kind.

Ich probierte unzählige Kostüme an. Von einer Hipster Alice im Wunderland über ein gelbes Ballkleid von Belle aus »Die Schöne und das Biest« über Drachen und Einhörner und Meerjungfrauen. Normale Kostüme kamen bei mir gar nicht erst in Erwägung. Auf diese Weise suchten wir über zwei Stunden, bis Carla eher zufällig einen mehrfarbigen Stofffetzen hervorzog.

»Ich glaube, wir haben etwas gefunden.«
Ich grinste bloß.

***

»Erklär mir das bitte noch einmal.«

Noahs Stimme kam nur gedämpft durch die Kopfhörer in mein Ohr, was vermutlich auch daran lag, dass ich gerade rannte. Oder eher versuchte zu rennen, da ich den Heimweg vom Joggen schneller bewältigen wollte. Leila hatte mich an diesem Samstagmorgen überredet, mitzukommen. Der Gesundheit willen. Und weil ich derzeit schwer »nein« sagen konnte, hatte ich mich in Turnschuhe und Sporthose gequält und war losgerannt. Nur dass ich nicht annähernd so gut in Kondition war wie Leila. Was zu erwarten gewesen war, solange wie ich nicht mehr gelaufen war. Dass Leila mich lachen abhing und alleine weiterlief, damit hatte ich allerdings wirklich nicht gerechnet. Warum Nathalie und sie nicht öfter zusammenliefen, verwunderte mich.

»Ich bringe ... Daniel ... mit zum ...TriCo«, keuchte ich und hielt an. Vornüber gebeugt blieb ich stehen, stützte meine Hände auf den Knien ab und war froh, dass ich mich am Waldrand befand. Hier konnte wenigstens niemand zusehen, wie ich mich blamierte und außer Atem war.

Früher hatte ich jeden abhängen können, sogar Noah und Nathalie. Beim Langlauf war ich stets die Erste gewesen, hatte bei Marathons der Stadt mitgemacht, wenn es darum ging, Spendengelder einzusammeln. Doch seit diesem einen verdammten halben Jahr war ich nicht mehr gelaufen. Einmal davonlaufen hatte gereicht.

»Ja, das hab ich verstanden«, erklärte Noah und wenn ich mich jetzt nicht verhört hatte, schmatzte er.

»Isst du?«

»Nein«, kam es prompt, doch ich hörte sein Schlucken. »Also du bringst deinen geheimen Freund mit.«

Ich richtete mich wieder auf und nahm mein Handy, in dem die Kopfhörer steckten, aus der Jackentasche, um auf die Uhr zu sehen. 08:54. Ich hatte noch eine halbe Stunde, bevor Nathalie losfuhr und dabei musste ich dringend mit ihr reden. Verdammt. »Er ist nicht geheim! Du hast ihn getroffen.«

»An Silvester. Für fünf Minuten.«

Ich verfiel in ein langsames Joggen, obwohl meine Beine brannten. Meine Lunge fühlte sich an als stünde sie in Flammen. Beides ignorierte ich.

»Hör zu«, brachte ich hervor und schickte ein Dankesgebet gen Himmel als ich die ersten Häuser meiner Straße sehen konnte. »Ich hab dieses Jahr... scheiße angefangen ... okay? Ich dachte ... es geht darum ... ist eigentlich egal.«

Abermals verfiel ich in einen schnelleren Lauf, überrascht, dass ich entgegen der Proteste meines Körpers noch genug Willen besaß, um weiterzumachen. Wenn ich das wiederholte, konnte ich vielleicht in einigen Monaten zu meinem alten Rhythmus zurückkehren.

»Du willst, dass wir alle eine große, glückliche Familie sind«, vervollständige Noah meine unausgesprochenen Gedanken.

»So in etwa.«
»Okay.«
»Okay?«

Er lachte, auch wenn er es mit einem Räuspern übertünchen wollte. »Mach mir keinen auf Hazel Grace. Ich stecke mir nicht einmal metaphorisch eine Zigarette zwischen die Lippen.«

»Nur wenn du versprichst, nie zu sterben«, antwortete ich grinsend und schickte ein weiteres Danke gen Himmel. Ich erreichte ihre Straße und mein Haus. Nach einem Blick auf das Handy blieben mir noch immer 17 Minuten, um mit Nat zu reden. Mehr als genug Zeit.

»Gut, dass wir von Büchern reden. Kann Leonie sich welche von dir ausleihen?«

Da Noahs Schwester ihr Taschengeld lieber für Schminke und Kleidung ausgab, benutzte sie meinen Buchvorrat als persönliche Bibliothek. Früher hatte sie Noah angefleht, mit zu mir zu kommen, nur um stundenlang in meinen Schätzen zu stöbern. Mittlerweile reichte sie Noah eine Liste mit Werken, die sie interessierten, die er geflissentlich an mich weitergab. Es war allerdings schon länger nicht mehr vorgekommen.

»Schick mir die Liste per Mail, ich schau, was ich davon schon hab«, erklärte ich und rollte mit den Augen, auch wenn er das nicht sehen konnte. »Außerdem such ich dir auch ein, zwei Bücher raus. Es kann dir nicht schaden, wenn du etwas anderes liest, als die alten Schmöker auf deiner Leseliste.«

Wieder musste Noah lachen. »Die Zeit, meine liebe Hazel Grace. Die Zeit.«

Nach einem weiteren Glucksen meinerseits, drei rührseligen Sätzen von Noah und einem freudigen Bellen von Bob, der schon schwanzwedelnd hinter der Eingangstür wartete, legte ich auf.

99 MalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt