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Mein Herz pochte zweimal so schnell, als ich Elaine zum Eingang zurück brachte, zu der Tür, die in den Angestelltenbereich führte. Sie roch auch noch gut, war das zu fassen? Klar liebte Noah sie, sie war perfekt. Vermutlich auch perfekt im Be ... Lassen wir das.

»Lauter Blumennamen? Erinnert mich an was«, kommentierte Elaine lachend, als wäre das hier eine lustige Angelegenheit. Ich knurrte bloß. Für Scherze war ich jetzt sicher nicht aufgelegt. Ich wollte wissen, wie es Noah ging. Elaines wahren Beweggrünge erfahren. Denn ein Freundschaftsbesuch war das hier dennoch nicht.

Aus Mangel an Alternativen brachte ich sie die Wendeltreppe hinauf in die »Chill-Out-Lounge« und lehnte mich selbst an das Geländer, um auf die tanzende Menge unter mir zu blicken. Ein bisschen Ablenkung schadete gerade nicht – bevor ich ihr noch an die Kehle ging.

»Er hat vier Kilo abgenommen seit eurem Streit«, begann Elaine und ließ sich geräuschvoll auf die Couch fallen. »Er isst nicht, schläft nicht richtig und wir gehen kaum noch aus.«

»Das tut mir aber leid.« Den bissigen Kommentar konnte ich nicht zurückhalten.

Elaine lachte wieder. »Ja, das ist wirklich traurig. Aber ich hatte nie angenommen, dass er dich einmal so sehr vermissen könnte.«

Mit beiden Händen umfasste ich das Geländer. Fester. Immer fester, bis das Reiben des Metalls mir Schmerzen bereitete. Noah vermisste mich. Genau das waren die Informationen, die ich die letzten Wochen so schmerzlich hatte wissen wollen.

Ob er mich denn auch vermisste. Ob er an mich dachte. Ob ich ihm egal geworden war. Ob er mir verzeihen konnte.

Wieso musste ausgerechnet Elaine diese Nachrichten übermitteln?

»Und wieso bist du hier?«

»Ich weiß, dass es zu eurem Streit gekommen ist, weil ich nicht den Mund gehalten habe. Wofür ich mich nicht entschuldigen werde«, fügte sie schnell hinzu. »Es war nicht fair von dir, es ihm all die Jahre zu verschweigen. Er hatte ein Recht darauf, es zu erfahren.«

Möglich.

Sicherlich.

»Es wäre aber meine Entscheidung gewesen, es ihm zu sagen. Nicht deine.« Ich drehte mich halb zu ihr um. »Du hast mir diese Möglichkeit geklaut.«

Sie runzelte kurz die Stirn, ehe die Falten sich wieder glätteten. »Du siehst ihr viel ähnlicher, als ich.«

Natürlich. Wie hatte ich hoffen können, dass sie dieses leidige Thema nicht zur Sprache brachte. Sie war eben auch die Tochter unserer Mutter und nahm kaum ein Blatt vor den Mund. Doch das war ich auch und es wurde Zeit, dass sie mich kennenlernte.

»Glaubst du, ich habe Interesse daran, dir zuzuhören?«, keifte ich und ließ vollends das Geländer los, auch wenn ich mich nicht vom Fleck rührte. »Weißt du eigentlich, wie abartig du bist? Dich vor Noah als Heilige darzustellen, obwohl du vermutlich tiefer drin gesteckt hast als Alessandra selbst.«

Elaine widersprach umgehend. »Ich war keine Nutte, falls du dich das fragst.«

»Ich frage mich gar nichts!«, fuhr ich erbost fort. Wieso bildete diese blöde Schnepfe sich eigentlich ein, mich unterbrechen zu dürfen? Zu meiner Party zu kommen und mit geheucheltem Mitleid Noah gegenüber mein Interesse zu wecken?

»Wir haben zumindest eine Sache gemeinsam. Wir sorgen uns um Noah.«

Ich schnaubte. Als ob.

»Es geht ihm miserabel.«
»Du wiederholst dich.«

Elaine räusperte sich und schwieg einen Augenblick lang. Wie gern ich sie für alles verantwortlich machen würde. Wie gern ich sie über dieses blöde Geländer werfen würde.

»Er vermisst dich, Alyssa. Ich hätte es nie für möglich gehalten, aber er braucht seine beste Freundin. Genau wie du ihn brauchst, den ganzen jämmerlichen Heiratsanträgen nach zu urteilen.«

Der Impuls, Elaine wehzutun, nahm beinahe Überhand. Glücklicherweise hatte ich mich gut genug unter Kontrolle, um das sein zu lassen. Ich wollte ein anderer Mensch sein? Das hier war der erste Schritt. Egal wie sehr ich sie hasste.

»Ich habe Mist gebaut, das sehe ich ein«, sagte ich aus diesem Grund und schluckte. »Ich werde ihn nicht besuchen, ihm nicht persönlich gegenübertreten. Wie er es gewünscht hat. Aber ich hoffe, er wird mir irgendwann verzeihen.«

»Ich würde an deiner Stelle nicht darauf hoffen.« Elaine lächelte. Wieder fragte ich mich, wieso ich sie nicht einfach vom Balkon warf. So wie sie aussah, konnte sie nichts wiegen. »Aber ich werde dir helfen, dann wird das schon.«

»Wieso solltest du das tun?«

»Weil wir eben beide etwas gemeinsam haben«, erklärte Elaine und erhob sich von der Couch.
Wir beide liebten Noah. Wir würden immer alles tun, damit es ihm wieder gut ging.

»Unsere Mutter wird dir kein Haar krümmen.«
Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Auch Elaine schien verwirrt, auch wenn sich ihre Miene nur minimal veränderte.

»Das weißt du auch so sicher?«

Ich nickte. Mal abgesehen von der Polizei hatte auch Emma mir versprochen, dafür zu sorgen, dass sie niemandem Schaden zufügen würde. Darunter fiel nun einmal auch Elaine.

Bevor ich Elaine erklären konnte, dass ich aus Angst dafür gesorgt hatte, sprach sie schon weiter: »Du warst wie lange bei ihr? Fünf Monate? Sieben? Ich habe beinahe mein gesamtes Leben bei ihr verbracht. Ich weiß viel eher, zu was sie fähig ist.«

Mein erster Instinkt war es, sie zu beschuldigen. Nicht von dort geflohen zu sein, war ihr Fehler, nicht meiner. Doch das war nicht fair. Ohne Emma wäre ich auch nie so leicht von dort weggekommen. Zum ersten Mal empfand ich wirklich Mitleid mit ihr.

»Sie wird mich niemals loslassen. Und dich auch nicht, sei dir da sicher.« Elaine schnaubte noch einmal. »Wir sind ihre Trophäen.«

»Ich mit Sicherheit nicht.«
»Was macht dich da so sicher?«

Ich reckte mein Kinn, wie so eine Deppin. Ich brauchte auch dringend mehr zu trinken, also wagte ich mich hinter den kleinen Tresen hier oben und schenkte mir großzügig was vom Schnaps ein. Ohne zu wissen, welcher es überhaupt war.

»Sie hat mich zurückgelassen. Sie hat ein Feuer gelegt, das meinen Vater umbrachte und danach dich geholt, während sie mich vergaß.«

Ha! Dagegen konnte Elaine nichts einwenden. Das war der große Knackpunkt gewesen.
Alessandra Senior hatte sich nie für mich interessiert, geschweige denn versucht Kontakt mit mir aufzubauen. Weil sie mich nicht wollte.

Was mir früher das Herz gebrochen hatte, ließ mich jetzt triumphieren.

Dachte ich.

»Sie hat dich immer im Auge behalten, Schwesterchen.« Wieso war Elaine gerade diejenige mit dem triumphierenden Grinsen? »Sie hat dich zurückgelassen, ja. Aber nur, weil sie um ihre eigene Sicherheit besorgt war. Vergessen hat sie dich nie.«

So beunruhigend Elaines Worte auch klangen, davon beeinflussen lassen wollte ich mich nicht. Es wäre nicht der erste Versuch, mir Angst einzujagen. Aus diesem Grund bat ich sie zu gehen, woraufhin sie auch zu den Treppen lief. Auf der ersten Treppenstufe drehte sie sich noch einmal um, diese Dramaqueen.

»Wir sind Schwestern, Alyssa. Wir beide gehören zusammen.«

Träum weiter, Barbie.

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